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Großes Theater Auch für klaustrophob Veranlagte ein Vergnügen: Roman Polanskis neuer Film „Venus im Pelz“
Ausgabe 47/2013
Roman Polanski (links) mit seinen Schauspielern Emmanuelle Seigner und Mathieu Amalric
Roman Polanski (links) mit seinen Schauspielern Emmanuelle Seigner und Mathieu Amalric

Foto: 2013 PROKINO Filmverleih GmbH

Es soll durchaus kultivierte Zuschauer geben, denen die Ankündigung, dass in einem Film nur zwei Personen auftreten, Angst bereitet. Angst vor Langeweile. Handelt es sich zudem um die Verfilmung eines Theaterstücks, kommt womöglich noch Platzangst hinzu – zeichnen sich doch die meisten Stücke durch die strenge Begrenzung des Handlungsorts aus.

Venus im Pelz, Roman Polanskis Verfilmung eines Theaterstücks von David Ives aus dem Jahr 2010, das die berühmte Novelle von Leopold Sacher-Masoch neu interpretierte, holt eben diese Sorte kultivierter Zuschauer punktgenau bei ihren Ängsten ab. Zur Eröffnung fährt die Kamera (Pawel Edelman) von Blitz, Donner und einem entsprechend hyperdramatischen Score (Musik: Alexandre Desplat) begleitet einen regennassen Boulevard entlang, und so übergangslos geht es hinein in ein Theater, dass man kaum registriert, dass man sich nun in einem geschlossenen Raum befindet. Selbst wer ahnt, dass man dieses Theater nun nicht mehr verlassen wird, ist jetzt gespannt auf das, was kommt.

Für Thomas (Mathieu Amalric) scheint der Tag schon gelaufen. Genervt packt der Theaterregisseur seine Sachen, als Vanda (Emmanuelle Seigner) hereinschneit. Das Casting, das Thomas für die Besetzung seines Stücks nach Sacher-Masochs Venus im Pelz abhielt, war ein Reinfall. Und obwohl Vanda für ihn direkt ausscheidet – zu vulgär, zu banal, zu ungebildet –, kann sie ihn überreden, es doch, für ein paar Zeilen nur, mit ihr zu versuchen. Die erste große Überraschung: Vanda kennt das Stück. Auswendig. Die zweite: Aus der eben noch stammelnden und Kaugummi kauenden Laiin wird innerhalb von Sekunden eine scharfzüngige Sexbombe, deren Augen es nach Macht gelüstet. Die dritte Überraschung: Bei Thomas schlägt das eine Saite an, die ihn reflexhafter als gewollt reagieren lässt.

Und so verwandeln sich die beiden vor der Kamera gleichsam in vier Personen. Zum entschlossenen Schauspieltalent Vanda kommt die von ihr gespielte reiche Witwe Wanda von Dunajew dazu, ihr zunächst unwillliger Gegenspieler Thomas verdoppelt sich zum Adligen Severin, der davon träumt, von Wanda zum Sklaven degradiert zu werden. Das Folgende spielt sich zwischen diesen vier Personen ab. Gerade daraus bezieht Venus im Pelz einen großen Teil der Spannung: Wenn Thomas als Regisseur Vanda, die Schauspielerin, dazu auffordert, dominant zu sein, dann wird ihm selbst erst bewusst, das dieser Wunsch in seiner Widersprüchlichkeit auch sein eigener sein könnte. Oder doch nicht? Wer hier wen dominiert und auf welche Weise Macht über den anderen ausübt, diese Frage wird weniger geklärt als vielmehr wie in einem Spiegelkabinett endlos verkompliziert.

Perversionen und ein Kaktus

Auch wer sich für Sacher-Masoch und die nach ihm benannten „Perversionen“ rein gar nicht interessiert, kann an diesem Film größeres Vergnügen finden. Eine Fülle an witzigen Details untergräbt den manchmal übergroßen Ernst des Textes. Da ist zum Ersten der Kaktus, der als Überbleibsel einer Musical-Produktion des Westerns Stagecoach auf der Bühne steht und nicht allein durch seine phallische Gestalt Ironie hereinbringt, sondern auch die Allusion an John Wayne und das Machowesen des Genres.

Zum Zweiten ist da Polanskis Regieführung: Schon mit Messer im Wasser vor immerhin 51 Jahren hat sich der nun 80-Jährige als Meister der Inszenierung im engen Raum entpuppt. Kaum jemand versteht es wie er, die Dinge interessant zu halten, auch wenn Szenerie und Figuren dieselben bleiben. So effektiv schneidet Polanski hier Schuss an Gegenschuss, Dialogzeile an Dialogzeile, dass sich der Zuschauer keinerlei Einschränkungen bewusst wird und sich ganz dem perlenden Erzählfluss überlässt. Am wichtigsten aber sind die beiden Schauspieler, die jeweils gegen ihren Typ anspielen und damit interessant werden wie lange nicht. Emmanuelle Seigner zeigt tiefgründige Emotionalität und Nuancen, die man ihr nie zugetraut hätte. Mathieu Amalric wiederum, vielleicht zu oft gelobt für seinen minimalistischen Stil, traut sich hier einmal mehr aus sich heraus und überzeugt mit dem Mut, gänzlich uncool zu erscheinen.

Venus im Pelz
Roman Polanski 93 Minuten

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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