BERLIN-TREPTOW Über den unwürdigen Zuständigkeitsquerelen zwischen Bund und Berliner Senat zerbröckelt das bekannteste sowjetische Ehrendenkmal in der Bundesrepublik
Stellt Euch mal vor: Hier durch die Love Parade machen. Dit wär' geil!« Die Blicke der bunt gekleideten Jugendlichen schweifen für einen Augenblick über das weite, fast menschenleere Gelände. Stille. Gelächter. »Ick weeß nich. Ick find dit fast hässlich hier«, meint eine Blondine mit Bauchnabelpiercing. - »Ick find dit cool. So ... so russisch, ostig«, entgegnet ihr Freund. Dann verschwinden sie.
Die Skater bleiben. Unermüdlich versuchen sie, an den Kanten der Parkbänke entlangzuschlittern, und rasen über die steinerne Umrandung einer kleinen Grünfläche vor dem Platz. Ein idealer Ort zum Üben. Die Jugendlichen wissen nicht, dass sie sich auf einem Friedhof befinden, dass sie immer wieder über das
2;ber das Grab von vier »Helden der Sowjetunion« stolpern. Auf dem Gesamtgelände des Sowjetischen Ehrenmals am Treptower Park liegen 5.000 im Kampf um Berlin gefallene Rotarmisten begraben.Unter das monotone Rattern der Skate boards mischen sich Gesprächsfetzen. Russisch. Von der Sitzfigur »Mutter Heimat« auf dem Vorplatz des Geländes nähern sich Touristen. Eine von Trauerbirken flankierte Promenade führt sie auf die am 8. Mai 1949 eingeweihte Gedenkstätte zu. Lange verharren die Gäste zwischen den riesigen stilisierten Fahnen aus rotem Granit. Die Bronzeskulpturen zweier in Trauer und Ehrerbietung kniender Rotarmisten bilden den Durchgang zum zentralen Teil der Anlage. Unausweichlich werden die Blicke der Besucher über Rasenflächen mit fünf bronzenen Lorbeerkränzen hinweg von der beinahe zwölf Meter hohen Skulptur eines jungen Sowjetsoldaten angezogen. Das Schwert auf das zerschmetterte Hakenkreuz gesenkt, hält er ein Kind auf dem Arm. Es symbolisiert die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft der Völker, die dem Grauen des Zweiten Weltkrieges folgen sollte. Auf dem Weg zum Hügel, der den Soldaten über die umliegende Fläche erhebt, passieren die Touristen beiderseits der Rasenfläche aufgestellte Kalksteinblöcke. Auf ihren Frontseiten sind in russischer und deutscher Sprache Stalin zugeschriebene Tagesbefehle für die Sowjetarmee zu lesen. Ein letztes Abschiedsfoto mit dem Soldaten im Hintergrund, und die Besucher eilen zurück zu ihrem Reisebus, der schon zur Abfahrt drängt.Hinter der monumentalen Fassade bröckelt esEs sind nicht allein die vermeintlichen Stalinzitate, die Kritiker der Gedenkstätte dazu veranlassen, eine zeitgemäße Umgestaltung des Geländes zu fordern. Das gesamte Mahnmal mutet sie in seiner Überdimensionalität und durch seine einseitige Heroisierung der Sowjetarmee anachronistisch an. Gegner halten die Anlage für eine propagandistische Kultstätte. Ihre architektonische Struktur sei Dokument einer alles erschlagenden sozialistischen Ästhetik, eine von der Geschichte widerlegte Siegerpose, die den nationalsozialistischen Aspekt nur verdoppele.Für die Befürworter des Mahnmals ist das keine Frage. Erhard Reddig, Sprecher des »Freundeskreises Sowjetischer Ehrenmale«, reagiert auf die Angriffe der Kritiker gelassen: »Natürlich würde niemand heute noch so ein Denkmal bauen. Deshalb ist es ja ein Denkmal.