Sport frei! gibt es nicht mehr. Es gehörte zur DDR. Dort war es der Ruf, mit dem Training und Schulsport begonnen wurde, mit dem sich Sportler grüßten. Es gehörte einfach zum Sport, wie im Westen adidas. Der in der DDR wegen versuchter Republikflucht inhaftierte und später vom Westen freigekaufte Diskuswerfer Wolfgang Schmidt berichtete einmal von seinem ersten Auftritt als Sportlehrer im Westen im Lehrlingssport bei Daimler-Benz: Er wollte die angehenden KfZ-Mechaniker zunächst mal in einer Reihe antreten und "Sport frei!" rufen lassen. Die Azubis weigerten sich, und Schmidt hatte eine seiner wichtigsten West-Lektionen gelernt. Anfang der neunziger Jahre gab es zunächst in Berlin, später auch in Sachsen, einen behördlichen Erlass, wonach Sportl
rtlehrer ihren Unterricht nicht mehr mit Antretenlassen und kollektivem "Sport frei!"-Rufen beginnen dürften; das war immer noch vorgekommen. Was Schmidt, der DDR-Dissident, freiwillig aufgab, nicht zuletzt weil sich seine West-Azubis zu Recht bockig zeigten, musste so manchem eher nicht dissidenten Lehrer halt staatlicherseits verboten werden. Diese Mischung aus freiwilligem Einsehen und behördlichem Verbot war letztlich erfolgreich. Ebenso vergessen wie der Ruf "Sport frei!" ist "Medizin nach Noten", jene Frühgymnastiksendung im DDR-Fernsehen, in einer schmucklosen Turnhalle inszeniert. Eine Vorturnerin stand auf einem Podest, um sie herum bewegten sich wiegend ganz viele Frauen mit blondierten Haaren und blasser Kleidung, im Hintergrund erklangen Instrumentalversionen von Westschlagern, und moderiert wurde das Ganze von einem Sportjournalisten. Auch "Mach mit! Mach´s nach! Mach´s besser" existiert nur noch auf Dorffesten der PDS, wo der in der gesamten DDR berühmte Moderator Adi weiterhin auftritt und lustige Staffelwettbewerbe austragen lässt, die freilich mehr Opa und Oma begeistern als die Enkel. "Sport frei!", "Medizin nach Noten" und "Mach mit! Mach´s nach! Mach´s besser!" repräsentierten auf je ihre Weise den DDR-Sport wahrscheinlich besser als solch menschliche und immer wieder genannte Symbole wie Katharina Witt, Jens Weißflog oder sogar Täve Schur, der zweifache Rad-Weltmeister, der jetzt für die PDS im Bundestag sitzt. Witt, Weißflog und Schur nämlich treten heutzutage immer noch auf, sie haben ihren Platz in der neuen, der westlichen Gesellschaft gefunden, und wenn man sie trifft, sehen sie aus, wie man heutzutage aussieht: Modern. Mit "Medizin nach Noten" und "Mach mit! Mach´s nach! Mach´s besser!" verbindet sich aber nichts Modernes. Sie haben und hatten nie eine Chance, im Westen anzukommen, also von einer gesamtdeutschen und nicht nur zahlenmäßig von den Westbewohnern überlagerten gesamtdeutschen Gesellschaft angenommen zu werden. Anders als die Erinnerung an Aerobic-Vorführungen im ARD-Vormittagsprogramm der achtziger Jahre oder an "Spiel ohne Grenzen" mit Camillo Felgen, die - man muss sich nur anstrengen, dann erinnert man sich schon - zum westlichen Sozialisationskatalog zählen, sind "Medizin nach Noten" und "Mach mit! Mach´s nach! Mach´s besser" so verblasst, wie die Turnkleidung ihrer Akteure schon damals blass war.Es fragt sich, wo in all den mittlerweile vorgelegten Analysen über den DDR-Sport, der DDR-Sport geblieben ist. Akribisch zählt man auf, wie viele Sportschulen und wie viele Dopingärzte es gegeben hat, was aus der Sichtung und der sportmedizinischen Betreuung geworden ist, aber von Ästhetik ist keine Rede.Im Sport war die DDR so erfolgreich wie sonst nur in der Auslandsspionage. Dass es vor allem ihre Sporterfolge waren, die ihr den UNO-Beitritt und also die internationale Anerkennung bescherten, gilt heute als ausgemacht. Aber dass die internationale Anerkennung nur eine staatliche war, die international (und schon gar nicht im Nachbarland BRD) keine gesellschaftliche Anerkennung zur Folge hatte, sondern bestenfalls belächelt und für süß befunden wurde, fällt heute kaum noch jemandem ein. Da hatte der sonst so erfolgreiche DDR-Sport gerade mal so viel zu bestellen wie das Gesangsduo Monika Hauff Klaus Dieter Henkler im internationalen Popbusiness. DDR-Sport war, in heutiger Wahrnehmung, nur das Sparwasser-Tor bei der Fußball-WM 1974. Es war der sportlich erfolgreiche Versuch, sich mit dem BRD-Sportsystem auch ästhetisch von Gleich zu Gleich auseinander zu setzen. Doch selbst von den Bildern des Sparwasser-Tores sind in heutiger Wahrnehmung nur der in der Mitte losstürmende Jürgen Sparwasser und die ausgespielten Berti Vogts, Horst-Dieter Höttges und Sepp Maier in Erinnerung. Nicht mal bei diesem Erfolg konnte die DDR ästhetische Maßstäbe setzen. Sagen wir es doch so: Um DDR-Sport handelte es sich immer dann, wenn selbst grelle Farben blass erschienen. Darauf ein "Sport frei!"