Popkultur Ein Interviewband will sich mit der Hamburger Schule im Hinblick auf den Begriff „Frau“ auseinandersetzen und wird zur Milieustudie über den Geschlechterkrieg
Der publizistische Blick auf die Popkultur ist derzeitig verstärkt dem Projekt einer Historisierung verpflichtet, was durch den kürzlich erschienenen Interviewband Lass uns von der Hamburger Schule reden einmal mehr deutlich wird. Der Begriff „Projekt“ kann hier durchaus wörtlich verstanden werden, geht doch das Konzept des Bandes auf eine Lehrveranstaltung der Uni Bremen zurück, in der studentische Nachwuchs-Ethnografen ins Feld geschickt wurden, um die sogenannte Hamburger Schule in Form einer Oral History zu archivieren.
Die fachliche Ausrichtung der Herausgeber Jochen Bonz, Juliane Rytz und Johannes Springer verlangt es, dass dabei weniger Songs, sondern vielmehr Alltagspraxen und Rituale der Akteure (genauer: der „beteiligten Frauen“) im Foku
uen“) im Fokus standen, und so liegen im Ergebnis zehn Interviews mit Protagonistinnen aus Musik (Almut Klotz, Julia Lubcke, Elena Lange, Bernadette Hengst, Ebba Durstewitz und Patricia Wedler), Labelarbeit (Myriam Brüger, Charlotte Goltermann), Journalismus (Katha Schulte) und Grafikdesign (Bianca Gabriel) vor. Nur Frauen also – diese Setzung sei von einem „Gefühl von Interessantheit“ geleitet gewesen, weniger von politischen Erwägungen. Die Herausgeber warnen zugleich davor, die interviewten Frauen als einheitliche Gruppe zu betrachten – ein Tatbestand, der aus Sicht eines Butler’schen Feminismus freilich schon im Untertitel des Bandes, gleichsam in der emphatischen Verwendung der Kategorie „Frau“, erfüllt ist. Angesichts des Vorhabens, ein kulturelles Feld „in polyphoner Weise“ erforschen zu wollen, tut man dem Projekt sicher Unrecht darin, es auf wenige Thesen herunterzubrechen, obwohl auch Herausgeber Bonz einräumt, dass „dann eben doch Forschungsergebnisse erarbeitet“ wurden, wo man sich doch eigentlich gar nicht so festlegen wollte.Lass uns von Gender redenWas lässt sich aus dem Erarbeiteten ableiten? Zunächst erachten die interviewten Frauen Pop immer noch als eigentliches Jungs-Thema. Die Jungs kaufen Platten, während die Mädchen sich schminken und Mixtapes geschenkt bekommen. Beim Diskurspop der Hamburger Schule, der seit Anfang der 90er Jahre rezeptionsseitig so genannt wird, um über Bands wie Blumfeld und Die Sterne zu reden, schien das anders zu sein. Der Titel des Bandes bezieht sich auf den Blumfeld-Song Lass uns nicht von Sex reden, in dem ein Rollen-Ich Sätze äußert wie „Ich war im Fußballverein und pisse im Stehen“. Lass uns also von Gender reden. Die Hamburger Schule war dafür bekannt, sich dem Thema dahingehend zu nähern, dass die Kategorien „männlich“ und „weiblich“ nicht als apriorische, sondern als diskursive Einheiten begriffen wurden. So mag man sich über die differenzfeministisch anmutende Setzung des Interview-Projekts wundern. Wenn im Vorwort spekuliert wird, ob männliche Vertreter wie Distelmeyer und von Lowtzow, nach der damaligen Zeit befragt, auch von ihren Erfahrungen mit Geschlechterdifferenz gesprochen hätten, sollte die Antwort zumindest „wahrscheinlich“ lauten. Denn, so Bernadette Hengst, „die Hamburger-Schule-Musiker würden sich ja selber auch als Feministen bezeichnen, die sich auf der Seite der Frauen sehen“.Der Interviewband dient nun vielfach als Beleg, dass diesem Ideal nur bedingt nachgekommen wurde, dass die Männer im Rampenlicht standen, während die Frauen die Hinterbühnen der Redaktionen und Promo-Agenturen bespielten und eben ‚beteiligt‘ waren. So kritisiert Hengst, dass „die Jungs die diskursive