USA Das Oberste Gericht hat das Prinzip „Geld regiert“ für rechtmäßig erklärt. Wenn Großspender Einfluss auf Politiker nehmen, ist das fortan bei Wahlkampagnen legitim
Nach dem Urteil des Obersten Gerichts stehen zeitgemäße Adaptionen der US-Flagge kurz vor dem Durchbruch
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Dass Geld die Politik beeinflusst, ist keine neue Erkenntnis. Doch in den Vereinigten Staaten – ob sie nun einem demokratischen Anspruch genügen oder nicht – schaffen die von ganz oben seit Jahren feste Strukturen zum Erhalt ihrer unverhältnismäßigen Macht. Politischer Wandel nach links, der die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich verkleinern würde, wird immer schwieriger, obwohl ein Demokrat im Weißen Haus residiert.
Der Oberste Gerichtshof hat gerade mit fünf zu vier Stimmen eine Obergrenze für Wahlspenden von Einzelpersonen an Kandidaten und Parteien weitgehend aufgehoben. Das Urteil sei eine „Einladung an die Oligarchie“, kritisiert Robert Reich, einst Arbeitsminister unter Bill Clinton. Der Chef der Republikanischen Par
ischen Partei, Reince Priebus, reagiert hingegen enthusiastisch auf den Spruch im Verfahren „McCutcheon gegen die Bundeswahlbehörde“. Freude herrscht nicht nur bei Republikanern. Der Informationsdienst Roll Call zitiert einen Vertreter des Wahlkomitees der Demokraten, der wenig elegant formuliert und aus naheliegenden Gründen seinen Namen wohl nicht angeben wollte: Er sei „so glücklich wie ein Schwein in der Scheiße“.Das Urteil könne „die letzten glühenden Kohlen“ der Gesetze zur Wahlfinanzierung auslöschen, warnt Lisa Rosenberg vom Bürgerverband Sunlight Foundation. Gebrannt oder geglimmt hat freilich nicht mehr viel. Bereits 2010 urteilte das Oberste Gericht, die Verfassung gewähre auch Unternehmen und Verbänden das Recht auf Redefreiheit. Und Spenden seien ein Ausdruck dieser Freiheit. Konzerne können seitdem unbegrenzt Geld in die Politik fließen lassen. Es gilt allein die in der Praxis eher irrelevante Auflage, die Spender dürften ihre Aktivitäten nicht mit Kandidaten koordinieren. In der Folge entstanden für Außenstehende – das heißt, die meisten Wähler – kaum überschaubare Netzwerke teils anonymer Geldgeber sowie Labyrinthe von Komitees und angeblich gemeinnützigen Verbänden, die Einfluss auf die Politik nehmen.Die auffälligsten Player und nach Ansicht demokratischer Aktivisten die ganz bösen Buben sind die Gebrüder Charles und David Koch. Laut Forbes zählen sie zu den zehn reichsten Amerikanern und gebieten mit Koch Industries in Wichita (US-Staat Kansas) über ein Unternehmensimperium im Energie- und Chemiesektor. Der Think Tank Center for Responsive Politics hat für die Washington Post nachgerechnet, dass Verbände im Koch-Netzwerk wie „Amerikaner für Wohlstand“, „Stiftung für Amerika“ und „Zentrum zum Schutz der Patientenrechte“ bei den Präsidentschafts- und Kongresswahlen von 2012 mindestens 407 Millionen Dollar ins Spiel brachten. Mit etwa 325 Millionen kräftig zugelangt hätten auch die von George W. Bushs früherem Chefstrategen Karl Rove ins Leben gerufenen Organisationen. Rove und die Kochs sind Ideologen; ihnen geht es nach eigenem Bekunden um die Entfesselung der Marktwirtschaft. Man will angepasste Umweltgesetze, weniger Arbeitsschutz und ein günstiges Steuerreglement.McCutcheon hat SorgenDer Verband „Amerikaner für Wohlstand“ nennt auf seiner Webseite die Ziele: Steuern senken, Regierungsauslagen kürzen, „das Vordringen der Administration in das Wirtschaftsleben der Bürger“ stoppen. Im November finden Zwischenwahlen statt, bei denen die Republikaner darauf hoffen, die demokratische Mehrheit im Senat zu brechen. Also überflutet „Amerikaner für Wohlstand“ schon jetzt die Vorwahlstaaten mit Werbespots.Beim jüngsten Urteil des Supreme Court konnte der Unternehmer Shaun McCutcheon aus Alabama, Firmenchef von Coalmont Electrical Development, triumphieren. Der für seine Verhältnisse großzügige, doch verglichen mit den Kochs eher bescheidene Spender von ein paar hunderttausend Dollar für die Republikaner ist das neue Gesicht der Reichen, die ihre Macht in der Politik gesichert sehen wollen. Der mittelständische McCutcheon lässt sich PR-mäßig besser ausschlachten als die Kochs. Er arbeite sehr hart, schrieb er in einem in Kürze erscheinenden