Homosexualität Nicht jeder hat dieselben Möglichkeiten wie Thomas Hitzlsperger. Menschen von Afghanistan bis Ungarn erzählen in 13 Protokollen, warum sie sich nicht outen können
Nach dem Coming-Out des Fußballers Thomas Hitzlsperger wollen wir nicht die gute Stimmung verderben. Wir wollen nur sagen: Vergesst nicht jene Schwulen und Lesben in beinahe fast allen Teilen der Welt, die, ob prominent oder unbekannt, nicht sagen können, dass sie als Frau mit einer Frau oder als Mann nun einmal mit einem Mann zusammenleben wollen. 13 Protokolle
Bruna Costa, 27, Studentin, Brasilien
Rio de Janeiro hat das Image, ein toller Ort für Homos zu sein. Aber die Realität sieht anders aus. Die Regierung weiß, dass dieses Image in Form von „pinkem Geld“ gut für die Wirtschaft ist, deshalb hat es ein paar Fortschritte gegeben. Aber Homophobie und Hassverbrechen gibt es weiterhin. Ich denke sogar, je mehr Rechte wir bekommen, desto aggressiver r
ekommen, desto aggressiver reagieren die Konservativen.Ich bin nicht überall frei. Wenn ich meine Freundin küssen will, gehen wir zum sogenannten Abschnitt 8 von Ipanema. Das ist eine Homosexuellengegend. An allen anderen Orten halten wir bloß Händchen, dann können wir immer noch sagen, wir seien bloß Freundinnen.Als ich mich geoutet habe, fiel es meinen Eltern schwer, mich zu verstehen. Meine Mutter ging damit gelassener um als mein Vater, der immer noch nicht darüber spricht. Es wird aber besser. Ich habe eine jüngere Schwester, mit der ich ganz offen über meine Sexualität rede. Ihre Generation ist total entspannt. Früher habe ich mich immer gefragt: „Kann ich das jetzt sagen?“ Sie sagt immer einfach, was sie denkt.Ich habe auch schon an Gay-Pride-Paraden teilgenommen. Aber eigentlich sind sie nicht wirklich mein Ding: Am Anfang gibt es ein paar Reden, dann gerät die Politik in Vergessenheit und eine große Sexparty geht los.Ich möchte meine Freundin heiraten, aber sie ist noch nicht bereit dazu. Sie ist 41 und vorher noch nie mit einer Frau zusammen gewesen. Sie hat es ihren Eltern erst vor sechs Monaten gesagt, ist also noch mit ihrem Coming-out beschäftigt. Für Homosexuelle ist eine Heirat schwieriger. Wir brauchen eine richterliche Genehmigung. Aber immerhin ist es im Gegensatz zu anderen Ländern möglich. Lianne MiltonIfeanyi Orazulike, Aktivist, NigeriaIn Nigeria herrscht Homosexuellen gegenüber eine sehr feindliche Stimmung. Kirchen und religiöse Anführer predigen Hass, und die Situation wird immer schlimmer. Die Regierung versucht, von wichtigen Themen wie Sicherheit und Korruption abzulenken und versucht stattdessen, Schwule und Lesben zu kriminalisieren.Viele hier verwechseln den Kampf für die Rechte Homosexueller mit dem Kampf für die Homoehe. Ich bin mir nicht sicher, ob irgendjemand in diesem Land die Homoehe fordert. Alles, worum wir bitten, ist Schutz durch das Gesetz. Den garantiert die Verfassung eigentlich, trotzdem wird er uns verweigert. Selbst Menschenrechtsaktivisten haben hier oft homophobe Ansichten.Ich war 19, als mir klar wurde, dass ich schwul bin. Ich hatte Angst, deshalb hat es bis zu meinem Coming-out weitere acht Jahre gedauert. Einmal hat mein Chef mich dabei erwischt, wie ich mir eine Schwulen-Webseite angeschaut habe. Er hat mir daraufhin gekündigt, und meinen Lohn hat er mir auch nicht mehr bezahlt. Sechs Monate lang war ich ohne Einkommen und ohne Bleibe. Es wurde erst besser, als ich bei einer Veranstaltung für Schwule und Lesben den Gründer meines heutigen Arbeitgebers, der Organisation International Centre on Advocacy for the Right to Health, kennengelernt habe. Ich