Frohe Botschaft Papst Franziskus hat den Kapitalismus attackiert. Wird der Vatikan jetzt links? Auf welche Vorbilder er sich konfessionsübergreifend beziehen könnte, verrät unser Lexikon
Anti-AKW-Bewegung In den Achtzigern, als an den Baustellen in Brokdorf und Gorleben der Kampf gegen die Atomkraft begann, war es eine engagierte Minderheit unter den Pastoren, die sich den Protesten anschloss. Die meisten waren auch in der Friedensbewegung aktiv, unter ihnen die Theologen Dorothee Sölle und Helmut Gollwitzer, die 1985 an der Sitzblockade vor der Raketenbasis Mutlangen teilnahmen. Eine kleine Gruppe, sich der Macht der Bilder wohl bewusst, demonstrierte gegen AKWs auch im Talar. Die meisten Pastoren zogen jedoch den „Atomkraft? Nein Danke“-Sticker der Amtstracht vor. Seit der Reaktorkatastrophe von Fukushima ist es in der evangelischen und katholischen Kirche Common Sense, AKWs abzulehnen. Wer sich früher von der Kanzel kritisch zur Atomkraft äu&
itisch zur Atomkraft äußerte, wurde am Telefon von Gemeindemitgliedern schon mal mit der Empfehlung bedacht: „Geh doch nach drüben!“ Heute sagt selbst ein Konservativer wie Erzbischof Zollitsch, dass die Atom-Energie keine Zukunft mehr hat. Christine KäppelerBBarth, Karl Von Karl Barth stammt das berühmteste Zitat zum Thema linke Christen, auch wenn er selbst nie im Bund Religiöser Sozialisten Deutschlands (➝Sozialismus) war. Als frisch gebackenes SPD-Mitglied erklärte er 1915: „Ein wirklicher Christ muss Sozialist werden, wenn er mit der Reformation des Christentums Ernst machen will. Ein wirklicher Sozialist muss Christ sein, wenn ihm an der Reformation des Sozialismus gelegen ist.“Barth, 1886 in Basel geboren, merkte als Prediger einer Arbeitergemeinde, wie defizitär seine evangelische Ausbildung war. Nach neuerlichem Bibelstudium verstand er die Schrift als lebendiges Gotteswort. Dieses sollte seine Verkündigungstheologie verbreiten. Gegen die Gleichschaltung im Nationalsozialismus wehrte sich Barth und wurde Mitbegründer der Bekennenden Kirche. Aufrüstung und Restauration waren dann seine weltlichen Gegner nach der Befreiung von der Nazi-Herrschaft – Versöhnung sein Ziel. Tobias PrüwerCCardenal, Ernesto Einer der wichtigsten Vertreter der in Lateinamerika entstandenen Befreiungstheologie ist Ernesto Cardenal. Begründet wurde sie von Geistlichen, die sich seit den Sechzigern für soziale Gleichheit starkmachten und christliche Werte als Basis für Gesellschaftskritik in diktatorischen Systemen nutzten, was ihnen Kirchenausschluss und Verfolgung bescherte. Der 1925 in Granada geborene Carde nal studierte Theologie in Mexiko, Kolumbien und New York. Seit seiner Schulzeit schrieb er Gedichte. 1952 ging er nach Nicaragua, schloss sich der oppositionellen Jugendbewegung an und beteiligte sich 1954 an der April-Revolution, die niedergeschlagen wurde. Er entkam und flüchtete in die USA, setzte seine Studien fort und schrieb mehrere Bücher, unter anderem Das Evangelium der Bauern von Solentiname (1975). Nach dem Sturz der Somoza-Regierung 1979 kehrte Cardenal nach Nicaragua zurück und war bis 1987 Kulturminister. 2005 war er für den Literaturnobelpreis nominiert. Sophia HoffmannFFrühbürgerliche Revolution Den Begriff „deutsche frühbürgerliche Revolution“ ziehen marxistische Historiker zur Interpretation für den von Thomas Müntzer angetriebenen Bauernkrieg und die lutherische Reformation heran. Zusammen mit der Hussitenbewegung als revolutionärem Vorabend werden sie als sich gegenseitig befeuernde Ereignisse gedeutet, die das alte System sprengten. Sie sollten in eine bürgerliche Zeit führen, die es dann durch den Sozialismus zu überwinden galt. Das Problem für DDR-Historiker war, die Akteure im Sinne des