E-Book, glaube leidenschaftlich an Freiheit und freie Marktwirtschaft und mache sich Sorgen, dass die Regierung seine Freiheit begrenze, indem sie ihm vorschreibe, wie viel er spenden dürfe.Das Oberste Gericht kippte das von McCutcheon beanstandete Gesetz, dem zufolge Einzelpersonen im Wahlzyklus (in den zwei Jahren vor einer Wahl) maximal 123.200 Dollar an Kandidaten und Parteien spenden dürfen. Zukunftsweisend ist dabei besonders die Urteilsbegründung. Es sei nicht Aufgabe des Staates – so der Oberste Richter John Roberts – politische Chancengleichheit zu garantieren. Es sei gesetzeskonform, wolle ein Großspender Einfluss auf Politiker gewinnen oder sich Zugang zu Politikern verschaffen. Strafbar sei nur Quid-pro-quo-Korruption. Damit gemeint sind Deals, bei denen der Politiker als direkte Gegenleistung für Geld eine bestimmte Entscheidung trifft.Folgt man diesem Denken, fallen praktisch alle Schranken. Kaum ein Geber und kaum ein Politiker lässt sich auf einen Quid-pro-quo-Kuhhandel ein. Einflussnahme funktioniert anders. Die Politiker wissen, was ihre Wohltäter erwarten. Und die großen Geber haben Wünsche, die nicht mit denen der Mehrheit übereinstimmen – schon gar nicht mit der Mehrheit der Wähler einer angeblich für die „kleinen Leute“ agierenden Demokratischen Partei eines Barack Obama.Nach einer Studie des Institutes Demos (demos.org) haben 2012 nur 0,07 Prozent der US-Bürger Wahlspenden von mehr als 2.500 Dollar für Obama und Herausforderer Mitt Romney getätigt – insgesamt 1,4 Milliarden Dollar. 3,7 Millionen Kleinspender dagegen hätten Beträge von unter 200 Dollar überwiesen. Deren Gesamtresultat: 313 Millionen Dollar. 2012 seien „mehr als ein Viertel aller identifizierbaren Spenden“ an Kandidaten, Komitees und Parteien von nur 31.385 Bürgern gekommen, eine überschaubare Größe. 20 Prozent der Spender waren in der Finanzindustrie und im Immobiliensektor tätig, zehn Prozent als Rechtsanwälte oder Lobbyisten.Untersuchungen zufolge sind die ganz Reichen als Gruppe anders gestrickt als normale Amerikaner. Bei sozialen und moralischen Fragen sind die Reichen liberaler – bei der Wirtschaftspolitik konservativer. Eine von der Russell-Sage-Stiftung finanzierte und im Magazin Perspectives on Politics veröffentlichte Untersuchung liefert folgende Daten: 68 Prozent der Amerikaner seien der Ansicht, die Regierung müsse dafür sorgen, dass niemand hungert und obdachlos ist. Nur 43 Prozent derer ganz oben teilten diese Auffassung. 19 Prozent der Reichen und 68 Prozent der Normalbevölkerung seien der Ansicht, der Staat müsse Sorge tragen, dass Arbeitswillige Jobs finden. 40 Prozent der Reichen meinten, Mindestlohn solle vor Armut schützen, bei den weniger gut Betuchten seien es fast 80 Prozent. Die Wohlhabenden machten sich deutlich mehr Sorgen um das Haushaltsdefizit und seien viel eher bereit, Sozialprogramme zu kürzen.Obamas MillionenPräsident Obama prangert gern die superreichen Geldgeber der Republikaner an. Klingt gut und mobilisiert die Basis, man ist ja für die Mittelschicht und die Arbeiter. Doch auch die Demokraten haben ihre Großspender und sind ihnen zu Gefallen, selbst wenn das eigenen Wählern wehtut. Man spricht dann von Kompromissen, die eben nötig seien. Obama war 2008 der erste Präsidentschaftskandidat, der keine öffentlichen Gelder für den Wahlkampf annahm; dafür konnte er mehr Privatspenden akzeptieren, sodass er für seine Kampagne über das Vierfache an Geldern verfügte, verglichen mit dem republikanischen Gegner John McCain.Rund zehn Millionen Amerikaner, die dank der Gesundheitsreform Obamacare und des Ausbaus von Medicaid, der Gesundheitsfürsorge für die Ärmsten, oft zum ersten Mal in ihrem Leben krankenversichert sind, können bestätigen, dass es einen Unterschied machen kann, wenn ein Demokrat im Weißen Haus sitzt. Doch bei maßgebenden Wirtschaftsentscheidungen, die Ungleichheit forcieren –, bei Steuergesetzen wie der Bankenregulierung – gibt es keinen großen Unterschied. So wie die Demokraten Wahlkampf führen, sind sie auf große Spender angewiesen. Und nehmen dann Rücksicht. Das kommt einem Shaun McCutcheon beim nächsten Fight um die Präsidentschaft vielleicht gar nicht so ungelegen. Die Millionäre der Nation können derzeit gar nicht verlieren.
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