habe ihm meine Lebensgeschichte erzählt, und er hat mir einen Job angeboten. Inzwischen bin ich hier Geschäftsführer.Niemand weiß, wie viele Homosexuelle es in Nigeria gibt. Zu unseren Veranstaltungen kommen manchmal um die 8.000 Leute. Aber viele schwule Männer ziehen es vor, eine Frau zu heiraten. Sie schlafen heimlich mit den Männern, die sie lieben. Afua Hirsch, Foto: Nathalie HillBelen Marenales, 24, Studentin, UruguayIn Uruguay hat sich das Leben für Homosexuelle verändert. Vor zehn Jahren gab niemand offen seine Sexualität preis. In den letzten Jahren ist das viel einfacher geworden. Im Jahr 2012 gab es auch eine Gesetzesänderung. Früher wurde die Ehe als eine „Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau“ definiert. Nun ist von einer „Verbindung zwischen zwei Menschen“ die Rede. Neulich war ich in einem Hotel, in dem Schilder hingen, auf denen stand: „Wir sind ein homophiles Land“. Reiseunternehmen haben Hochzeitsreisen für Homosexuelle im Angebot. Das Land wird der Simpsons-Folge gerecht, in der Homer es „U R Gay“ nennt.Ich lebe meine Homosexualität sehr offen und hatte deshalb nie Probleme. Lange Zeit habe ich aber nicht darüber gesprochen und mich nur fünf oder sechs Freunden anvertraut. Als ich dann schließlich als Teenie ein Mädchen mit nach Hause gebracht und sie als meine Freundin vorgestellt habe, war das für meine Eltern in Ordnung. Sie haben mir nur gesagt, ich sollte nicht zu tief in die Homo-Szene eintauchen, weil es dort sehr promiskuitiv zuginge. Das stimmt.Ich würde meine Partnerin nicht auf der Straße küssen. Aber wir berühren und umarmen uns, wenn wir ausgehen. Das ist normal. Manchmal werden wir angestarrt, wenn wir in einen Club gehen. Im Großen und Ganzen ist der Umgang aber entspannt.Im Gegensatz zu anderen lateinamerikanischen Ländern ist Uruguay kein religiöses Land. Wir müssen uns keine Sorgen wegen Evangelikalen oder der katholischen Kirche machen. Für die Zukunft erhoffe ich mir, dass es eines Tages normal sein wird, zwei lesbische Frauen mit Kindern zu sehen. Uruguay verändert sich langsam, aber in eine Richtung, die mich sehr froh macht. Jonathan Watts, Foto: Jonathan WattsAung Myat, 37, Verkäufer, BurmaIn Rangun gibt es kein Schwulenviertel, aber es gibt Orte, an denen Männer sich treffen können. In Clubs, auf Partys und Märkten und in den sogenannten „gay-service centres“, die man aufsuchen kann, um sich zu vergnügen. Jeder weiß über sexuell übertragbare Krankheiten Bescheid, in medizinischen Einrichtungen wird Aufklärung geleistet. Aber wenn uns die Lust packt, ist uns das alles egal. Wir legen einfach los und bereuen es später.Mit 17 habe ich mich zum ersten Mal verliebt. Wir sind in dieselbe Klasse gegangen und haben später beide Wirtschaftswissenschaften studiert. Wir waren 13 Jahre lang zusammen. Doch ich fand heraus, dass er nebenbei noch eine Freundin hatte. Ich habe versucht, ihn dazu zu bringen, die Frau zu verlassen. Letztendlich hat er aber mich verlassen, inzwischen ist er verheiratet. Vor zwei Jahren habe ich mich neu verliebt, doch auch dieser Mann hatte eine Freundin, ohne es mir zu sagen. Viele hier haben nebenbei Freundinnen. Ich hasse das.Früher haben wir unsere Sexualität versteckt, aber inzwischen sieht man immer mehr Schwule und Lesben auf der Straße. Die Polizei drückt in der Regel ein Auge zu. Manchmal schikaniert man uns aber auch und versucht uns einzuschüchtern. Gleichgeschlechtlicher Verkehr verstößt gegen das Gesetz, vielen gelten wir immer noch nicht als ebenbürtig. Ich schäme mich nicht, schwul zu sein. Meinen Eltern habe ich es aber trotzdem nicht