Mitgliedervotum wird zum Dilemma

SPD Es zeigt sich immer mehr, das Mitgliedervotum führt die SPD an einen Scheideweg. Für oder gegen die Große Koalition zu sein - beides birgt erhebliche Nachteile

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Soll ich´s wirklich machen oder lass ich´s lieber sein?
Soll ich´s wirklich machen oder lass ich´s lieber sein?

Foto: Carsten Koall/ AFP/ Getty Images

"Jeder in der SPD muss dann so handeln, wie der Vorsitzende handeln würde. Die ganze Verantwortung liegt dann bei jedem einzelnen SPD-Mitglied." Das rief der amtierende SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel beim letzten Bundesparteitag in Leipzig seiner Parteibasis zu.

Es ist ein Novum in der bundesrepublikanischen Geschichte. Die gesamte SPD ist aufgefordert den Daumen entweder zu heben oder zu senken. Einem über hundert Seiten starken Papier, dem schwarz-roten Koalitionsvertrag, grünes Licht zu geben oder eine Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD in letzter Sekunde zu stoppen.

Inzwischen wird gegen die Große Koalition Front gemacht. Es gibt einen Aufruf "Wider die große Koalition!", bei dem Intellektuelle, Liedermacher, Kulturschaffende und Publizisten darauf verweisen, dass eine linke Mandatsmehrheit im Bundestag erneut ungenutzt bleibt.

Hinzu kommt nun die SPD-Basis. Der Spiegel widmet ihr die aktuelle Titelgeschichte. So hat sich das Hamburger Nachrichtenmagazin vor allem in Nordrhein-Westfalen umgehört. Mit dem Ergebnis, dass der Basis aber auch der unteren und mittleren Funktionärsebene die bisherigen Arbeitsergebnisse in den Koalitionsverhandlungen nicht sonderlich gefallen.

Laut Johanna Uekermann zweifeln die Jusos an einer Mehrheit des Jugendverbands für die Große Koalition. Sie will sich in zwei Wochen zur neuen Juso-Vorsitzenden wählen lassen.

Nun sieht alles nach einem Sudden Death aus. Ein Sudden Death ist im Eishockey die Nachspielzeit, in der das erste Tor das Spiel beendet und der unterlegenen Mannschaft den plötzlichen Tod beschert. So hat sich das die Parteiführung im Willy-Brandt-Haus sicher nicht gedacht.

Strategisch wurde das Mitgliedervotum an das Ende der Koalitionsverhandlungen platziert. Das Kakül ging so, dass die Basis schon fast automatisch grünes Licht geben würde, wenn ein Mindestlohn von Euro 8,50, bessere Arbeitsbedingungen für Zeit- und Leiharbeiter und die Mietpreisbremse in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt würden. Den Automatismus kann der gesamte SPD-Vorstand trotz der wohl ausverhandelten Ergebnisse nun knicken.

Das Mitgliedervotum wird nun zur Nachspielzeit in den Koalitionsverhandlungen, zu einem Sudden Death, einem plötzlichen Tod, für die gesamte SPD-Führungebene, sollte eine Mehrheit der SPD-Basis gegen eine Große Koalition stimmen. Für Gabriel persönlich ist das nun ein Ritt auf der Rasierklinge, ja fast schon eine Art Politharakiri mit Blick auf seine weitere politische Karriere.

Hier kommen wir zum Dilemma dieses Mitgliedervotums. Ebenfalls im Spiegel streitet der Professor für Völkerrrecht und Schriftsteller Bernhard Schlink offen dafür, dass die SPD nicht mit der Union koalieren sollte. Insoweit reiht er sich als Gegner der Großen Koalition ein. Er zeigt die Szenarien auf, die nach einem gescheiterten Mitgliedervotum, eine Große Koalition zu bilden, auf die Parteien im Bundestag warten.

Letztlich soll die SPD schon jetzt unmittelbar nachdem die Verhandlungen mit der Union gescheitert sein werden, mit den Grünen und der Linken eine rot-rot-grüne Koalition bilden. Die Mandatsmehrheit im Bundestag von vier Stimmen über den Durst gibt das her.

So sehr dieser Ansatz Respekt verdient, übersieht Schlink, dass ein gescheitertes Mitgliedervotum Sigmar Gabriel und auch Andrea Nahles verschlingen wird. Sie müssen dann zurücktreten und die SPD wäre dann Knall auf Fall führungslos. Bis sich dann neue Leute auf Länderebene wie Hannelore Kraft und Olaf Scholz in Stellung bringen, können rot-rot-grüne Sondierungen nicht beginnen.

Auch reicht die Vorstellungskraft derzeit nicht aus, wie Olaf Scholz, der in Hamburg mit der FDP den Draht nicht verlieren will, nun ein Wegbereiter für Rot-Rot-Grün auf Bundesebene spielen soll.

Ebenso das an diesem Wochenende vorgeschlagene Modell von Günter Grass, CDU/CSU in eine von der SPD und Grünen geduldeten Minderheitsregierung zu schicken, wird keine Aussicht auf Erfolg haben.

Zu tief sitzt das Weimarer Trauma von präsidialen Minderheitenkabinetten, die vom Weimarer Reichspräsidenten Paul von Hindenburg regelmäßig eingesetzt worden sind, nachdem die letzte Weimarer Große Koalition darüber gestürzt ist, die Arbeitslosenversicherung um ein Viertel Prozent zu erhöhen. Diese Minderheitenkabinette trugen erheblich zum Verfall der Weimarer Republik bei. Das Grundgesetz sieht solch ein präsidiales Minderheitenkabinett indes nur im Ausnahmefall vor.

