Absurd

Linksbündig Die Entlassung des kubanischen Dichters Raúl Rivero ist wie seine Verhaftung

Eine Regierung, die einen ihrer größten Poeten und Schriftsteller einsperrt, disqualifiziert sich selbst." Solche Sätze äußerten in den vergangenen 20 Monaten auch Kulturschaffende, die ihrem eigenen Land kritisch-loyal gegenüber stehen und sich dagegen wehren würden, als Dissidenten bezeichnet zu werden. Gleichzeitig war eine Meinungsäußerung zugunsten des Dichters Raúl Rivero stets mit dem Wunsch versehen, anonym zu bleiben; man wolle keine Schwierigkeiten.

Seit gut drei Wochen ist auf Kuba kein großer Poet und Schriftsteller - und Träger des Unesco-Journalistenpreises 2004 - mehr im Gefängnis eingesperrt. Im Laufe einer Woche wurden in Havanna insgesamt sieben Oppositionelle freigelassen; neben Raúl Rivero etwa der Ökonom Oscar Espinosa Chepe, mit 64 Jahren der Älteste unter den Anfang April 2003 zu absurd hohen Haftstrafen (20 Jahre für Chepe wie für Rivero) verurteilten 75 Oppositionellen. Ähnlich wie Raúl Rivero, der eine glänzende Karriere in Kubas Kulturbetrieb gemacht hatte und mit den höchsten Auszeichnungen des Landes bedacht worden war, hat Chepe eine Biografie in Kubas Apparat vorzuweisen. Er war ein Jahrzehnt lang kubanischer Handelsattaché in Jugoslawien und hatte danach wichtige Funktionen in der kubanischen Zentralbank inne. Bereits im Juli dieses Jahres waren neben der Ökonomin Martha Beatriz Roque sechs weitere Oppositionelle freigekommen, so dass derzeit noch 61 der im April 2003 Verurteilten eingesperrt sind.

Mit der bedingungslosen Haftentlassung von Raúl Rivero, der die ersten elf Monate seiner Gefängniszeit isoliert in einer 1,5 mal 2,5 Meter großen Zelle verbringen musste, hat die kubanische Regierung ein Einlenken signalisiert, das man noch vor kurzem kaum für möglich gehalten hätte. "Wir lassen uns von niemandem unter Druck setzen", lautete der Tenor in den vergangenen 20 Monaten von Regierungsseite. Zugleich betonten die Offiziellen stets die Gefährlichkeit der Opposition, bezeichneten sie als "Söldner", die durch Kontakte mit der US-Vertretung in Havanna und deren Geschäftsträger James Cason die nationale Sicherheit in Gefahr gebracht hätten.

Das zumindest ist unbestreitbar: Alle 75 Verurteilten hatten in den letzten Jahren auf die eine oder andere Weise mit den USA Kontakt gehabt. Die meisten aus Naivität oder Bequemlichkeit, einige wenige aus politischem Kalkül. Raúl Rivero gehört zur Gruppe der ersteren. "Als professionell arbeitender Journalist muss man vielfältige Kontakte haben, so auch zu Diplomaten, darunter US-amerikanischen", erklärte er kürzlich in einem Interview. Und die Frage, ob er aus den USA Geld empfangen hätte, bejahte er. Er habe für seine unabhängige Presseagentur "Cubapress" jedoch nur Beträge von kubanischen Einzelpersonen aus Miami angenommen und nie von Organisationen, die Beziehungen zur US-Administration hatten. Man mag Riveros Haltung problematisch finden, aber sie rechtfertigt nicht eine Gefängnisstrafe von 20 Jahren, nicht von 20 Monaten, nicht von 330 Tagen in einer Einzelzelle. Gleiches gilt für die 61 weiterhin Inhaftierten und für weitere 250 Gewissensgefangene, die laut Amnesty International auf Kuba im Gefängnis sitzen.

Die Freilassung Riveros wird in kubanischen Oppositionskreisen als Zeichen von politischer Entspannung gewertet. Die Regierung gibt nach in einer Frage, in der sie kürzlich noch Härte demonstrierte. Dafür hat sie einen günstigen Moment gewählt. Der spanische Ministerpräsident Zapatero hat im vergangenen Monat erklärt, die Sanktionspolitik der EU gegenüber Kuba zu verlassen. Gleichzeitig weilte eine chinesische Regierungsdelegation in Havanna und ermöglichte der kubanischen Regierung die Unterzeichnung einiger vorteilhafter Handels- und Finanzierungsverträge. Und mit dem Besuch des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez dieser Tage wird die internationale Isolierung Kubas einmal mehr relativiert. So wahrte Fidel Castro sein Gesicht: Niemand sollte sagen können, die Freilassungen seien in einem Moment der Schwäche erfolgt. Betrachtet man die Entlassung Raúl Riveros und der anderen aber mit ein wenig Abstand, wird vor allem eines deutlich. Die plötzlichen Freilassungen sind wie die massenhaften Inhaftierungen: absurd, willkürlich, unverhältnismäßig. Deshalb ergibt es keinen Sinn, wenn die anderen Gefangnen weiterhin eingesperrt bleiben. Ihre Entlassung muss eine Forderung bleiben, auch wenn nun die "Prominenz" der Oppositionellen wieder frei ist.


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