erzählt. Ich möchte nicht, dass sie wegen mir traurig sind.Wenn wir uns weiterhin nicht trauen, uns zu outen, werden wir uns nie als ganz normal fühlen. Denn wie sollen die Leute wissen, wer wir wirklich sind? Ich wünschte, Menschen aus anderen Ländern, die internationale Gemeinschaft könnte uns helfen. Aber es gibt Wichtigeres, also wird es noch dauern. Aber ich bin mir sicher, dass unsere Rechte uns eines Tages zugestanden werden. Wenn es in Burma erst einmal eine richtige Demokratie gibt. Kate Hodal, Foto: Guillem ValleMonique Issleé, 80, FrankreichMeine Mutter bekam mit, dass ich lesbisch bin, weil sie einen Liebesbrief von mir geöffnet hatte. Das war ein Drama. Heute weiß ich, dass sie sich eher Sorgen um meine Zukunft gemacht hat. In den 1950ern galt es als selbstverständlich, dass man einen Freund haben, heiraten und Kinder kriegen musste. Wie sollte man sonst leben, wie jemals an Geld kommen?Ich habe den Großteil meines Lebens versucht, meine Mutter auf meine Seite zu ziehen, sie von meinem Leben zu überzeugen. Wenn sie heute noch leben würde, würde sie bestimmt sagen: „Du hast es gut gemacht und ein gutes Leben gehabt.“ Aber sie hat immer gesagt, dass sie es nicht normal findet. Ich glaube, mein Vater wusste es auch. Aber er hat nie mit mir darüber gesprochen.Ich bin mit 20 von zu Hause ausgezogen, ich wollte meine Freiheit finden. In Paris wusste man, in welchen Klubs man andere Frauen kennenlernen konnte. Ich habe mein Lesbischsein nie versteckt, aber ich habe es auch nicht vor mir hergetragen. Wenn Kollegen- oder Kolleginnen über ihr Liebesleben gesprochen haben, habe ich das auch gemacht. Aber das war in den 50ern und 60ern schwierig. Viele haben es nicht ertragen, und ich habe Freunde verloren, viele haben sich von mir abgekehrt. Das Risiko bestand immer.Dann kam das Jahr 1968. Wir haben eine Aktionsgruppe gegründet und sind auf die Straße gegangen, um für unser Recht anders zu sein zu kämpfen. Der Unterschied: Wir wollten anders sein, während Schwule heute gleich sein wollen. Wir haben die Ehe als Institution kritisiert, die war nichts für uns. So war die Zeit. Das Heute gehört auch den Leuten von heute. Ich will mich da nicht einmischen. Aber was ich sagen kann, ist: Es gibt immer noch Vorurteile. Die Schlacht ist noch nicht gewonnen. Kim Willsher, Foto: Yoann StoeckelNguy en Hai Yen, 31, Projektmanagerin, VietnamIn Vietnam sollen Männer stark sein, Frauen beschützen und harte Arbeiten erledigen können. Frauen sollen kochen und sich um die Kinder kümmern. Romantische Beziehungen sollen nur zwischen Männern und Frauen bestehen.Es kommt auf die Familie an, ob sich jemand outet oder nicht. Man will seine Eltern nicht dem Druck von Verwandten und Nachbarn aussetzen oder sie enttäuschen. Manche Eltern bringen ihre Kinder zu Psychologen, schicken sie in psychiatrische Einrichtungen oder lassen ihnen Hormone spritzen. Das liegt zum Teil daran, dass das gesellschaftliche Bewusstsein fehlt. Unser Gesetz aber erkennt Homosexuelle nicht an, gleichgeschlechtliche Paare dürfen zusammenleben, aber nicht heiraten.Ich habe meine Partnerin vor ungefähr zwei Jahren kennengelernt, sie hat eine fünfjährige Tochter. Vor einem Jahr habe ich mich vor meinen Eltern geoutet. Meine Mutter hat ein paar Tage lang geweint. Ich habe ihr immer wieder gesagt, dass ich nicht krank bin, und irgendwann hat sie es verstanden, und dann hat sie es auch meinem Vater gesagt. Nun werden wir von meinen Eltern und meiner Schwester so gut es geht unterstützt. Wir wollen heiraten. Ich glaube, dass uns das noch stärker zusammenbringt, unsere Einigkeit betont. Unsere