« Für Reddig ist die Anlage in Treptow ein historisches Zeichen gegen Krieg und Faschismus und muss deshalb ganz unabhängig von ästhetischen und ideologischen Meinungsverschiedenheiten bewahrt werden.War das Mahnmal zu DDR-Zeiten Anlaufpunkt für staatlich organisierte Demonstrationen und Regierungsbesuche, so wurde es nach der Wende mehr und mehr zum Sorgenkind, dessen sich niemand so recht annehmen wollte. Jahrelang stritten der Bund und das Land Berlin über Zuständigkeit für das Objekt. Der Zerfall der Bausubstanz nahm indessen seinen Lauf.Auf den ersten Blick macht das Mahnmal einen guten Eindruck. Nur ein paar Bauzäune und fehlende Gehwegplatten verweisen auf die Baufälligkeit des zuletzt zwischen 1968 und 1974 grundsanierten Areals. Doch hinter den Fassaden bröckelt es gewaltig, insbesondere die stilisierten Fahnen am Eingang der Gedenkstätte bedürfen dringender Reparaturen. Durch ihre undichten Fugen dringt Wasser ein, das bei Frost die Platten sprengt und die Besucher gefährdet. Außerdem rinnt unaufhörlich Regenwasser durch undichte Stellen in die unter dem Fahnenmassiv gelegene Halle. Dort sehe es aus wie in einer »Tropfsteinhöhle«, berichtet Reddig.Seit Beginn der neunziger Jahre drängt er auf eine Sanierung des Sowjetischen Ehrenmals in Treptow. Der »Freundeskreis Sowjetischer Ehrenmale« wirft der Bundesregierung und dem Berliner Senat vor, seit Jahren einen »unwürdigen Streit« um die Finanzierung der inzwischen unumgänglichen Instandsetzung zu führen. »Ohne das unaufhörliche Drängen von Bürgerinnen und Bürgern wäre bis heute noch keine Entscheidung getroffen worden.«Hintergrund für die Diskussionen ist die umstrittene Gesetzeslage. Im Jahre 1990 schloss die Bundesrepublik mit der UdSSR im Rahmen der Zwei-Plus-Vier-Gespräche einen »Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit« ab, in dem Deutschland zusichert, dass »die auf deutschem Boden errichteten Denkmäler, die sowjetischen Opfern von Krieg und Gewalt gewidmet sind, geachtet und die sowjetischen Kriegsgräber erhalten und gepflegt« werden. Auf dieses Abkommen berief sich der Senat mit seinen Forderungen an den Bund, die gesamte Finanzierung der drei großen Ehrenmale in Berlin zu übernehmen.Unterpfand der deutsch-sowjetischen FreundschaftDieser verwies jedoch auf die laut Bundesgesetz geregelte Verantwortlichkeit der Länder für die Denkmalpflege. Für die Erhaltung der Kriegsgräber hingegen werde schon seit dem Abkommen von 1990 vom Bundesinnenministerium Geld zur Verfügung gestellt. Der Bund sieht damit seine gesetzlich geregelte Pflicht erfüllt. Während die Versorgung der Grünflächen gesichert war, standen für die Restaurierung der Bausubstanz bisher so gut wie keine Mittel zur Verfügung. Ein im April 1998 einstimmig verabschiedeter Appell der russischen Duma bezeichnet den Erhalt der Ehrenmale in Deutschland als »Unterpfand für die weitere Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen unseren beiden Völkern und Staaten«. Doch selbst diese warnenden Worte führten keine Einigung in der Finanzierungsfrage herbei.Erst der Regierungswechsel im September 1998 brachte die lang erwartete Stellungnahme. Der seither verantwortliche Kulturstaatsminister Michael Naumann erklärte das Thema in einer Bundestagssitzung im November 1998 zur kulturpolitischen Aufgabe des Bundes. Er kündigte einen »politischen Paradigmenwechsel« an und versicherte, dass der Bund sich an den Kosten für die Sanierung gesamtstaatlich bedeutsamer Ehrenmale beteiligen werde.Da die Berliner Ehrenmale in Treptow, Tiergarten und Pankow zweifelsfrei dazu zählen, erhielt die Stadt für die Jahre 1999 und 2000 insgesamt sechs Millionen Mark aus dem Hauptstadtkulturfond. Davon sind für Treptow als bedeutendstes Mahnmal 3,2 Millionen Mark vorgesehen. Diese Summe reicht gerade einmal für die nötigsten Arbeiten am Fahnenmassiv aus. Ein Kostenvoranschlag des Architekten Knut Peterson aus dem Jahr 1993 beziffert die erforderliche Gesamtsumme allein für Treptow auf 10,1 Millionen Mark, heute hält er sogar bis zu 20 Millionen für erforderlich. Aus welchen Mitteln die Restsumme aufgebracht werden soll, ist nach wie vor unklar.Dennoch ist der Kulturbeauftragte der Bundesregierung für die neuen Länder, Ackermann, froh über die Chance, dass eine endgültige Sanierung ernsthaft ins Auge gefasst wird: »Wir sehen unsere Verantwortung, auch für die Zukunft.