Aristoteles Sokrates hatte einen. Platon auch. Aristoteles sowieso. Eigentlich jeder antike griechische Philosoph war bärtig. Seither verbindet man mit einem Bart den Weisen, den Gelehrten. Philosophen eben. Aber die Philosophie als Königin der Wissenschaften – das war mal. Und Jungsphilosophen à la Precht brauchen keinen Bart mehr. Erinnert sei daher nochmals an seine Bedeutung in der Menschheitsgeschichte: Samson wurde, seiner Haarpracht beraubt, ein Schwächling. Für die philosophischen Hunde, die Kyniker, war der Vollbart Pflicht. Epiktet, griechischer Philosoph in Rom, wurde vor die Wahl gestellt, entweder seinen Bart abzurasieren oder geköpft zu werden. Seine Antwort: „Ich rasier ihn nicht ab.“ Thomas Morus soll bei seiner Hinrichtung s
20; Thomas Morus soll bei seiner Hinrichtung seinen Bart mit den Worten beiseite geschoben haben: „Der hat ja keinen Hochverrat begangen.” Und Schopenhauer sagte über den Bartwuchs, er werde wegen seiner sexuellen Konnotation von Frauen gerne betrachtet. Baran KorkmazBBarbaren Nein, sie haben ihren Namen nicht aufgrund ihrer extravaganten Gesichtsbehaarung verpasst bekommen. Als Barbaren bezeichneten die antiken Griechen alle Fremden, deren Sprache sie nicht verstanden. Es bedeutet in etwa Stammler und Stotterer. Wer für das Hellenen-Ohr nur wild herumrhabarberte, galt als kulturlos und unzivilisiert – eben barbarisch. Der Rhabarber, der erst im 18. Jahrhundert aus der Himalaya-Region nach Mitteleuropa wanderte, ist dem Namen nach eine „fremde Wurzel“, wird insofern vom Barbaren abgeleitet. Auch die Heilige Barbara, Schutzpatronin der zwergengleichen Bergleute, ist dem Ruf nach eine Fremde. Von einem ➝ Damenbart ist nichts überliefert. Tobias PrüwerDDamenbart Haare auf den Zähnen mögen viele noch hinnehmen. Ein Damenbart bedeutet für die Betroffenen jedoch meist Leidensdruck. Schließlich verstößt so ein männliches Haarverteilungsmuster gegen eine Grundfeste unserer Gesellschaft: die Geschlechterdifferenz. Hirsutismus nennt sich das medizinisch und kann anlage- oder krankheitsbedingt verursacht sein. Bis zu zehn Prozent aller Frauen sind vom Hirsutismus betroffen. Als „Pfui-Bart“ galt er aber nicht immer. Pharaoninnen klebten sich extra Haare ans Kinn, um mit dem Bart Macht zu symbolisieren. Malerin Frida Kahlo machte ihren Oberlippenflaum zum Markenzeichen. In der queeren Szene soll der angepappte Kunstbart die Geschlechterrollen parodieren – was auch in der Popkultur nachgeahmt wird. Die Bloggerin Frau mit Bart hat 2008 aufgehört, sich zu rasieren, und teilt ihre Erfahrungen auf fraumitbart.wordpress.com. Und Angela Merkel musste was aushalten, als wütende Griechen auf Karikaturen das Hitlerbärtchen zu ihrem Damenbart machten! TPDiktatoren Schlächter, Potentaten, Autokraten sind in der Regel Bartträger. Es gibt natürlich Ausnahmen. Die asiatischen Menschenschinder Mao Zedong, Pol Pot oder Kim Jong-il zum Beispiel. Doch ihre Bartlosigkeit hatte womöglich schlicht genetische Gründe. Fabian Braun, damals noch Designstudent, brachte 2008 ein Magazin heraus, in dem er die Diktatorenbärte typologisierte. Hitlers Zweifinger-Schnauzer ordnete er als „Rednerbart“ ein, weil er sich besonders gut zum Agitieren eignete. Der Oberlippenbusch von Stalin strahlte Autorität und Skrupellosigkeit aus, während die Spitzbartvariante von Lenin intellektuell daherkam. Die Extrembewaldung Castros wiederum steht für den dschungelerprobten Freiheitskämpfer und Kommunisten, womit der Vollbart von Saddam Hussein bei seiner Festnahme 2003 so gar nichts zu tun hatte. Der hatte in seiner Erdhöhle