Eltern werden erhobenen Hauptes zu uns stehen können, und wir werden vollkommen in unseren Familien anerkannt sein. Wie Heterosexuelle auch.Ich kenne homosexuelle Paare mit Kindern, aber es ist nicht einfach für sie, diese hier großzuziehen. Das vietnamesische Recht erkennt keine Leihmutterschaft an. Bekommt man durch künstliche Befruchtung ein Kind, wird auf der Geburtsurkunde nur der Name jener Mutter genannt, die das Kind geboren hat. Kate Hodal, Foto: Frederik WissinkPéter Banzli, 34, Literaturkritiker, UngarnMeine Kollegen wissen um meine Sexualität, aber die meisten Homosexuellen in Ungarn outen sich im Job nicht. Trotz der Antidiskriminierungsgesetze haben sie Angst, arbeitslos zu werden, oder dass sich ein Coming-out ungünstig auf ihre Karriere auswirken könnte.In Ungarn gibt es nur ein paar Dutzend offen lebende Schwule und Lesben. Die Gesellschaft ist homophober als die des Westens. Der Aufstieg der Rechten hat die homophobe Sprache in den Mainstream befördert. Wenn das Schimpfwort „buzi“ im Parlament verwendet wird, wird es auch auf der Straße öfter benutzt werden.2008 haben homophobe Gruppen versucht, die Budapest Pride-Parade mit ihren 2.000 Teilnehmern zu verhindern, indem sie Eier, Tomaten, Flaschen oder Molotowcocktails warfen. Ich bekam einen Pflasterstein ab. Sie haben auch die Scheiben jenes Polizeiwagens eingeworfen, in dem Ungarns erster offen homosexueller Regierungsvertreter saß. Inzwischen wird die Parade zum Schutz vor den in großer Zahl erscheinenden homophoben Gegendemonstranten abgeschirmt.Die vorherige sozialliberale Regierung hat 2009 die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert. Die 2011 von der gegenwärtigen Regierung eingeführte Verfassung definiert die Ehe hingegen als ausschließlich heterosexuellen Bund. Die regierenden konservativen Parteien könnten sich für gleiche Rechte und Möglichkeiten für Homosexuelle einsetzen und in gewissen Bereichen die Diskriminierung beenden, die Aussichten darauf schätze ich allerdings nicht besonders groß ein. Ein ähnliches Gesetz wie in Russland erwarte ich aber nicht. Es sei denn, die rechtsextreme Jobbik-Partei kommt an die Macht. Dan NolanLatoya Nugent, 34, Aktivistin, JamaikaIch bin beim Jamaica Forum for Lesbians, All-Sexuals & Gays für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Meine erste Begegnung mit einer Frau liegt über zehn Jahre zurück. Damals aber habe ich mich nicht als Lesbe gesehen. Mir wurde beigebracht, dass der heterosexuelle Weg der einzig richtige ist.Heute bin ich in einer Beziehung und liebe meine Partnerin. Manchmal zeige ich meine Zuneigung öffentlich, aber ich bin vorsichtig. Und habe immer große Angst vor Gewalt. Ich bekomme ja oft mit, wie Lesben und Schwule gesteinigt, erstochen, überfahren und geschlagen werden. Manchmal frage ich mich, ob ich die Nächste sein werde. Im jamaikanischen Gesetz gibt es nichts, das einen daran hindern könnte, schwul zu sein. Manche homosexuelle, Akte fallen aber unter die „Sodomiegesetze“ und sind somit verboten.Homosexuellen-Clubs gibt es hier nicht, dafür Homosexuellenpartys. Auch die Karnevalsveranstaltungen sind nicht homophob. Aber Männer können nicht so frei miteinander tanzen wie Frauen. Unsere Gesellschaft ist hypermaskulin. Es kann in Ordnung sein, wenn zwei Frauen zärtlich zueinander sind. Wird dies jedoch als sexuelle Intimität wahrgenommen, können ihnen auch verbale oder physische Angriffe widerfahren. Die Kirche ist mächtig. Nicht nur der Pastor, der Evangelist oder der Priester, auch der Sonntagsschullehrer, der religiöse Anwalt oder religiöse Minister lassen