Ein bitterer Beigeschmack

Nahrung Ilse Aigners Initiative "Zu gut für die Tonne" will Studierende aufklären - und ignoriert zentrale Gründe für die Verschwendung von Lebensmitteln

Agrarministerin Ilse Aigner ist bedrückt. „Jedes achte Lebensmittel, das wir kaufen, werfen wir weg.“ Und das, „obwohl es eigentlich noch verzehrbar wäre“, wie die CSU-Politikerin beklagt. Aigners Politik verfolgt ein ehrgeiziges Ziel, kein selbst gestecktes Ziel, sondern eines, das die EU-Kommission vorgibt: Die Lebensmittelverschwendung soll bis zum Jahr 2020 halbiert werden.

Es stimmt sicherlich, dass wir in einer Gesellschaft des Überflusses leben, und vieles als selbstverständlich erachten, was in anderen Erdteilen nicht, oder nur mangelhaft vorhanden ist. Um die Verschwendung in den Griff zu bekommen, versucht Aigner nun den Bürgern mehr Verantwortung und ein neues Konsumverhalten nahezulegen. Doch damit geht sie nicht weit genug. Verschwendung geht nicht nur von den Verbrauchern aus.

Bauern wie Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf berichten, sie müssten 30 bis 35 Prozent ihrer Ernte aussortieren – jedes dritte genießbare Lebensmittel. Dabei könnten die meisten dieser Knollen gegessen werden, sagte der Kartoffelbauer und ehemalige Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft der TAZ. Wie kann das sein?

Abfall ist eine Frage der Definition

Verschwendung und Abfall sind immer eine Frage der Definition. Aigners Ministerium bezieht sich auf eine Studie der Universität Stuttgart, nach der nur solche Lebensmittel als „verloren“ gelten, die „keiner alternativen Verwendungsmöglichkeit“ zugeführt werden können. Was also nicht Verschwendung heißt, kann auch nicht Verschwendung sein.

Mit der Beteiligung des Deutschen Studentenwerks an Aigners Initiative „Zu gut für die Tonne“ will die CSU-Politikerin jetzt Deutschlands rund 2,5 Millionen Studenten erreichen. Angeblich stellen sie eine Generation dar, die „überverhältnismäßig viel wegwirft“. Insgesamt, rechnet Aigner vor, sind es Nahrungsmittel in einem Wert von 235 Euro pro Kopf und Jahr. Den verschwenderischen Studenten will sie also die Welt erklären.

Aber sie lässt außen vor, dass Bauern dazu gezwungen sind, einen großen Teil ihrer Erzeugnisse auszusortieren, nur weil sie kleine Fehler haben und damit nicht der von den Supermarktketten geforderten Norm entsprechen. In Biogasanlagen oder als Tierfutter verwertetes krummgewachsenes, zu kleines oder zu großes Gemüse gilt im Sinne der Studie nicht als Verschwendung.

Die Verschwendung, da ist sich die Ministerin sicher, könne man „nie mit Gesetzen regeln, sondern nur mit Aufklärung“. Der Eindruck, dass die Agrarministerin die Lebensmittelindustrie ausklammert, hinterlässt einen bitteren Beigeschmack. Sie weiß, das Ganze „hat viel mit Wissen zu tun“, denn die meisten Menschen begründen ihre Wegwerfneigung mit dem Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums – das ja „kein Wegwerfdatum ist, sondern eine Gütegarantie“, wie Aigner selbst sagt. Dazu, dass viele Supermärkte ihre Lebensmittel bereits Tage vor Ablauf dieses Datums aus den Regalen nehmen, sagt die Agrarministerin nichts.

Interessierte Studenten hören nicht zu

Es gibt ja auch genügend zu tun, „was das Informieren der Studierenden angeht, und das Sensibilisieren für das Problem der Verschwendung“, sagt sie im Speisesaal der Berliner Mensa Nord. Um sie herum stehen bunte Wandtafeln mit Ratschlägen zur effizienteren Verwertung und Lagerung von Nahrungsmitteln.

„Die Studierenden sind sehr interessiert“, betont sie, „sehr nachhaltig interessiert.“ Allerdings ist sie nicht wirklich gut zu verstehen. Im Hintergrund läuft bereits der Mensabetrieb. Dutzende Studenten essen, kauen und schwatzen – kaum einer hört den Ausführungen der Agrarministerin zu. Studentenwerkspräsident Dieter Timmermann versucht das erfolglos zu überspielen. „Die Studierenden sind ja nicht ganz so aufmerksam, weil sie Hunger haben und essen“, merkt er an, und vermutet, dass sie über die aufgeworfenen Fragen diskutieren.

Nach nur zwanzig Minuten ist die Pressekonferenz vorbei. Aigner wirkt erleichtert und verschwindet in der Mensaküche – zur geplanten Besichtigung. Es geht vorbei an gedünstetem Gemüse, tiefen Frittierbecken und gefrorenen Schnitzeln. Immerhin, die Küche der Mensa Nord ist eine der modernsten. Zumindest hier wird kaum etwas verschwendet.

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Geschrieben von

David Kappenberg

Freier Journalist auf Hospitanz.

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