Aufruhr im Schlummerland

Literatur Das internationale Festival „Dildile“ feiert seine kosmopolitischen Autoren. Die sehen sich derweil vor allem mit Krisen in ihrer Heimat konfrontiert
Literatur hilft: Frauen lesen während eines stillen Protestes auf dem Taksim-Platz im Sommer 2013
Literatur hilft: Frauen lesen während eines stillen Protestes auf dem Taksim-Platz im Sommer 2013

Foto: AFP/ Getty Images

Als Taiye Selasi mit ihrem Bestseller Diese Dinge geschehen nicht einfach so jüngst weltweit Erfolge feierte, bejubelten die Kritiker das Ende der Nationaldichter. Die Kosmopolitin Selasi, Tochter einer nigerianisch-schottischen Mutter und eines ghanaischen Vaters, in England geboren und in den USA aufgewachsen, verunmöglicht eine nationale Einordnung ihrer Literatur – und scheint damit der world literature eine weitere Schneise durchs Gehölz der in Nationalgrenzen eingepferchten Literatur zu schlagen. In Wahrheit ist es jedoch nicht ganz so einfach.

Das bewies in der vergangenen Woche das internationale Literaturfestival Dildile an der Volksbühne in Berlin. In den Jahren zuvor war das Festival ein rein türkisches gewesen. Unter dem Motto „Crisis? What Crisis?“ trafen sich dieses Mal nun Autoren vor allem aus dem Mittelmeerraum, um in Lesungen und Diskussionen ihre Werke zu präsentieren.

Das Selbstbewusstsein der Beteiligten war glücklicherweise so weit ausgeprägt, dass sich keine leidigen Legitimationsdebatten entzünden mussten. Ob nun der Türke Murat Uyurkulak oder die Israelin Orly Castel-Bloom, sie alle sind vielfach übersetzte Autoren, ihre internationale Bedeutung steht außer Zweifel. Ob hier world literature verhandelt wurde, war kein Thema, weil selbstverständlich. Doch wovon handelt ihre Literatur? Die reibt sich vor allem an den Krisen ihrer Heimatländer. „What Crisis?“ kann nur ironisch verstanden werden, die Autoren beantworteten sie mit zum Teil beißenden Spott. In Zeiten, in denen in Deutschland sich außer Juli Zeh gefühlt nur wenige Schriftsteller politisch einsetzen und das Land unter Merkel'scher Müdigkeit einzuschlummern droht, ist es umso wohltuender zu sehen, wie Schriftsteller anderer Länder sich an den dortigen Zuständen abarbeiten.

Die Tätigkeiten des türkischen Premierministers Erdoğan rund um den Gezi-Park und die jüngsten Kommunalwahlen sorgten bei den türkischen Schriftstellern für Bitterkeit, und so rückten ihre Bücher fast in den Hintergrund. Er wollte seine Tastatur verbrennen, als er vom Ergebnis der Wahlen hörte, sagte Murat Uyurkulak. Der türkische Kultautor Murathan Mungan spottete, nie könne jemand eine so witzige Figur in der Literatur entwickeln, wie Erdoğan sie in Wirklichkeit sei. Erdoğans geistige Gesundheit war jedenfalls nicht nur an einem Abend des zehntätigen Festivals Thema.

Was geschieht da mit unserem Land? Diese Frage schwebte hartnäckig über den Köpfen derer, die sich wohl lieber ausgiebiger über ihre Literatur unterhalten hätten. Dass sie das dann eben nicht taten und sich der politischen Wirklichkeit stellten, machte den besonderen Reiz des Festivals aus. Mungan erinnerte daran, dass sich nach dem zweiten Militärputsch 1980 in der Türkei Politik und Literatur endgültig voneinander entfernten. Die Literatur war nicht mehr Gehilfe der Politik – ein Grund dafür, warum Autoren wie er überhaupt in die Position gelangen konnten, kritisch über die Türkei zu sprechen.

Auch andere Themen wie die Unterdrückung der Frau, doch wohl universell in verschiedenen Ausprägungen zu beobachten, behandelten die Autorinnen auf nationaler oder doch kulturell homogener Ebene. Die Israelin Orly Castel-Bloom erzählt in ihrem bekanntesten Werk Dolly City von einem hysterisch überzeichneten Israel der Zukunft, in dem eine Ärztin alles und jeden zwanghaft operiert oder tötet. Und die Libanesin Joumana Haddad beschreibt in ihren Büchern die Absurdität eines Frauenlebens zwischen Moderne und Tschador in der arabischen Welt.

Eine Literatur, die sich weltgewandt gibt und doch tief mit ihrer Heimat verbunden ist – kann das funktionieren? Wer den kurzen Lesungen der Werke lauschte, die kraftvoll von Kriegsrückkehrern und verhüllten Frauen erzählten, dem stellte sich diese Frage gar nicht erst. Wer auf die Zwischentöne der Diskussionen hörte, erlangte aber noch andere Erkenntnisse: Die Zeit des Eurozentrismus ist vorbei. Länder wie die Türkei oder Israel, deren moderne Literatur ihren Ursprung europäischem Einfluss verdankt, müssen nicht mehr auf Europa schauen – längst stehen sie selbstbewusst auf eigenen Füßen.

In Taiye Selasis Diese Dinge geschehen nicht einfach so kehren übrigens Familienmitglieder aus aller Welt in ihre Heimat Ghana zurück, um sich über dem Tod des Vaters als Familie neu zusammenzufinden. Kosmopoliten im Streit um ihre Heimat – sehr anders ging es in der Volksbühne auch nicht zu.

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