Beate Zschäpe und der Pfeil des Rechts

NSU-Prozess Es geht um Schuld oder Unschuld der Angeklagten. Nicht mehr und nicht weniger
Ausgabe 19/2013
 Beate Zschäpe und der Pfeil des Rechts

Die Anwälte Wolfgang Stahl, Anja Sturm und Wolfgang Heer (v.l.n.r.) im Gespräch mit Beate Zschäpe

Eine schmale, ernste Frau mit langem, offenem Haar im dunklen Kostüm. Das ist Beate Zschäpe am ersten Tag ihres Prozesses. Was hat man erwartet? Man kann es den Leuten nicht ansehen, ob sie schuldig oder unschuldig sind. Wir sind bildergläubig und erwarten einen Zusammenhang zwischen dem äußeren Anschein und der inneren Wahrheit. Dabei wissen wir, dass es einen solchen Zusammenhang nicht gibt. Weder im Leben noch vor Gericht. Aber wir können uns dem Voyeurismus der Erwartung nicht entziehen: so viele Tote, so viel Leid, so viele Hinterbliebene, so viel Trauer und Wut – und sie betritt den Saal, und es kann doch nicht sein, dass nichts davon der Angeklagten ins Gesicht geschrieben steht? Natürlich kann das sein. Und so war es auch am Montag, am ersten Tag des Verfahrens gegen Zschäpe und die mutmaßlichen Helfer des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“.

Was für ein Verfahren: 606 Zeugen, 80 Nebenklagevertreter, zwölf Verteidiger, fünf Angeklagte, fünf Richter, drei Bundesanwälte – und im Mittelpunkt Beate Zschäpe. Eine zierliche Frau von 38 Jahren, die Gärtnerin gelernt hat, die als junges Mädchen zu den Rechten gefunden hat, die sich mit zweien von ihnen zusammentat, Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt, und die mit diesen Männern – und vielleicht mit anderen, das liegt noch im Dunklen – eine neonazistische Terrorzelle gründete und Tod und Verwüstung in das Leben so vieler Menschen brachte.

Der Prozess gegen Zschäpe und vier Mitangeklagte soll 84 Verhandlungstage dauern. Am ersten Tag kam es nicht einmal zur Verlesung der Anklage. Das Strafverfahren folgte einer eigenen Logik und Dramaturgie. Es soll den Schuldigen verurteilen und den Unschuldigen schützen, es soll frei von Willkür sein und es soll vor der nächsten Instanz bestehen können. Manchmal fällt es dem Gericht schwer, diese drei Aufgaben zugleich zu erfüllen. Der Strafrechtslehrer Claus Roxin sagt: „Darum kann der Strafprozess auch nicht wie ein Pfeil geraden Weges das Ziel erreichen.“ Man wird sehen, welche Umwege der Pfeil des Rechts in München nehmen wird.

Und man wird sehen, ob der Vorsitzende Richter Manfred Götzl ein sorgsam-bedachter Jurist ist oder ein überforderter Pedant. In der Frage der Öffentlichkeit hat sich Götzl nicht klug verhalten. Eine weltgewandte Klugheit ist allerdings keine Bedingung für einen guten Richter. Man wird auch sehen, ob die Vertreter der Nebenklage ihrer Verantwortung gerecht werden. Es gehört zum Wesen der Nebenklage, dass sie der Versuchung ausgesetzt ist, aus dem Gerichtssaal eine Bühne zu machen. Das ist er aber nicht. In diesem Prozess geht es um Schuld oder Unschuld der Angeklagten. Nicht mehr und nicht weniger.

Die Nebenkläger haben Recht mit ihrer Forderung, dass endlich die überfällige Debatte geführt wird, über rechte Gewalt und strukturellen Rassismus in Deutschland. Auch über die gefährliche Islamophobie, die sich breitmacht im Land, wird man reden müssen. In den Kältestuben des Internets werden zielgerichtet kulturchauvinistische und islamfeindliche Klischees verbreitet. Auch auf solchem Boden wuchsen die NSU-Taten. Über all das muss in Deutschland geredet werden. Der Prozess in München bietet den Anlass. Aber auch wenn es für die Hinterbliebenen der Opfer schwer sein wird, das zu akzeptieren: Seine Aufgabe ist eine andere.

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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