Zirkumzision

Blogsammlung Meinungsbild, vorläufiges eigenes Resümee und Zukunftsaussichten

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Ihre Freitag-Redaktion

Da die Diskussion anläßlich des Kölner Urteils unausgesetzt seit Ende Juni läuft und mir der Überblick verloren zu gehen droht, habe ich die Blogs in der Reihenfolge ihres Erscheinens zusammengetragen (sollte ich welche übersehen haben, tät's mir leid: bitte anfügen. Ich werde die Chronologie ergänzen, wenn neue Blogs geschrieben werden)

27.6. TKaiser Das Zeichen des Bundes zwischen mir und euch (130 Kommentare)

29.6. ChristianBerlin Beschneidung verbieten, Religion beseitigen (521 Kommentare) Verqueert Beschneidung der Vorhaut (20 Kommentare) (wurde im November vom Verfasser gelöscht)

30.6. ed2murrow Verfasstheit und ein Stückchen Haut (I) (51 Kommentare)

1.7. Rosa Sconto Das unbeschnittene Männliche... (19 Kommentare) Seriousguy47 Beschneidung, Kind, Recht, Macht (1) (15 Kommentare) Beschneidung, Kind, Recht, Macht (2) Beschneidung, Kind, Recht, Macht (3)

3.7. FOW:Frieder Otto Wolf Moderne und Religion (1 Kommentar) Wie sind heute religiöse Identitäten möglich? (2 Kommentare) Identität – was kann das heute sein? (3 Kommentare) Zur Debatte um die Beschneidung von Jungen (435 Kommentare) Tripple U Beschneidung von Gedanken (6 Kommentare) Sebastian Hartig Das Beschneidungsverbot ist ein Fortschritt

4.7. Das Pöttpourri Gottesteilchen: Dem lieben Gott seine Vorhaut (4 Kommentare) Crumar Beschneidung – halbierte Menschenrechte 1 (10 Kommentare)

5.7. H.Yuren Gedankenbeschneidung (3 Kommentare) Malte D. Beschneidung ist Körperverletzung! (4 Kommentare) Der Freitag Vor Gott sind alle ungleich

8.7. Ideefix Zur Beschneidung als symbolische Handlung (7 Kommentare)

9.7. ed2murrow Verfasstheit und ein Stückchen Haut (II) (403 Kommentare)

12.7. Joachim Petrick Religiöser Wahn im Beschneidungsanzug? (11 Kommentare)

14.7. Joachim Petrick Abrahams verhängnisvoller Hörfehler (9 Kommentare) Gerhard Monsees Mein Körper gehört mir (2 Kommentare) Delloc Beschneidung – die unendliche Geschichte Islamijaa Beschneidung bei Jungen ist Pflicht! (11 Kommentare) (wurde im Juli von der Verfasserin gelöscht) (Anzahl der Kommentare bei Veröffentlichung dieses Blogs)

15.7. Auge Schlimme Geschenke Crumar Beschneidung - Mythen, Lügen, Ideologie 1

16.7. H.Yuren Wörterbücher zur Beschneidung (A) Gerhard Monsees Willkommenskultur der Ego-Männer und -Weiber Visionsbar Die Vorhaut schlägt Wellen H.Yuren Wörterbücher zur Beschneidung (B) H.Yuren Abwägung schwierig

17.7. Mathisoberhof Die LINKE +die Vorha(u)t <der Arbeiterklasse> Hardob Ein kleines Landgericht am Pranger Der Freitag Der Staat muß die Schwachen schützen Cameiro Der religiöse Säugling Philipp Guttmann Religiöse Beschneidung - Recht oder Unrecht?

18.7. seriousguy47 Beschneidung -----Ahmadinedschad-----Islam

19.7. Wolfram Heinrich Hände weg von der Eichel! Joachim Petrick Helm ab!, Hand an die Eichel zum Gebet Mathisoberhof Was fehlt denn, wenn die Vorhaut fehlt?

20.7. Sünnerklaas Ein schlechter Tag für die Demokratie Der Freitag Verstörender Schnitt Fritz Teich Beschneidung und Legalitaet (2012)

21.7. Der-Splitter-im-Auge Kein Schritt zurück Oberham Das Familienfest im Seehaus - Eine Lappalie Der-Splitter-im-Auge Gesetzlich sanktionierter Totschlag Delloc Wenn Priester zum Messer greifen Sünnerklaas Der Linke als NAZI - kein Problem!

22.7. XXM Daheim an seinem Computer Der-Splitter-im-Auge Die Persönlichkeitsspaltung des Volker Beck ed2murrow Verfasstheit und ein Stückchen Haut (IIIA) + Verfasstheit und ein Stückchen Haut (IIIB)

23.7. ed2murrow Ärzte, Juristen und ein Freibrief

24.7. H.Yuren Körperverletzung universalhistorisch

25.7. Columbus Liebevolle Körperverletzung I + Liebevolle Körperverletzung II Der Freitag Die eingeschüchterte Aufklärung

26.7. Crumar Beschneidung und Grundgesetz - nur verstört?

27.7. Visionsbar Die ganz normale Parallelgesellschaft Anarc Wer schützt uns vor den Beschützern? Cameiro LACHEN sie woanders ...

