Amerikanische Umtriebe

Ausstellung Anstößig ist anziehend: Eine Pariser Schau zeigt Fotos des Künstlers Larry Clark. In dessen Bildern geht es um eine verlorene amerikanische Jugend - und deren Sexualität

Um Werbung für die aktuelle Ausstellung braucht sich das Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris nicht zu kümmern. Das besorgten die Pariser Behörden. Sie verhängten über die Foto-Ausstellung Kiss the past hello des amerikanischen Fotografen und Filmemachers Larry Clark ein Zugangsverbot für Jugendliche unter 18 Jahren. Das erzeugte einen ordentlichen Wirbel und noch mehr Zulauf. Beim Besuch an einem gewöhnlichen Mittwochnachmittag drängt sich der Eindruck auf, dass ein Drittel der Besucherschaft wohl keine 18 Jahre alt ist. Was verboten ist, macht neugierig.

Fabrice Hergott, der Direktor des Museums, versteht die Verbotsmaßnahme nicht: „Bei Larry Clark geht es um gelebte Sexualität und nicht um pornografische Inszenierungen. Mit dem, was man gewöhnlich Pornografie nennt, hat das nichts zu tun. Diese gelebte Sexualität ist möglicherweise etwas, was heute als störend empfunden wird.“

Anstoß erregten offensichtlich Fotos von nackten Jugendlichen, die sich gegenseitig zärtlich streicheln und stimulieren. Der 1943 geborene Amerikaner ist kein pornografischer Voyeur, sondern ein einfühlsamer Dokumentarist, der schon 1971 ein Buch unter dem Titel Tulsa vorlegte, das den trostlosen Alltag amerikanischer Jugendlicher in Tulsa (Oklahoma) aus genauer Kenntnis und sensibler Wahrnehmung dokumentiert. Das Buch hat die Fotos von Nan Goldin ebenso beeinflusst wie Martin Scorseses Taxi Driver. Das Leben der armen und zum Teil verwahrlosten jungen Leute spielt sich ab zwischen Alkohol, Drogen, Sex, Gewalt und Langeweile. Der vertraute, aber keineswegs verklärende Blick auf dieses Milieu ist ein Reflex auf Clarks eigene Jugenderfahrungen in der Provinz.

Das Elend hinter der Idylle

Clark stammt aus Tulsa, wo seine Eltern ein Fotogeschäft führten. Seine Mutter war spezialisiert auf Studioaufnahmen von adrett gekleideten und frisierten Kindern mit Puppen oder Kleintieren auf dem Schoß. Der junge Larry half seinen Eltern beim Arrangieren solch trügerischer Idyllen. Als Erwachsener durchschaute Clark die Scheinwelt behüteter Jugend. Er begab sich in die Welt der Heranwachsenden, gewann deren Vertrauen und fotografierte sie bei der tastenden sexuellen Erfahrungssuche wie bei Alkoholexzessen und Männlichkeitsritualen.

Die Pariser Schau zeigt 200 Originalabzüge, die zwischen 1968 und 2006 entstanden sind – die letzten über die Jugend im heruntergekommenen Stadtteil South Central in Los Angeles. Erstmals zu sehen ist ein 16-Millimeter-Film von 1968 über eine Wohngemeinschaft von Fixern, der das Elend dieser Randexistenzen vorführt. Die Aufnahmen aus Clarks Studio vermitteln die gleiche Authentizität wie jene direkt aus dem Milieu der Jugendlichen.

Mit dem 2002 in die Kinos gelangten Spielfilm Ken Park handelte sich Clark den teilweise berechtigten Vorwurf ein, ein vom „Teenager-Sex“ Besessener zu sein. Der strapaziöse Koitus-Parcours, den Clark in diesem Film dem Zuschauer zumutet, ist allerdings weit entfernt von den beeindruckenden, größtenteils Schwarzweiß-Aufnahmen in der Pariser Ausstellung. Die Fotos führen keine Posierenden vor, sondern junge Menschen, denen ihre Herkunft und Geschichte ebenso im Gesicht geschrieben steht wie ihre Sehnsüchte, Träume und Begierden.

Larry ClarkKiss the past hello

Musée dArt Moderne de la Ville de Paris

. Bis 2. Januar. Der Katalog kostet 50 Euro

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