sich von ihrem Glauben in ihrer Amtsausführung diktieren.Außerdem ist die Homophobie in der Musik ein Problem. Aber nach einer Kampagne gegen Texte, die zur Gewalt gegen Schwule und Lesben aufgerufen haben, hat sich etwas getan. Nun heißt es nicht mehr „Tod der Schwuchtel“ (“Batty man fi dead”), sondern „Behalt‘s für dich“ (“kip it to yuself”). Außerdem hat der Premierminister eine Abstimmung über die Sodomie-Gesetze versprochen, bei der die Abgeordneten nur nach ihrem Gewissen stimmen sollen. Ich habe schon ein Gefühl von Fortschritt. Maya Wolfe-Robinson, Foto: William RichardsBusisiwe Deyi, 25, Rechts-wissenschaftlerin, SüdafrikaIch habe mich vor ein paar Monaten geoutet. Die Reaktion meiner Eltern war ziemlich typisch: „Bist du krank?“, haben sie gefragt. „Brauchst du einen Arzt?“ – „Nein, ich bin ganz und gar eine Frau“, habe ich erwidert. Dennoch war ich einverstanden, zu einem Arzt zu gehen. Auch, weil ich wollte, dass jemand, dessen professionellem Urteil sie vertrauen, meinen Eltern sagt: „Mit ihr ist alles richtig. Sie ist homosexuell, kommen Sie drüber hinweg.“Zwischen mir und meinen Eltern klafft da eine große kulturelle Kluft. Sie haben zum Beispiel den Verdacht, dass mein Onkel schwul ist, trotzdem redet nie jemand darüber. Ihre Reaktion ist also nicht überraschend. Ich bin es ihnen schuldig, sie zu verstehen.Meine erste Freundin hatte ich mit 17. Sie war sehr maskulin. Ich weiß noch, wie ich einmal ihre Hand hielt und ein Mann sich zu uns umdrehte und uns anstarrte. Danach habe ich das nie mehr gemacht. Das Ganze hat mich zu nervös gemacht. Ich sehe nicht wie eine Frau aus, die mit Frauen zusammen ist. Aber wenn ich mit maskulin wirkenden Freundinnen unterwegs bin, machen die Taxifahrer Kommentare, und die Leute starren uns an. Man fühlt sich dadurch unsicher. Manchmal baggern Männer mich an, um mich zu bedrohen oder ihre Männlichkeit darzustellen. Dann habe ich Angst, dass mir einmal etwas zustoßen wird. David SmithGourab Ghosh, 29, Doktorand, IndienAls ich es im vergangenen Jahr meinem Vater gesagt habe, hat er mich sehr unterstützt. In Indien ist es wichtig, Söhne zu haben, die heiraten und wieder Söhne kriegen. Aber er war glücklich. Meine Mutter hofft, dass es sich um eine Phase handelt, und meine Schwester möchte nicht, dass ich mein „Geheimnis“ enthülle.Ich war in einen Mann verliebt, den seine Gefühle sehr verwirrt haben. Er liebte mich, konnte sich aber seiner Familie nicht widersetzen. Wir haben uns getrennt. Die indische Gesellschaft ist patriarchalisch, beim Thema Familie herrschen traditionelle Werte. In ländlichen Gegenden wird Homosexualität negativ betrachtet. Es kommt vor, dass junge Männer, die sich in andere Männer verlieben, Selbstmord begehen, weil ihre Familien versuchen, sie zu verheiraten. In den Städten berichten die Medien über das Thema, und die Leute reden darüber. Unsinn zwar, aber zumindest reden sie.Ich bin Doktorand an der Jawaharlal-Nehru-Universität in Neu-Delhi. Von den ungefähr 7.000 Studenten hier sind vier offen homosexuell. Aber es ist in Ordnung. Die Lehrenden bestärken uns.Ich mag die Schwulenszene hier in Delhi nicht. Der Nehru Park wird abends zur Cruisingzone, es gibt die entsprechenden Clubs und Kneipen, aber schön ist es dort nicht. Es sind viele Bisexuelle unterwegs, es ist viel Geld im Spiel, und brutale Männer suchen Lesben, um ihnen zu zeigen, „was sie verpassen.