Verfassungsrechtliche Bedenken sind Quatsch

SPD-Mitgliedervotum Die ersten Rechtsprofessoren rufen, das Mitgliedervotum verletze die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit des Abgeordneten bei der Kanzlerwahl. Das ist falsch

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Verfassungsrechtliche Bedenken sind Quatsch

Screenshot ZDF

Medial ist das Interview, dass Marietta Slomka im ZDF-heute journal mit Sigmar Gabriel am 28. November 2013 geführt hat, natürlich unterhaltsam, fallen beide Akteure doch aus ihren gewohnten Rollen heraus.

Zunächst sieht alles nach einem Interview der üblichen Art und Güte aus, indem der Interviewende versucht den Politiker mit kritischen Fragen aus seinem eingefahrenen Konzept zu bringen. Der Politiker versucht hingegen alle kritischen Fragen zu zerstreuen.

Dann jedoch fragt Marietta Slomka, ob sich die SPD verfassungsrechtliche Gedanken zu diesem Mitgliedervotum gemacht habe und bricht damit ganz scheinbar die Strukturen zwischen dem Journalisten und Politiker auf. Von da an wird das Gespräch ruppig und unterhaltsam, weil beide die gewohnte Linie verlassen.

Aber bei aller Unterhaltung muss man fragen, wie viel Substanz die Fragen nach einem verfassungsmäßigen Mitgliedervotum in sich tragen. Es gibt tatsächlich den Artikel 38 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz, der garantiert, dass Abgeordnete an Aufträge und Weisungen nicht gebunden sind und nur ihrem Gewissen unterworfen sind.

Ein imperatives Mandat sieht das Grundgesetz damit in der Parteiendemokratie nicht vor. Ein imperatives Mandat liegt vor, wenn Parteien auf Parteitagen Sachfragen in politische Beschlüsse gießen und die Abgeordneten dieser Partei im Parlament ihr Abstimmungsverhalten peinlichst genau an dem Parteitagsbeschluss anpassen muss.

Letztlich sind solche Mechanismen wie der Fraktionszwang längst gelebte Parlamentspraxis und eine sanfte Art des imperativen Mandats. Solange das Pendel nicht zu stark ausschlägt, wird es auch aus Karlsruhe toleriert.

Im Fraktionszwang münden letztlich Parteitagsbeschlüsse hinein. Moralische Fragen zu Gesetzen, wie dem Beschneidungsgesetz oder dem Embryonenschutzgesetz, werden von den Fraktionen als Gewissensfragen freigegeben.

Die Grünen haben indes versucht das imperative Mandat in ihren Anfangsjahren bis ins Exzessive zu praktizieren. Das Bundesverfassungsgericht hat über diesen Fall allerdings nicht entscheiden müssen, weil das imperative Mandat schon an der mangelnden Mobilisierung der Basis gescheitert ist. Die grüne Basis hätte jeden Tag zu Sachfragen Stellung nehmen und konrekte Weisungen an die Abgeordneten erteilen müssen -eben ein Stück Räterepublik.

Jetzt drängt sich die Frage auf, ob das SPD-Mitgliedervotum einem imperativen Mandat gleichkommt. Es ist ein Werkzeug der Parteien Handlungen der Parteiführung festzulegen. In diesem Fall hat die SPD-Führung mit der CDU-Führung und der CSU-Führung einen Koalitionsvertrag ausgehandelt, der Grundlage der drei Parteien sein soll, vier Jahre gemeinsam zu regieren.

Christoph Degenhart, Staatsrechtsprofessor an der Universität Leipzig, behauptet nun, das Mitgliedervotum berühre die anstehende Kanzlerwahl im Parlament und damit die Freiheit des Abgeordneten aus Artikel 38 Grundgesetz.

Dieser Sachverhalt wäre dann gegeben, wenn die SPD-Basis gefragt würde, ob sie wollen, dass die Abgeordneten der SPD-Bundestagsfraktion Angela Merkel in eine dritte Amtszeit wählen sollen. Die SPD-Basis wird aber zu einem Koalitionsvertrag, einem Regierungsprogramm, befragt, das sich eben drei Parteien gegeben haben.

Die SPD-Basis entscheidet also gerade keine Frage, die Abgeordnete direkt in ihrer parlamentarischen Entscheidungsfreiheit beeinflussen, sondern über einen Vertrag zwischen politischen Parteien.

Nun kann man spitzfindig dazu kommen, dass dieses Votum mittelbar die Kanzlerwahl beeinflusst. Denn nehmen wir nur mal an, die SPD-Basis stimmt gegen den Koalitionsvertrag, dann werden die SPD-Abgeordneten am 17. Dezember Angela Merkel nicht noch einmal zur Bundeskanzlerin wählen.

Und trotz dieser mittelbaren Folge kann in diesem Votum eben gerade kein imperatives Mandat auf die Abgeordneten im Bundestag gesehen werden. Wenn das Ergebnis dieses Votums am 14. Dezember feststeht, hat Bundespräsident Joachim Gauck noch lange nicht Angela Merkel als Kandidatin für die Kanzlerwahl im Bundestag vorgeschlagen. Die Kanzlerwahl, die Besetzung der Ausschüsse, all das wird erst nach diesem Votum durchgeführt. Sie können daher schon denknotwendig nicht Gegenstand des Mitgliedervotums werden.

So kann dieses Votum schon formal staatsrechtlich kein imperatives Mandat auf die SPD-Abgeordneten sein. Es steht statutenrechtlich auf einer Stufe mit einem kleinen oder einem großen Parteitag, auf denen ein Koalitionsvertrag theoretisch ebenfalls abgelehnt werden kann. Die CSU beruft sogar nur den Parteivorstand ein, um den Koalitionsvertrag abzusegnen. Aber selbst da kann dieser theoretisch durchfallen. Hier hat noch nie irgend jemand "imperatives Mandat" gerufen.

Insofern liegt Sigmar Gabriel richtig, wenn er Marietta Slomka aufruft: "Tun Sie mir ein Gefallen. Lassen Sie uns diesen Quatsch beenden."

Dass das Mitgliedervotum aber imperative Wirkung hat, ist unbestritten. Es verpflichtet den SPD-Vorstand sich nach dem Votum der SPD-Basis zu richten. Das ist verfassungsrechtlich nicht bedenklich, sondern innerparteiliche Demokratie.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Daniel Martienssen

Enttarnung durch Analyse: ein privates Blog zu Demokratie und Rechtsstaat, Soziales und ein bisschen Kultur.

Daniel Martienssen

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