historischen Materialismus zu identifizieren. Dieser fasste Geschichte als Forstschrittserzählung auf, also mussten die „frühbürgerlichen“ Revolutionäre das richtige Klassenbewusstsein mitbringen. Allerdings war die Gesellschaft damals von drei Ständen in den Funktionen Gebet, Krieg, Arbeit geprägt, nicht von Klassen. Diese Revolution, die sich aus sozialen, aber auch aus religiösen und nationalen Ursachen speiste, kam gut ohne Bürger aus. TPKKing, Martin Luther Als Martin Luther King am 28. August 1963 in Washington seine wohl berühmteste Rede hielt, war er schon längst nicht mehr nur Baptistenpastor, sondern auch eine politische Persönlichkeit. Jahrelang hatte er sich als bekanntestes Gesicht der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung gegen Rassismus und soziale Ungerechtigkeit engagiert. Der Höhepunkt dieser Bewegung war eben jener Marsch nach Washington am 28. August 1963. 250.000 Menschen forderten damals Arbeit und Freiheit. Kings Engagement rief auch das FBI auf den Plan. Dessen Chef J. Edgar Hoover warnte vor kommunistischen Strömungen innerhalb der Bürgerrechtsbewegung. Welche politische Strahlkraft King noch heute hat, zeigte sich im August diesen Jahres: Zum 50-jährigen Jubiläum waren wieder Zehntausende nach Washington gekommen. Mit Transparenten, auf denen „A living wage vor all“ oder „Social mobility is a myth“ stand. Benjamin KnödlerKüng, Hans Der Schweizer Theologe Hans Küng machte sich nicht erst als Unterzeichner der Wir-sind-Kirche-Initiative unbeliebt. Schon 1957 wurde im Vatikan eine Akte über Küng angelegt. Ende der 1960er-Jahre veröffentlichte er zwei kirchenkritische Bücher, es folgte der Bruch mit seinem einstigen Vertrauten Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI. Im Laufe der Siebziger versuchte die Kirchenführung wiederholt ihn zu Stellungnahmen zu bewegen. Küng reagierte nicht, und so wurde ihm letztendlich 1979 die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen. Dies traf ihn schwer, er widmete sich verstärkt der Lehrtätigkeit an Universitäten in Tübingen und Edinburgh und gründete 1995 die Stiftung Weltethos, die sich für Religionsfrieden einsetzt. SHLLinksevangelikale Seit den Eskapaden der US-Tea-Party sind die Evangelikalen auch hierzulande berühmt-berüchtigt. Das laute Auftreten der stramm rechtskonservativen Christen, die Liberalismus mit Stalinkult verwechseln, lässt nicht ahnen, dass auch politisch anders Motivierte im freikirchlichen Protestantismus zusammenfinden. Die sogenannten Linksevangelikalen – sie sind insbesondere in den USA aktiv – streben die Bekämpfung von Armut und die Herstellung von gesellschaftlicher Gerechtigkeit an. Mal politisch, mal theologisch begründet oder auch beides. Natürlich stellt sich hier die beliebte Frage neu, was eigentlich „links“ bedeutet. Im Grunde ist der Linksevangelikanismus liberal zu nennen, was in der US-Politik eben schon left wing ist. Wie bei allen Evangelikalen gilt die Bibel als einzige Autorität, man leitet aber anderes aus dem Gotteswort ab als die Rechten. Linksevangelikale lehnen die Todesstrafe ab, sind für ein Waffenverbot und oft radikale Pazifisten. Biblisch begründet sich auch ihre Forderung nach staatlichen Wohlfahrtsprogrammen. So begrüßt eine ihrer Websites: „God is a liberal“. TPRRote Priester Die linken Katholiken und der Mai ’68? Noch ist relativ wenig bekannt über den Einfluss der „Roten Priester“, wie man sie in Frankreich genannt hat. Sie haben ihren Ursprung im Belgien und Frankreich der Zwanziger und Dreißiger, und wollten als Teil europaweiter sozialer Bewegungen auch missionieren. Sie suchten deswegen die Nähe zu Arbeitern. Gerd-Rainer Horn, Geschichtsprofessor am Pariser Institut Science Po, beschäftigt sich in einem neuen Buch intensiv mit ihrer Rolle. Eine Aktion in Frankreich wurde zum Symbol. 