Alles ist durchleuchtet

Infoware Wer Geld verliert, hat manchmal die falschen Freunde. Aber darf man soziale Netzwerke durchleuchten, wie die Schufa es wollte? Ein Plädoyer für die digitale Allmende

Die Pläne der Schufa, mithilfe des Potsdamer Hasso-Plattner-Institutes (HPI) soziale Netzwerke zu analysieren und bezüglich ihrer Nutzbarkeit zur Ermittlung genauerer Bonitätsprognosen zu evaluieren –, haben einen Nerv getroffen. Der öffentliche Aufschrei in den Medien und den sozialen Netzwerken war so durchdringend, dass das HPI das Forschungsvorhaben kurze Zeit später komplett aufgab und sich davon distanzierte.

Wäre die Empörung ähnlich groß, wenn eine weniger kritisch gesehene Organisation vergleichbare Forschung betreiben würde? Wenn beispielsweise der ADAC Analysen entwickelt hätte, um potenziell besonders gefährdete junge Fahrer und Fahrerinnen zu finden – als Zielgruppe für auf sie abgestimmte Aufklärungsarbeit? Ich wage es zu bezweifeln.

Die Pläne der Schufa mögen vielen Menschen auf den ersten Blick Angst machen, eben weil die Schufa und ähnliche Auskunfteien für viele sehr bedrohlich wirken: Der Einfluss, den ihre Bewertungen auf unser Leben und unsere individuelle Zukunft haben können, ist immens, das Verfahren für uns allerdings vollkommen intransparent und kaum nachvollziehbar.

Doch wir sollten das Unwohlsein gegenüber der Macht einer uns bewertenden Zahl nicht so groß werden lassen, dass gleich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. Denn letzten Endes setzt die Schufa online nur das fort, was sie schon immer offline getan hat: öffentlich zugängliche Daten auswerten.

Die Aufbereitung und Auswertung von öffentlichen Daten ist aber nicht nur für die Schufa relevant, sondern für sehr viele Menschen und Gruppierungen: Gesellschaftswissenschaftler nutzen diese Möglichkeiten ebenso wie Marktforscher und viele andere. Gerade in Zeiten immer weiter schrumpfender öffentlicher Forschungsbudgets sind solche im öffentlichen Raum zugängliche Daten für viele Forscher die einzige überhaupt finanzierbare Basis. Das Verbot, öffentlich sichtbare Daten – insbesondere die aus sozialen Netzwerken – abzugreifen, würde die Möglichkeit, signifikante Forschung zu betreiben, nur noch einer sehr begrenzten Anzahl von privaten Firmen zugestehen, die ausreichend große Testgruppen für ihre Projekte anwerben (und bezahlen) können.

Wer verbietet, muss Freiheit beschränken

Doch es geht keineswegs nur um ökonomisch-pragmatische Argumente. Nehmen wir einfach an, wir würden die Nutzung solcher, offensichtlich sehr interessanten, aus sozialen Netzen entnommenen Daten verbieten. Die Durchsetzung dieses Verbotes ist alles andere als einfach: Die Daten, die die Nutzer in sozialen Netzen hinterlassen, sind mit ein paar trivialen Zeilen Programmcode nutzbar und gleichzeitig extrem detailliert. Auf diese Ressource werden viele Nutzer nur schwerlich verzichten wollen. So müsste in Zukunft nicht nur für jede Marktstudie, sondern auch für viele soziologische Untersuchungen überprüft werden, ob die zugrundeliegenden Daten nicht aus sozialen Netzen stammen.

Und es geht noch viel weiter: Wenn ich mit einer Person das erste Mal zu tun habe, frage ich meine Kontakte nach einer Einschätzung der Person. Um zu garantieren, dass diese Ratschläge nicht auf der Analyse sozialer Netze basiert, wäre es zwingend notwendig, die Computer meiner Bekannten zu überwachen, um nachträglich feststellen zu können, dass sie wirklich nur ihr persönliches Wissen eingesetzt haben.

Um die Durchsetzung eines Verbotes der Nutzung öffentlich zugreifbarer Daten nicht zu einer Farce werden zu lassen, vergleichbar mit der Alkoholprohibition der USA in den zwanziger Jahren, müssten wir uns auf die vollständige Kontrolle unserer elektronischen Datennutzung einlassen, einen umfassenden und nicht tolerierbaren Eingriff in unsere hart erkämpften bürgerlichen Freiheiten.

Öffentlich zugreifbare Daten im Internet sind ein großes gemeinschaftliches Vermögen. Dieses gesellschaftliche Kapital, diese digitale Allmende durch ein Nutzungsverbot zu zerstören, weil die potenzielle Konsequenz einigen Menschen Unbehagen bereitet, wäre nicht nur fahrlässig. Es wäre töricht.

Jürgen Geuter ist Mitglied des datenschutzkritischen Autorenkollektivs blog.spackeria.org. Er bloggt dort und in seinem privaten Blog unter dem Nutzernamen tante

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