Ein Nein jedenfalls, so viel steht fest, zieht unabsehbare Folgen und Turbulenzen für die SPD und die gesamte Republik nach sich. Neuwahlen wären wahrscheinlicher mit einem Durchmarsch einer Mehrheit jenseits der linken Mitte. Auch das hessische Modell kann sich nachträglich auf den Bund übertragen. Schwarz-Grün sollte man nach einem gescheiterten SPD-Mitgliedervotum nicht leichtfertig vom Tisch wischen.

Ein Nein ist aber auch nicht durchweg negativ zu bewerten. Es wäre für die innerparteiliche Erneuerung in der SPD jedenfalls besser als ein Ja. Warum? Die Genossen sind kurz davor, nach lediglich vier Jahren mehr oder minder Oppositionsarbeit wieder ins Bundeskabinett einzuziehen.

Das Duo Gabriel/Nahles hat gerade mal in den ersten sechs Monaten nach den verheerenden 23 Prozent bei der Bundestagswahl 2009 die Agendajahre versucht zaghagt aufzuarbeiten. Danach hat die miese Performance von Schwarz-Gelb schon ausgereicht sich als seriöse Alternative zu inszenieren.

Diese fehlende Aufarbeitung ist fast die Hauptursache für das jetzige Dilemma

Wenn die Genossen an der Basis nun den Koalitionsvertrag mit der Union durchwinken, kann die SPD Merkel zu einer dritten Amtszeit verhelfen. Eine vermeintlich stabile Regierung wird ihre Arbeit aufnehmen. Gabriel und Nahles kalkulieren, die Partei in der Regierung neu aufzubauen und sie aus dem Juniorpartnerstatus spätestens 2017 wieder zur Kanzlerpartei zu machen.

Dass dieses Konzept für die innerparteiliche Erneuerung aufgehen soll, kann man sehr stark bezweifeln. Die SPD wird wieder mit der harten Realpolitik, einer Wiederkehr der Eurokrise konfrontiert. Ein vorauseilender Gehorsam zu sozialen Grausamkeiten nicht ausgeschlossen. Das aber wird die SPD zerreißen. Eine ähnliche Situation auf anderem Niveau wie bei der FDP erscheint nicht ausgeschlossen.

Überdies wird fraglich sein, ob 2017 diese zugegebenermaßen durch einen glücklichen Zufall zustande gekommene linke Mandatsmehrheit wiederum einfach so von der Wahlbevölkerung auf dem Silbertablett hergereicht wird. Man beachte, dass nur 0,5 Prozent anders gelagtert, der deutschen Bevölkerung eine eindeutige Mehrheit rechts der Mitte aus CDU/CSU, FDP und AfD beschert hätte.

Selbst wenn man sich nun formal darauf zurückzieht, Mehrheit sei Mehrheit, liegt die eigentliche Krux darin, dass sich SPD und Linke bisher kaum richtig angenähert haben. Das gilt für beide Seiten. Anders als in Weimar als SPD und die Vorgängerpartei der Linken, die KPD, durch Moskau noch an einer Zusammenarbeit gehindert wurden, ist es bei den Parteien im ersten Quartal des 21. Jahrhundert vor allem ein innerdeutsches Problem. Geteiltes Land - unterdrückte Sozialdemokratie bis 1990 wirken bis heute auf das Verhältnis beider Parteien.

Hier sind vor allem Sigmar Gabriel und Gregor Gysi gefragt, ihre jeweiligen Parteien mittelfristig auf Koalitionskurs zu bringen. Das wird allerdings nicht schon im Januar 2014 sein. Wie es Jakob Augstein in einer seiner vergangenen Montagskolumnen bei Spiegel Online bereits skizziert hat, muss die SPD-Basis Sigmar Gabriel und Andrea Nahles einen Vertrauensvorschuss gewähren und letztlich zähneknirschend das Mitgliedervotum durchwinken.

Die Basis muss sich durchringen, die SPD in eine Große Koalition zu schicken mit einer Ausstiegsperspektive zur Mitte der Legislatur im Herbst 2015. Dazu müssen auf allen Ebenen regelmäßige Treffen zwischen SPD, Grüne und Linke stattfinden.

Die Union kann dies eh nur mehr oder weniger machtlos geschehen lassen. Dass es zu einer rot-rot-grünen Koalition schon zur Mitte der Legislatur kommen kann, macht zumindest der Öffnungsbeschluss der SPD hin zu den Linken auf dem Leipziger Parteitag deutlich.

Eine Garantie dafür gibt es allerdings nicht. So ist ein Ja für die SPD ein doppeltes Risiko: Zum einen kann die SPD von der Realpolitik in einer Großen Koalition von innen vollständig aufgezehrt werden, zum anderen kann ein rot-rot-grünes Projekt ab Herbst 2015 ausbleiben.

Es ist wahrlich ein Dilemma vor dem jedes einzelne SPD-Mitglied steht. Ab dem 6. Dezember werden die Wahlunterlagen versendet. Eine reine Briefwahl. Ab 20 Prozent Wahlbeteiligung entfaltet das Votum Bindungswirkung.

Der Verfasser selbst ist seit 2002 Mitglied in der SPD. Seit einigen Jahren allerdings nur noch ein sogenanntes passives Mitglied - eine Karteileiche. Eine Karteileiche, die zu diesem Mitgliedervotum für kurze Zeit wiederauferstehen wird. Ja oder Nein, das ist die Frage. Antwort offen.

Für Sigmar Gabriel wird diese Frage indes ein shakespearisches Ausmaß bekommen:

"Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage."

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Daniel Martienssen

Enttarnung durch Analyse: ein privates Blog zu Demokratie und Rechtsstaat, Soziales und ein bisschen Kultur.

Daniel Martienssen

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