1973 kam es bei LIP, einer Uhrenfabrik in Besançon, zur Revolte: Neun Monate lag der Betrieb in den Händen der Arbeiter. Sie wurden vom Erzbischof und von anderen katholischen Priestern unterstützt. Jean Raguenès, einer von ihnen, war an Pariser Fakultäten aktiv, während 1968 im Quartier Latin Barrikaden gestürmt wurden. Für den Vatikan waren Rote Priester aber damals ein rotes Tuch. Maxi LeinkaufSSozialismus Der religiöse Sozialismus entsprang vor allem dem Protestantismus und führte in der Weimarer Republik 1926 zur Gründung der Kirchenpartei „Bund der religiösen Sozialisten Deutschlands“ (BRSD). Bergpredigt und biblische Geldkritik, das Diktum der Nächstenliebe und die protokommunistisch anmutende Jerusalemer Urgemeinde bildeten das theologische Fundament dieser religiösen Kapitalismuskritiker, ➝Karl Barth beeinflusste viele Anhänger. Der BRSD forderte die Trennung von Kirche und Staat und eine Senkung der Kirchensteuer, trat gegen die Arbeitslosigkeit und Militärgottesdienste ein. 1933 wurde er zerschlagen, viele Mitglieder schlossen sich der Bekennenden Kirche an und wirkten ab 1945 in verschiedenen Gruppen. Nach der Neugründung 1977 fand der BRSD nie zur Vorkriegsgröße zurück. TPW„Wir sind Kirche“ Auslöser dieser in Österreich gegründeten Initiative war der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs an Kindern gegen den damaligen Wiener Erzbischof Hans Hermann Groer im Jahr 1995. „Wir sind Kirche“ organisierte daraufhin ein Kirchenvolksbegehren, das von über 500.000 Österreichern unterzeichnet wurde. In den kommenden Jahren gab es ähnliche Unterschriftenaktionen in Deutschland, den USA und Großbritannien. Mittlerweile gibt es Ableger in 41 Ländern weltweit. Prominente Unterzeichner sind Politiker wie Annette Schavan, Rita Süssmuth, Wolfgang Thierse oder Erwin Teufel. Wir sind Kirche stellt fünf Grundforderungen: Aufbau einer geschwisterlichen Kirche, volle Gleichberechtigung von Frauen in allen kirchlichen Ämtern, freie Wahl zwischen zölibatärer und nicht-zölibatärer Lebensform, positive Bewertung der Sexualität als wichtiger Teil des von Gott geschaffenen und bejahten Menschen und: Frohbotschaft statt Drohbotschaft. Die Initiative ist von der römisch-katholischen Kirche nicht offiziell anerkannt. SHZZweites Vatikanisches Konzil Charles de Gaulle nannte das Zweite Vatikanische Konzil, das vom 11. Oktober 1962 bis zum 8. Dezember 1965 in Rom stattfand, einmal „das wichtigste Ereignis des 20. Jahrhunderts“. Und Beobachter erkannten im Nachhinein in ihm das 1968 der katholischen Kirche.Was war da passiert? Zuvor liefen Konzile so ab, dass die Bischöfe zusammenkamen, um vorbereitete Papiere abzunicken. Doch im Oktober 1962 sagte erst der französische Kardinal Achille Liénart, dann auch der Kölner Kardinal Josef Frings, dass man es diesmal anders halten wolle – und die katholische Kirche begann zu diskutieren. Als Ergebnis verabschiedete man sich vom jahrhundertealten Vollkommenheitsdünkel. Zum ersten Mal gestand die katholische Kirche jedem Menschen seine Religion zu und rief zum Dialog mit anderen Glaubenslehren auf. Und sie begann sich für die moderne Welt zu öffnen. So bedauerte das Konzil, dass die Kirche die Autonomie der Wissenschaft nicht genügend geachtet habe. Galileo Galilei wurde allerdings erst 1992 rehabilitiert. Bis heute lässt sich die Kirche Zeit bei der Umsetzung der Beschlüsse. So mahnt etwa die Initiative ➝Wir sind Kirche immer wieder an, dass die katholische Kirche sich endlich auf der Basis des Zweiten Vatikanischen Konzils erneuern müsste. Jan Pfaff
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