Aus der Vorstadt in die Welt

Theater Vor allem die großen Häuser setzen in der beginnenden Saison auf Internationalisierung. Die Zuschauer erleben so Globalisierung live
Ausgabe 36/2013
Aus der Vorstadt in die Welt

Foto: AFP/ Getty Images

Die hiesigen Theater starten also in die neue Spielzeit. Wo sie noch nicht eröffnet wurde, sind die Proben für die ersten Premieren in vollem Gange. Für manche heißt das, Koffer packen. Etwa um unter der Regie von Sebastian Nübling mit Kollegen aus München, Estland und Belgien in Tallinn das Stück Ilona. Rosetta. Sue zu proben.

Internationalisierung ist eine – schon wieder – neue Sparte. Vor allem an den großen Häusern. Der Intendant Armin Petras bringt sie ans Stuttgarter Schauspielhaus, Karin Beier setzt sie in Hamburg fort, und die Münchner Kammerspiele machen weiter, wo sie im letzten Jahr damit erfolgreich aufgehört haben. Koproduktionen sind die neuen Klassiker. Die Ensembles vermischen sich zur Mehrsprachigkeit und reisen durch die Welt. Auch die Websites sind jetzt zumindest streckenweise zweisprachig wie beim Hamburger Thalia-Theater oder an der Berliner Schaubühne. Es scheint so, als hätten die Intendanten im Kleinen geübt, um nun richtig anzupacken: globales Handeln. Aber ist das größenwahnsinnig oder ein nächster, logischer Schritt?

In den letzten Jahren ging es darum, sich den lokalen Herausforderungen zu stellen. Es ist ein guter Zeitpunkt, daran zu erinnern, was damit alles in Bewegung gesetzt wurde. Die Theater öffneten sich den Laien und die Städte sich den Theatern. Solche Projekte, wie man das ja nennt, sind längst überall fester Bestandteil der Spielpläne.

Bühnen im Wald

Schon diese Stadtprojekte verlangten und verlangen den Häusern, den Ensembles und auch dem Publikum einiges ab. Die künstlerischen Betriebsbüros und technischen Direktionen müssen neue Produktionsweisen organisieren. Das klingt lapidar, ist es aber nicht. Denn wenn die Bühne in den Wald oder an den sozialen Brennpunkt verlegt wird, müssen auch die Techniker und das Bühnenbild dahin. Außerdem ist die Grenze zwischen Zuschauer und Schauspieler so durchlässiger geworden. Auch daran mussten sich beide Seiten gewöhnen. Diese schleichende Veränderung, die um die Jahrtausendwende begann, ist eine Erfolgsgeschichte des deutschen Subventionstheaters. Sie entsprach der Veränderung der Welt. Man kann also sagen, was vor einigen Jahren der Stadtraum war, ist heute die ganze Welt.

Internationale Koproduktionen und Vernetzung waren einmal ein Steckenpferd der freien Szene. Nur wuchs denen das bald über den Kopf. Jetzt satteln die Stadttheater auch dieses Pferd. Und das ergibt Sinn, denn mit einer Institution im Rücken kann die Kunst hier aufblühen. Es wird alles noch einmal komplizierter: Die Logistik, vom reisenden Schauspieler bis zum Requisit, fliegt alles hin und her. Verständigung und Teambildung funktionieren ohne Übersetzer und Geduld nicht. Der junge improvisationsfreudige Este muss mit dem deutschen Spieler älteren Semesters umgehen, der auf Verabredungen im Zusammenspiel angewiesen ist. Sie haben das beide so gelernt und sind nun beide überfordert.

In den Theatern ist also ein Prozess der Auseinandersetzung mit sich selbst und den anderen im Gange, er wird sich in den Inszenierungen niederschreiben. Und für dieses Erlebnis muss das Publikum ein paar Hürden nehmen. Es wird sich an Übertitelung und Simultanübersetzer gewöhnen müssen. Es wird manches nicht verstehen und manches erst einmal wahrscheinlich nicht mögen. Doch der Gewinn liegt auf der Hand. Das Theater lässt uns die Globalisierung live erleben. Man kann den Theatern nicht genug dafür danken, dass sie uns das antun.

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