« »Trotzdem«, setzt er mahnend hinzu, »entbindet das das Land Berlin nicht von seiner Zuständigkeit für die Denkmalpflege, auch in finanzieller Hinsicht.«Die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hingegen sieht sich vor einem Berg »erheblicher Kosten«, die allein dafür aufgebracht werden müssten, »die Anlage optisch in Ordnung zu halten«. Die Bereitstellung der sechs Millionen für Sanierungsarbeiten bewertet man in Berlin als positives Signal für die Zukunft. Pressesprecherin Dagmar Buchholz äußert »die Hoffnung, auch für die folgenden Jahre jeweils etwa zwei Millionen Mark vom Bund zu bekommen«. Bis zum Jahr 2004 hat die Bundesregierung diese Summe mittlerweile zugesichert. Trotzdem müsse der Senat einsehen, dass sich seine Verantwortung nicht auf die Durchführung der Bauarbeiten beschränken könne, sondern dass er sich auch finanziell beteiligen müsse.Folgenlose SelbstverpflichtungDie jüngsten Entwicklungen tragen nicht gerade dazu bei, den »unwürdigen Streit« endlich ad acta legen zu können. Eine Prüfung des Bundesrechnungshofes ergab, dass der Bund in den vergangenen Jahren für die von der Sanierung unabhängige Kriegsgräberpflege fast zehn Millionen Mark mehr bezahlt hat, als tatsächlich ausgegeben wurde. Die Zahlungen wurden nun eingestellt, und beim Senat sind die »überschüssigen« Millionen auch nicht mehr verfügbar.Sein Ziel hat der »Freundeskreis Sowjetischer Ehrenmale« allerdings noch lange nicht erreicht. »Wir müssen wieder und wieder an die Öffentlichkeit treten und auf die Dringlichkeit hinweisen«, unterstreicht sein Sprecher Reddig. »Sonst besteht die Gefahr, dass alles bald wieder im Sande verläuft.« Auch ohne vertragliche Zusicherung sei man den gefallenen Sowjetsoldaten gegenüber in der Pflicht, ganz unabhängig von allen Meinungsverschiedenheiten bezüglich der historischen und künstlerischen Bedeutung des Mahnmals.Auch Staatsminister Naumann betont neben der vertraglichen die moralische Verpflichtung Deutschlands gegenüber den sowjetischen Ehrenmalen und Soldatenfriedhöfen. »Die Menschen, die dort liegen, wollten nicht in Deutschland sterben.« Und Dagmar Buchholz von der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung fordert, »den Ehrenkult nicht zu übertreiben, aber auch keine Untertreibung zuzulassen«.Obwohl die politisch Verantwortlichen sich zur Erhaltung des Treptower Ehrenmals bekennen, ist von den für Anfang Juli angekündigten Baumaßnahmen auch zum Monatsende noch nichts in Angriff genommen. Die in einem Informationsblatt des Landesdenkmal amts Berlin formulierte Selbstverpflichtung, Denkmale für die »nachfolgende Generationen zu bewahren, damit auch diese eigene Erkenntnisse aus der Vergangenheit gewinnen können«, wirkt angesichts des forschreitenden Verfalls nicht nur der Treptower Gedenkstätte zynisch. Vorerst wird die »nachfolgende Generation« weiterhin im Schatten des brüchigen Fahnenmassivs Pläne für die nächste Love-Parade schmieden oder auf Skateboards über das geschichtsträchtige Gelände rasen. Jedenfalls solange es die ma roden Wegeplatten noch zulassen.
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