bloß keinen Rasierschaum. MSFFußball Ein Bart ist mehr als Haarwuchs im Gesicht. Gerade bei Profifußballern. Sie stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit und sind eitel, da muss die Wolle auf den Wangen gut aussehen. So ein Bart ist ja auch immer eine Botschaft an die Fans. Er vermittelt: Ich hänge mich für euch rein. Oder: Ich bin so wie ihr. Oder: Ich bin anders. In den siebziger, achtziger und auch noch in den neunziger Jahren war der Oberlippenbart weit verbreitet. Jogi Löw hatte einen, Olaf Marschall, Jürgen Kohler, Uwe Bein oder auch Olaf Thon. Das war damals keine White-Trash-Persiflage wie in den heutigen Hipster-Hochburgen, sondern einfach ➝ Mode. Der Schnauzer war die Adilette unter der Nase, Signum für Spießer und Normalos. Rebellen trugen Vollbart wie Paul Breitner oder einen spitz zulaufenden Robin-Hood-Schnitt wie der Ostermaschierer Ewald Lienen.Heute dominiert im Fußball der Dreitagebart. Er deckt gleich mehrere Codes ab: Lässigkeit, Malochertum, Verlässlichkeit. Er ist wie gemacht für Fanlieblinge. Die stylishe und exzentrischere Alternative ist der Henriquatre, das Franck-Ribéry-Modell, oder – sehr beliebt bei Spielern mit Getto-Vergangenheit – der Rap Industry Standard. Der gefällt auch Sponsoren und den Leuten im Viertel. MSIIdentität Der Räuber-Hotzenplotz-Bart ist legendär. In den Abenteuergeschichten, die man später las, wurde Hotzenplotz vom Piraten Blackbeard abgelöst. Heute faszinieren ausgefallene Bärte noch immer. Baseballfans kennen Brian Wilson, der für die L.A. Dodgers spielt, vor allem wegen seines langen, schwarzen Bartes. Er ist sein Ausweis geworden – schließlich lässt er ihn seit 2010 wachsen. Das brachte eine US-Rasiererfirma auf eine Marketing-Idee: Sie bot Wilson eine Million Dollar an, wenn er seinen Bart abrasiere. „Wenn unsere Rasierer es mit Wilsons Bart aufnehmen können, sollten sie Wunder beim durchschnittlichen Mann bewirken“, so der Firmenchef. Wilson, der das Angebot gar nicht ernst genommen hatte, lehnte ab. Nicht ohne meinen Bart – und eine Million hat einer wie er auch so. Benjamin ZimmermannMMarx Was machen 500 Gartenzwerge in der Innenstadt von Trier? Ganz in Rot? Hätte Karl Marx keinen Bart getragen, wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, die knapp ein Meter hohen Marx-Figuren als „Gartenzwerge“ zu bezeichnen. Aber der Vollbart ist das Erkennungsmerkmal des Philosophen, der vor etwa 200 Jahren in Trier geboren wurde. Inzwischen ist Marx zu einer Pop-Ikone geworden, die selbst von Kapitalisten akzeptiert wird. Die Sparkasse Chemnitz hat im vergangenen Jahr eine Kreditkarte mit dem Konterfei des Klassenkämpfers herausgegeben. Die Kunden hatten zuvor für dieses Motiv gestimmt. Wofür aber würde Marx stimmen: die Herrschaft der Arbeiter oder die Herrschaft der Bärte? Laut seinem Freund Friedrich Engels gibt es ja nur die zwei Alternativen: „entweder Übergang zum Sozialismus oder Rückfall in die ➝ Barbarei.“ Felix WerdermannMode Salvador Dalís Zwirbelbart oder der aufgemalte Schnauzer von Groucho Marx werden bis heute zitiert. John Waters trägt den Menjou als ironisches Zitat ans alte Hollywood, und nicht wenige Rockmusiker orientieren sich optisch an ihren Hippie-Vorbildern der sechziger Jahre. Auch der Magnum-Porno-Schnauzer hat vor ein paar Jahren ein erstaunliches Comeback erlebt, bevor die Hipster den Vollbart entdeckten. Der ist mittlerweile so weit im Mainstream angekommen und etabliert, dass sich selbst Tagesthemen-Sprecher Ingo Zamperoni mit einer gemäßigten Version in unsere Wohnzimmer traut. Dagegen zeichnen sich