Alte Klischees

Gewalt in der Erziehung Alexander Bentheim über die Kampagne "Mehr Respekt vor Kindern"

"Mehr Respekt vor Kindern" lautet der Titel, unter dem die Bundesministerin für Familie, Christine Bergmann, vor einem Jahr ihre Anti-Gewalt-Kampagne startete. Der Männer-Aktivist Alexander Bentheim ist ein Befürworter gewaltfreier Erziehung. Trotzdem kritisiert er die Aktion. Seinen Offenen Brief, in dem er die Ministerin auffordert, einen Teil der Materialien zurückzuziehen und zu überarbeiten, haben bislang fast 400 Männer und Frauen unterschrieben.

FREITAG: In Ihrer Kritik geht es vor allem um ein Jungen-Plakat mit der Aufschrift "Wer Schläge einsteckt, wird Schläge austeilen". Was ist falsch daran?
ALEXANDER BENTHEIM: Damit wird, was Jungen betrifft, ein Automatismus im Verhalten unterstellt, den es so nicht gibt: Opfer entwickeln sich nicht zwangsläufig zu Tätern.

Aber ein Zusammenhang zwischen erfahrener und verübter Gewalt ist doch nicht zu leugnen.
Richtig ist, dass der Anteil derjenigen, die in ihrer Kindheit Gewalterfahrungen gemacht haben, unter gewalttätigen Jugendlichen deutlich erhöht ist gegenüber den nicht von Gewalt betroffenen Gleichaltrigen. Es gibt aber auch zahlreiche Gewalttäter, die nicht von eigenen Opfererfahrungen berichten. Und es gibt viele traumatisierte Jungen, die nicht gewalttätig werden, sondern mit ganz anderen Symptomen wie Depressionen, somatischen Erkrankungen, Rückzugsverhalten reagieren. Der einfache Schluss "Vom Opfer zum Täter" ist wissenschaftlich nicht haltbar.
Ich halte diesen Slogan innerhalb der Kampagne aber auch insofern für problematisch, weil Jungen nicht als Opfer, sondern als künftige Täter wahrgenommen werden. Die Botschaft ist leider nicht: Jungen dürfen nicht geschlagen werden, weil sie - ebenso wie Mädchen - ein Recht auf gewaltfreie Erziehung haben. Sondern, fast drohend: Jungen dürfen nicht geschlagen werden, weil sie sonst später selbst schlagen. Das geht am Ziel der Kampagne, Gewalt als Erziehungsmittel generell zu ächten und die Öffentlichkeit für die Opfererfahrungen misshandelter Jungen und Mädchen zu sensibilisieren, völlig vorbei.

Wie erklären Sie sich, dass dieser Slogan sich auf dem einzigen Plakatmotiv mit einem misshandelten Jungen findet?
Es werden überholt geglaubte Geschlechtsklischees reproduziert. Das betrifft Jungen, die mit ihren Opfererfahrungen nicht ernst genommen werden. Und folgte man der Logik des Jungen-Plakates, müssten auch Mädchen als potenzielle Täterinnen genannt werden, da die Zahlen der Kinderschutzzentren belegen, dass auch Mütter ihren Kindern gegenüber gewalttätig werden. Aber darum ging es mir hier gar nicht. Sondern einfach darum, dass bereits gewaltbetroffene Jungen nicht erneut verletzt werden.

Weibliche Täterinnen und männliche Opfererfahrungen - das hinterfragt nicht nur gängige Wahrnehmungsmuster, sondern wird von Männern gerne auch dazu benutzt, Gewalt gegen Frauen zu relativieren. Wie stehen Sie dazu?
Eine solche Relativierung lehne ich entschieden ab. Ich habe mich vor 15 Jahren gefragt: Wieso werden Männer gewalttätig gegen Frauen? Anfang der neunziger Jahre habe ich mich mit dem Thema auch in Zusammenarbeit mit Frauen im Rahmen eines Forschungsvorhabens "Abbau von Beziehungsgewalt als Konfliktlösungsmuster" beschäftigt, das vom damaligen Bundesministerium für Familie (BMFSFJ) gefördert wurde. Aber wenn man sich so lange auch mit Opfererfahrungen beschäftigt, darf man sich gegenüber anderen als den gängigen Opfer-Täter-Konstellationen nicht verschließen und vor allem eine Opfergruppe nicht gegen die andere ausspielen. Das haben viele Notruf-Frauen verstanden, die unseren Offenen Brief unterzeichnet haben. Das gilt für uns Männerberater und sollte auch für Christine Bergmann gelten.

Das Gespräch führte Karin Nungeßer

Alexander Bentheim ist Diplompädagoge und Mitherausgeber von Switchboard. Zeitschrift für Männer- und Jungenarbeit. Er hat sowohl in Hamburg als auch in Kiel den Appell "2001 Mann gegen Vergewaltigung" unterzeichnet.

Einzusehen sind die mittlerweile vier Offenen Briefe sowie die UnterzeichnerInnen-Liste unter www.switchboard-online.de/sonh.htm

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