Messlatte sehr hoch gehalten haben“ und in Kneipengesprächen „immer sehr tonangebend“ waren, so dass ihre Band Die Braut haut ins Auge aus dem Schema fiel – nicht diskursiv genug. Das wenig überraschende Fazit: Die Hamburger Schule war nie weniger männerdominiert als andere Bereiche – bis auf löbliche Ausnahmen wie Die Goldenen Zitronen vielleicht, denn „die hatten immer Gastsängerinnen“ und stellten so die Widersprüche wenigstens symbolisch aus. In diesem Sinne liefert der Text ein reichhaltiges Archiv an Zuschreibungen und Rollen, die den Musikerinnen zuteil wurden: Von der „Front- oder Vorzeige-Frau“ über die „Rausrotzerin“ und die „Diskurs-Solidaritäts-Frau“ bis hin zu passiveren Spielarten wie „Beiwerk“ und „Freundin von“.Arrogante HerrenrundeDer männliche Teil der Szene findet dagegen als arrogante Herrenrunde Einzug in die Kulturgeschichte. Immer wieder begegnen einem beim Lesen der Interviews die zu Pappkameraden zurechtgemachten Diskurs-Machos. Ein reines „Männergeschäft“ (Katha Schulte) sei das gewesen, alles „Streber“ und dabei „humorlos und unsexy“ (Klotz). Selbst Tocotronic, zwar „irgendwie weibliche Typen“ (Hengst) und mit einem „Goodwill“ ausgestattet (Durstewitz), werden gendertechnisch abgemahnt – „in deren Welt kommt keine Frau vor“ lautet Hengsts Kritik, stattdessen regiere ein männliches Pathos („ihr Leben so zur Schau zu stellen und als so wichtig darzustellen“).War es nicht gerade die ironische Brechung ‚männlicher‘ Rock-Gesten, die eine Band wie Tocotronic emanzipatorisch anschlussfähig machten? Unvergessen bleibt das feministische Über-Ich, das dem verstiegenen Sänger-Ich ins Gedächtnis ruft: Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk, was bildest Du Dir ein? Natürlich entspricht diese den genialischen Mann auf den Boden der Tatsachen holende Frauenstimme dem üblichen Rollenklischee. Überraschend häufig wird in Lass uns von der Hamburger Schule reden aber eben diese relativierende Position am Rande des Pop-Patriarchats eingenommen. Diskurspop wird zum „aussagegeilen Kontext“, in dem sich Ebba Durstewitz mit ihrem Bandprojekt Ja König Ja von Diskurs-Leadern wie Distelmeyer verniedlicht fühlt. Hengst lehnt die Kardinalfrage des Pop „wer hat den coolsten Musikgeschmack?“ als „Konkurrenzding“ ab und Almut Klotz verortet das Werk der Lassie Singers jenseits des Diskurses: Es sei zwar immer um Mädel gegen Buben gegangen, „aber jetzt nicht auf feministischem Niveau, sondern eher auf Schulhof-Niveau“. Im Kampf um die Diskurshoheit scheint es um die feministischen Stimmen schlecht bestellt zu sein, wenn sich diese fortwährend selbst marginalisieren oder im Infantilen positionieren.Gut, dass wenigstens Elena Lange sich und ihre Kunst ernst nimmt und mit voller Breitseite in den männlich dominierten Pop reingrätscht. Während ihre Stella-Kollegen Mense Reents und Thies Mynther die Rolle der schöngeistigen Popper annahmen, war sie es, die den politischen/ästhetischen Diskurs einforderte. Und Charlotte Goltermann als Frau in der Chefetage des sich im Untergang befindlichen Musikbusiness beschreibt die Arbeit zwischen Indie und den champagnergefüllten Kühlschränken der Universal-Zentrale als im positiven Sinne diskursgeiles Umfeld: Es habe keinen Ort gegeben, wo die Moden schneller wechselten. Arbeitsthemen wurden im Club diskutiert, und es fühlte sich richtig an. Auf einmal erscheint Pop wieder als genderübergreifende Utopie, getrieben von den drei (in Ladomat-Vorstellungsgesprächen gestellten) Glaubensfragen: Liest Du Spex? Kannst Du einen Mac bedienen? Magst Du New Order?
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.