fast alle deutschen Fernsehköche durch seltsame ➝ Ziegenbärte aus, die in ihrer Hässlichkeit nur noch von Brad Pitts Schamhaarbart mit eingeflochtenen Perlen übertroffen werden. Sophia HoffmannNNeid Penisneid kennt jede Frau. Aber den gibt es gar nicht. Wer will schon einen Penis? Bartneid dagegen ist real. Eine echte Belastung für den Charakter des Betroffenen und ein unterschätztes gesellschaftliches Problem. Hier irrte Sigmund Freud, als er die Frustrationen kleiner Mädchen beschrieb, die irgendwann feststellen, dass da bei ihnen „nichts“ ist. Da sprach das Patriarchat. Aber Sigmund Freud hatte gut reden: Er hatte einen Penis und einen Bart. Andersherum gilt, wie wir Bartlosen wissen: Was nützt der Penis ohne Bart?Mit so einem Penis kann man nicht viel anfangen. Ein Bart dagegen ist etwas sehr Nützliches. Er kann lustig kitzeln, er schützt empfindliche Partien des Gesichts im Winter gegen den Wind und im Sommer gegen die Sonne, und außerdem verhindert er, dass Ei, Marmelade oder Bierschaum auf den Hemdkragen tropfen. Statt „Schwanz ab!“ sollte der feministische Kampfruf also „Bart ab!“ lauten. Andererseits: Ist bei vielen Männern nicht ohnehin der Bart ab? Jakob AugsteinPPolitiker Könnte der Bartwuchs Wahlen entscheiden? Nicht ausgeschlossen. Eine Umfrage von Innofact ergab, dass Bärte von Politikern Wählermeinungen beeinflussen können. Fast jeder dritte Deutsche hält Politiker mit Vollbärten für bürgernäher als ihre rasierten Kollegen. Außerdem ergab die Umfrage, dass sie vertrauenswürdiger und weniger korrupt erscheinen. Auch Machtgier schrieben die Befragten eher glattrasierten Politikern zu. Wenn es um Kompetenz geht, ist ein Bart jedoch machtlos – rasierte Politiker werden als fähiger empfunden. Welcher Politiker trägt überhaupt noch Bart, wie vor seinem Absturz mal Scharping und zuletzt Thierse? Alle sind heute so glatt. Da könnte sich Steinbrück doch schnell noch einen wachsen lassen. bezVVerdacht Strenggläubige Muslime lassen ihr Barthaar unterhalb des Kinns mindestens eine Faustlänge stehen, wie es in den heiligen Schriften vorgeschrieben ist. So auch die ägyptischen Muslimbrüder. Nachdem auch unbescholtene Bürger im Zuge der blutigen Konflikte ins Visier von Polizei und selbst ernannter Volksmiliz geraten, lassen sich viele, entgegen ihrer Überzeugung, den Bart abrasieren, um ihre radikal-religiöse Zugehörigkeit zu verstecken. Auch bei der Rasterfahndung in der vom RAF-Terror-verängstigten Bundesrepublik der siebziger Jahre hatten es verdächtig aussehende, vollbärtige Männer schwer. Auch mein Vater wurde bei jeder Gelegenheit kontrolliert, und manchmal scherzte er sogar mit den Beamten, weil man sich schon kannte. SHZZiegenbart Mehr als 30 Prozent der deutschen Männer tragen Dreitagebart, einen Bart also, der einfach so drauflos wächst wie ein Stück Rasen. Man muss ihn nur ab und zu mähen. Andere zeitgenössische Bartmodelle erfordern da schon mehr Arbeit. Der Henriquatre etwa, wie ihn Stefan Raab trägt, kann schlecht gepflegt schnell aussehen wie ein halb abgenagtes Kotelett – dabei soll er doch männlich wirken. Manche halten ja die Rund-um-den-Mund-Behaarung eher für den verzweifelten Versuch, einem Allerweltsgesicht etwas Profil zu verleihen. Früher verwendete man dafür verrückte Brillen. Ein Dauerbrenner ist heute der Ziegenbart. Er gibt dem Träger eine gewisse Folknote. Man kann damit zu Open-Air-Festivals fahren und sich vollregnen lassen. Dort begegnet man am Eingang auch häufiger dem Fu Manchu. Anders gesagt: dem Zuhälterbart. MS
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