29.7. Goedzak Vor und zurück Gerhard Monsees Die Schleppangler der Beschneidungsdebatte

1.8. Michael Winkler Mohel, der Beschneider (von der Redaktion gelöscht) ed2murrow Verfasstheit und ein Stückchen Haut (extemp.)

2.8. FOW: Frieder Otto Wolf Warum die emotionale Aufladung der Debatte? + Streit um Religion und Weltanschauung

10.8. Philipp Guttmann Beschneidungsurteil stärkt Kinderrechte

12.8. Michael Winkler Dance to the beat, „Antisemit“!

21.8. Georg von Grote Der Kompromiss, der keiner ist.

25.8.2012 H.Yuren Ethischer Rat?

28.8. Falmine Beschneidungsgesetz als 'Wiedergutmachung'?

1.9. Crumar Beschneidung – Ethik Agenda 2012

10.9. Alien59 Nicht zu Ende gedacht

14.9. Anetta Kahane Zerstörter Glaube

26.9. Alien59 Zerstörtes Vertrauen Borg.ius Zwangsbeschneidung für alle Ebertus April, April - nix mit Religion XXM Politikum Vorhaut

3.10. Peter A Bruns Unsere Verfassung

6.10. Gewissen "Absurdes" zur Beschneidung.

15.10 Ralf Grötker Medizinisch nutzlos?

19.10 Ulrike Baureithel Kein Friede Tobias Eichinger Keine Heilung

20.10 Crumar Beschneidung - Ethisch nutzlos

23.10 dame.von.welt Presserat

3.11. Verqueert Michel Chaouli zur dt. „Beschneidungsdebatte“ (wurde im November vom Verfasser gelöscht)

20.11 Philipp Guttmann Stärkt die Rechte der Kinder!

23.11. Meyko Sie essen Menschenfleisch

2.12. Gewissen Beschneidung, Victor S. Schonfeld

6.12. Kunibert Hurtig Eine Beschneidung (gelöscht)

11.12. ElisRea Der religiöse Bündnisfall

12.12. Robert Zion Die beschnittene Debatte

22.12 Seriousguy47 Beschneidung: Das Volk und seine „Vertreter“

31.12. Kunibert Hurtig Nachruf für einen aufrechten Demokraten (gelöscht)

3.1. Philmus Selbstzensur bei Freitag? Ebertus "Killing fetuses is murder"

8.1. Verqueert Interventionen gg.die dt Beschneidungsdebatte (das ist der Blog Nr. 100 beim Freitag, mit dem ich die Chronologie beende, die abstruse Diskussion wird sicher noch weiter gehen)

Das Meinungsbild beim Freitag scheint mir in einer übergroßen Mehrheit von Befürwortern des Kölner Urteils zu bestehen, eine Handvoll Nutzer sind angesichts absehbarer Konsequenzen und Nebenwirkungen eines Verbots skeptisch, es gibt eine (1) Stimme der Befürwortung von Zirkumzision.

Mein vorläufiges Resümee: nach über 40 Blogs und Tausenden von Kommentaren stehe ich dem Kölner Urteil beinahe noch zwiespältiger und skeptischer gegenüber wie zu Beginn der Diskussion.

Einerseits ist die Zirkumzision an Jungen ein klarer Fall von Körperverletzung und von Verstoß gegen das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit. Dagegen kann nicht argumentiert werden und darüber sind sich auch, bis auf eine einzige Ausnahme, alle Kommentatoren einig.

Andererseits werden im Rahmen eines strafbewehrten Verbots die Menschenrechte auf freie Ausübung der Religionen inklusive ihrer Kulthandlungen, auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, auf Schutz und Privatheit der Familie beschnitten. Alle drei Menschenrechte besitzen auch während Elternschaften Gültigkeit und beinhalten die im Rahmen ganz gleich welcher Erziehung unumgänglichen, irreversiblen Prägungen von Kindern. Nach meinem Verständnis sind die Menschenrechte universal gültig, unveräußerlich und unteilbar. Ein Menschenrecht einem anderen über- oder unterzuordnen, widerspricht der Grundeigenschaft ihrer Unteilbarkeit (und es mag gut sein, daß bisher das Recht auf körperliche Unversehrtheit untergeordnet wurde). Eine Abwägung von Menschenrechten gegeneinander kann aus meiner Sicht nicht durch ein Verbot, sondern nur durch Dialoge geschehen und zwar innerreligiöse und innerkulturrelle plus Dialoge zwischen Religiösen, Nichtreligiösen und den verschiedenen Kulturen.

Eine zweite Ebene der Diskussion besteht in der Abwägung physischer und psychischer Risiken gegen die medizinischen und hygienischen Vorteile der Zirkumzision. Erschwert durch eine nach meinem Eindruck schwierigen und widersprüchlichen Quellenlage, da Studien bis hin zu denen, auf die sich die Empfehlung der WHO gründet, von Meinung geprägt und vom Ende her gedacht zu sein scheinen. Eine überwiegend nicht durch religiöse Gebote geprägte Zirkumzisions-Praxis existiert in den USA, der nicht nur medizinisch-hygienische Argumente, sondern auch eine puritanische Moral zur Onanie zugrunde liegt. Beschnittene Männer äußern sich sehr unterschiedlich, was die einen als Beeinträchtigung empfinden, empfinden andere als Bereicherung ihrer Sexualität.