“ Jason Burke, Foto: Chara GoiaSubi, 29, Übersetzer, ChinaDie chinesische Kultur war im Umgang mit Homosexualität schon immer toleranter. Geschichtlich ist überliefert, dass viele Herrscher männliche Liebhaber hatten. In Amerika gibt es offene Diskriminierung, hier ist das anders. Homosexualität ist nicht illegal, aber die Leute reden und tratschen gerne. Man spürt ihre Blicke.Als ich mit 23 in die Schweiz ging, um zu studieren, wussten meine Mitstudenten, dass ich schwul bin. Als ich dann nach Peking zurückkehrte, bin ich daher davon ausgegangen, dass die Leute aufgeschlossen sind. Meistens sind sie es auch. Als ich jünger war, war es schwieriger. In der Schule habe ich mich in einen Jungen verknallt, und alle nannten mich einen Freak. Meine Lehrerin drängte mich, Fußball und Basketball zu spielen. Sie meinte, ich müsste Männlichkeit aufbauen oder würde es eines Tages bereuen.Es meiner Mutter zu sagen, war das Schwerste, was ich je getan habe. Sie hatte gehört, dass ich mit jemandem ausging. Also fing sie an, mein Telefon zu kontrollieren. Als sie mich dann darauf ansprach, habe ich ihr die Wahrheit gesagt. Sie hat viel geweint. Wir sind Muslime, Homosexualität gilt als Sünde. Meine Mutter glaubt, dass ich in der Hölle verbrennen werde.Meine Familie hat versucht, mich mit jeder Menge Mädchen zu verkuppeln. Aber ich war immer ehrlich. Ich möchte keine Frau belügen und ihr Glück aufs Spiel setzen. Viele chinesische Schwule suchen sich eine unschuldige Frau und kriegen Kinder. Die Frau erfährt nie, dass ihr Mann schwul ist und einen Liebhaber hat. Eltern verzweifeln. Die Leute tratschen, es wirkt sich auf den sozialen Status der gesamten Familie aus.Eine Freundin sagt, Lesben hätten es einfacher: Die Leute denken, wenn Mädchen sich mögen, läge es nur daran, dass sie noch keinen richtigen Mann getroffen hätten. Ich würde nur einen Mann heiraten. Ich bin zuversichtlich, dass es in China eines Tages die Homoehe geben wird. Tania Branigan, Foto: Dan ChungNemat Sadat, 34, Dozent AfghanistanIch bin der erste Mann in meinem Land gewesen, der seine Homosexualität öffentlich bekannt gemacht hat. Ich wurde in Afghanistan geboren, bin in den USA aufgewachsen und vor zwei Jahren nach Kabul zurückgegangen. Dann aber hat die Regierung versucht, mich zu kriminalisieren, und ich musste das Land wieder verlassen und zurück nach New York gehen.Homosexuellen-Gruppen werden in Afghanistan zensiert. Man kontaktiert sich über Grindr und Facebook, aber viele haben falsche Profile. Man trifft sich vielleicht ein-, zweimal, hat Sex, mehr aber wird nicht daraus. Die Leute haben Angst, dass die Regierung diese Gruppen ausspäht.Die Szene, die natürlich nur im Untergrund existiert, ist chaotisch. Schwule können an ähnlichen Orten zusammenkommen wie im Westen: Einkaufszentren, Parks, Fitnessstudios. In den Kabuler Bussen wird zur Hauptverkehrszeit gerempelt oder man fasst sich gegenseitig in den Schritt. Viele junge Männer benutzen keine Kondome, AIDS ist ein echtes Risiko. Unter den Taliban war Homosexualität unmöglich. Viele Menschen denken immer noch, das verstoße gegen den Islam. In den vergangenen elf Jahren wurde zwar niemand mehr gehängt, aber ich habe gehört, dass Leute, die von der Polizei geschnappt werden, zur Strafe vergewaltigt worden sind.Als ich mich meinen Eltern gegenüber geoutet habe, haben sie mir gesagt, ich muss das für mich behalten. Ich habe keinen Kontakt zu meinem Vater, in Amerika ist es einsam. Ich bringe ein Opfer. Aber ich wünsche mir, dass afghanische Jugendliche von meinem Beispiel lernen können, dass es geht, Afghane und Muslim und homosexuell zu sein. Es macht ihnen vielleicht Hoffnung. Emma Graham-Harrison, Foto: Brian HarkingPierre Jamineh, 18, Kellner WestjordanlandIch stamme aus einer christlichen Familie, die aber nicht