An – aus, auf – zu

Kino Wes Andersons stilbewusster Film „Grand Budapest Hotel“ imaginiert ein Fantasie-Europa, das durch totale Kontrolle seine Traumata zu bearbeiten versucht
Ausgabe 10/2014
An – aus, auf – zu

Bild: Fox Searchlight

Beim Anblick von Wes Andersons Grand Budapest Hotel bekommt man einen Zuckerschock, angenehm, aber durchaus too much. Das Grand Hotel – wir befinden uns im Jahr 1932 in einem mitteleuropäisch-habsburgisch angehauchten Fantasiestaat namens Zubrowka – ist ein mit Giebelchen und Türmchen überfrachteter Prunkbau, die Fassade zartrosa, die Interieurs knallrot; die dunkelvioletten Uniformen des Hotelpersonals nehmen sich sehr hübsch darin aus.

Herrscher über diese Playmobil-Nostalgie-Spielzeug-Welt ist Concierge Gustave H. (Ralph Fiennes), ein ebenso akkurater wie sentimentaler Mann, der gerne in hochtrabenden Versen spricht und stets von einer Parfümwolke umnebelt wird. Stil, Pose, Dandytum sind ihm alles, und nur zu gerne gibt er sein Wissen an den neuen Lobbyboy (Tony Revolori) weiter.

Mit Grand Budapest Hotel erfindet Anderson als Amerikaner ein Mischmasch-Fantasie-Europa, das ein wenig an ein Mischmasch-Fantasie-Amerika erinnert, das ein Europäer mal erfunden hat – Kafkas Amerika. Das Romanfragment (das Kafka zu einem Großteil 1912 geschrieben hat, in dem Jahr also, in dem das Görlitzer Warenhaus erbaut wurde, das in Andersons Film das Grand Hotel darstellt) erzählt auch davon, wie der junge Einwanderer Karl Rossmann in einem Hotel Occidental als Liftboy anheuert und sich am Ende den Namen „Negro“ gibt – die Ähnlichkeiten zu Andersons Lobbyboy „Zero“ Moustafa liegen auf der Hand (auch wenn in den Credits Stefan Zweig und nicht Kafka gedankt wird).

Deleuze und Guattari haben die Institutionen, von denen Kafkas Amerika-Roman erzählt, als Maschinen bezeichnet und daran eine bestimmte Haltung der Rezeption geknüpft. Nicht zu fragen: Was bedeutet der Text, was will er sagen? Sondern: Wie funktioniert er? Was vielleicht die passende Art und Weise ist, sich Andersons exzessiv stilbewussten und zugleich verspulten Filmen anzunähern.

Concierges aller Länder

Dass man auch von Andersons Maschinen sprechen könnte, steht jedenfalls fest: In Grand Budapest Hotel gibt es neben Autos und Schlitten zuckelnde Seilbahnen, Essenaufzüge und Fahrstühle – Maschinen, die Bewegungen und Transporte organisieren. Mehr noch kann das Hotel selbst als eine Maschine begriffen werden, die die Mise-en-Scène organisiert, die mit Treppen und Türen, Fluren und Fluchten Auftritte und Abgänge regelt. Sichtbarkeit ist in Grand Budapest Hotel Folge und Funktion von architektonischen Anordnungen. Immer wieder gibt es da Fensterchen und Durchbrüche in der Wand, mit kleinen Vorhängen, die Sichtachsen entweder herstellen oder unterbrechen. Auf – zu, an – aus: das Hotel als Seh-Maschine.

So scheint Wes Andersons Ästhetik generell als eine maschinelle, in der Taktung, Rhythmus und Geometrie die Hauptrollen spielen. Anschaulich wird das etwa in der Telefonkette, die zur Unterstützung von Gustave H. angeleiert wird – eine tolle „Concierges-aller-Grands-Hotels-vereinigt-Euch!“-Montagesequenz, in der es nur um das eine geht: die Kette darf nicht abreißen, alle Lücken müssen geschlossen, alle Posten besetzt sein. Andersons Filme sind immer und total auf Zack, jeder Zoom ist kalkuliert, und noch der wildeste Reißschwenk bewegt sich innerhalb eines penibel abgezirkelten 45-Grad-Winkels. Was auf den ersten Blick als kindliche Verspieltheit wahrgenommen wird, ist in Wirklichkeit genau durchdacht und hochkontrolliert.

Der amerikanische Filmkritiker Matt Zoller Seitz hat Andersons Filme deshalb einmal „controllfreak narratives“ genannt und dabei nicht nur deren Form im Auge gehabt. Auch Andersons Figuren sind stets krampfhaft bemüht, die Kontrolle zu behalten – weil sie den totalen Kontrollverlust erlebt haben. Die meisten Anderson-Filme buchstabieren dieses Trauma als individuell-biografischen Schicksalsschlag aus: Max Fischer in Rushmore (1998) hat seine Mutter verloren, die drei Brüder in Darjeeling Limited (2007) den Vater, Steve Zissou in Die Tiefseetaucher (2004) den besten Freund. Wenn es stimmt, dass am Grund von Andersons versponnen-zwanghaften Niedlichkeiten stets etwas Traumatisches verborgen liegt, dann scheint es, als ob das Trauma, von dem Andersons zuckersüßer Hotel-Film erzählt, zum ersten Mal ein historisch-politisches wäre: der Krieg, der Faschismus, der hier in Form von grau gewandeten Soldatenhorden in die saccharine Welt des Grand Hotels einbricht, um es brutal und bildgewaltig in die Luft gehen zu lassen.

Stil, Pose, Dandytum – daran scheinen Anderson und Grand Budapest Hotel fest zu glauben – sind eben doch politisch.

Grand Budapest Hotel Wes Anderson GB/D 2013, 99 Minuten

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