Eine dritte Ebene besteht im Streit Tradition/Kultur/Religionen/religiöse Gebote vs Moderne/Aufklärung. Hier erscheinen mir persönlich weder die Ausbürgerungsversuche von Religionen und Kulturen aus der Moderne noch die Exodus-Ankündigungen von Vertretern religiöser Minderheiten zur Diskussion oder gar Findung einer Lösung als besonders hilfreich. Mir fiel in den Diskussionen vielfach auf, daß kaum Kenntnisse über die heterogenen Ausprägungen von Judentum und Islam bestehen (was z.B. innerreligiöse Diskussionen und Traditionen der Sexualität oder Geschlechterordnung angeht), sondern Religion grundsätzlich mit überkommen gleichgesetzt wird. Außen vor gelassen wird, daß jede Kultur von Religion geprägt ist, daß Religiosität offenbar ein menschliches Bedürfnis und ihre Ausübung ein Menschenrecht ist.

Trotz Thematisierung in einem Blog und in mindestens einer Diskussion unter den Tisch fiel die (immerhin 80.000-120.000 Menschen in Deutschland betreffende) gängige Praxis der physischen und psychischen Geschlechtszuordnung von Kindern mit uneindeutigen oder mit ihrer Persönlichkeit zuwiderlaufenden Geschlechtsmerkmalen, die Inter- und Transidentitäten. Was meiner Ansicht nach im Zusammenhang mit einer Diskussion über die Verletzung des Menschenrechts auf körperliche Unversehrtheit durch Operation am kindlichen Genital nicht sein kann (von der zusätzlichen psychischen Gewalt der Geschlechtszurichtung dabei zu schweigen).

Ich empfinde ganz generell die angestrebte gesellschaftliche und kulturelle Gleichmacherei vermeintlicher Aufklärungs-Vertreter als erschreckend und gewann auch den Eindruck, daß viele sich nicht darüber im Klaren sind, welche Wurzeln beschneidungswise unsere Kultur hat, nämlich hellenistische und jüdische. Und auch, wie sehr die Aufklärer einer überkommenen christlichen Vorstellung von Alleindeutungshoheit über Sexualität und Geschlechterordnung, wie einem missionarischen Sendungsbewußtsein in Art und Form ihres Diskussionsstils anhängen. Es wird gegen die höchsteigenen Vorstellungen von fremden Kulturen/Religionen spiegelgefochten, ohne den Hauch einer Bereitschaft, deren Werte und Inhalte wenigstens abstrakt zu begreifen. Auch das Wesen des Dialogs scheint nicht bewußt zu sein, nämlich einen Austausch auf Augenhöhe ohne ein zeitlich absehbares und ergebnisfixiertes Ende zu führen.

Eine vierte (und bedauerlich dominante) Ebene der Diskussion erschöpft sich in Verbalgewalttätigkeit, persönlichen Animositäten, Unterstellungen, Drohungen, Zirkumzision-FGM-Gleichsetzungen, Penisneid, Ferndiagnosen körperlicher und psychischer Defizite und Krankheiten und daraus abgeleiteter Kompetenz-Absprechungen der Teilnahme an der Diskussion gegen Betroffene und Verbotsskeptiker. Ich habe in 5 Jahren Teilnahme am www noch keine derart gewalttätige Debatte erlebt.

Ging es den Verbots-Befürwortern nicht eigentlich um weniger Gewalt? Das wird nicht deutlich!

Zukunftsaussichten: Die durch das Kölner Urteil angestoßene Diskussion auf gesellschaftlicher, medizinischer und juristischer Ebene wäre eigentlich überaus begrüßenswert, wäre die Art ihrer Führung nicht so unterirdisch. Innerreligiöse Diskussionen sind aber lange schon im Gang , es gab auch bereits vor dem Kölner Urteil m.M.n. erfreuliche Tendenzen zur Entwicklung gewaltfreierer Rituale. Ein Verbot liefe m.M.n. Gefahr, diese Entwicklung wenigstens in Deutschland zu beeinträchtigen, von zusätzlicher Gefährdung von Jungen durch die Kriminalisierung der Beschneidung und der von Juden und Muslimen befürchteten Verunmöglichung ihrer Religionsausübung, damit ihrer Existenz in Deutschland zu schweigen.

Ich wäre zur möglichst schnellen Wiederherstellung der nötigen Rechtssicherheit für eine Regelung wie beim Schwangerschaftsabbruch zu haben: nämlich medizinisch nicht notwendige Beschneidungen von Jungen zwar grundsätzlich zu verbieten, sie aber unter der Vorraussetzung medizinischer Kunstfertigkeit (inkl. Anästhesie und Nachsorge) straffrei zu stellen.

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