sonderlich religiös ist. Nur wenn es um Homosexualität geht. In Bethlehem, wo ich aufgewachsen bin, haben früher vor allem Christen gelebt, jetzt gibt es immer mehr Muslime und einfach mit einem Mädchen ausgehen, das geht da nicht mehr. Schwul zu sein erst recht nicht!Ich habe ein Jahr gebraucht, um es meiner Familie zu sagen. Da war ich 15 oder 16. Zuerst schien es okay für sie zu sein, doch dann haben sie mich erst zu einem Priester und dann zu einer Psychiaterin geschickt. Die fand das vollkommen in Ordnung. Meine Eltern mochten sie wegen dieser Aufgeschlossenheit nicht und hielten mich davon ab, weiter hinzugehen.Ich habe meine Sexualität nicht geheim gehalten, aber auch nicht darüber gesprochen. Ich wusste, dass es in Bethlehem andere Schwule gab, ich habe sie aber nicht getroffen. Im letzten Schuljahr bin ich depressiv geworden und dann zu einem schwulen Freund nach Tel Aviv gezogen, der auch französisch-israelische Wurzeln hat. Meine Mutter ist israelische Araberin, deshalb habe ich einen israelischen Pass und kann überhaupt nach Tel Aviv fahren. Ich bin dort nicht in Schwulenbars gegangen, weil ich niemanden kannte. Aber trotzdem, Tel Aviv war wie ein anderer Planet.Zurück in Bethlehem fühlte ich mich unter Druck, ich wollte die Stadt verlassen und bin erst einmal in Tel Aviv in ein Haus für homosexuelle Teenager gezogen. Da war ich der einzige Palästinenser, aber mit der Zeit habe ich Freunde gefunden. Hier leben viele schwule Palästinenser, ich fühle mich frei.Alle paar Wochen fahre ich nach Bethlehem, ich habe dort drei schwule Freunde. Zwei beneiden mich um mein Leben, der dritte ist politisch unterwegs und würde nicht nach Israel gehen. Ich will nicht zurück. Zu meiner Familie habe ich keinen Kontakt. Sie ist Vergangenheit. Harriet Sherwood, Foto: Quique KieszenbaumTi*, Ende 20, Schriftsteller ÄgyptenHier schwul zu sein, bedeutet, ständig kämpfen zu müssen. Von dem Moment an wo man es bei sich selbst bemerkt, bis zum Tod. Selbst danach kann die Familie noch Diskriminierung erleben. Ich habe mir selbst erst relativ spät, mit 21 Jahren, eingestanden, dass ich schwul bin. Ich habe es einer Freundin erzählt, die mich daraufhin zum Arzt brachte und mich später erpresst hat. Dass Familien ihre Kinder, die ihre Homosexualität offenbaren, zu einem Arzt bringen, geschieht häufig. Ich kenne lesbische Frauen, denen Bilder von Frauen gezeigt und gleichzeitig Stromschläge im Gehirn verpasst wurden.Ich komme aus einer kleinen Stadt, in der jeder jeden kennt. Das Coming-out bedeutete für mich, dass ich mich nirgendwo mehr sicher fühlte. Ich glaube, innerlich weiß meine Familie Bescheid, sie kann sich der Tatsache bloß nicht stellen. Und ich sage es ihnen nicht, weil ich ihr Leben nicht vermasseln will. Es bedroht ihre Werte: Von Geburt an bereitet die Familie einen auf die Ehe vor.Ein oder zwei Jahre nach meinem Coming-out begann ich, mich mit Männern zu treffen und Kontakte zu anderen Schwulen zu suchen. An vielen Orten in der Kairoer Innenstadt, immerhin der kosmopolitischsten Stadt im Land, wird mir und meinen Freunden der Zutritt verwehrt. In manche Bars und Cafés dürfen wir nicht hinein. Bei One-Night-Stands werden wir oft ausgeraubt. Ich habe schon Laptops, Handys und Geld verloren. Die Täter wissen, dass wir uns nicht an die Polizei wenden werden, weil die uns wahrscheinlich verhaften würde. Homosexualität ist nicht illegal. Sie hängen einem einfach eine andere Straftat an und behaupten etwa, man sei Drogendealer. Patrick Kingsley* Der Schriftsteller möchte anonym bleiben
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