Blockbuster im Krisengebiet

Kino Der Regisseur Marcus Vetter zeigt in seiner Dokumentation "Cinema Jenin" den Versuch, ein altes Kino im Westjordanland wieder mit Leben zu füllen
Ort verschiedener Projektionen: das alte Lichtspielhaus in Dschenin
Ort verschiedener Projektionen: das alte Lichtspielhaus in Dschenin

Foto: Senator Film

Die Stadt Dschenin im Westjordanland wird in den deutschen Medien gerne als „Labor“ bezeichnet. Hier verliefen in den vergangenen Jahrzehnten die Konfrontationslinien im Israel-Palästina-Konflikt. Jahrzehntelang war der Name Dschenin synonym mit einem der größten Flüchtlingslager der Region.

Und während der zweiten Intifada galt die Grenzstadt im Norden des Palästinensischen Autonomiegebiets als Stützpunkt der Al-Aqsa-Terrorbrigaden. Heute herrscht in Dschenin wieder weitgehend Ruhe, Cafés und Geschäfte säumen das Straßenbild. Doch eine „Normalisierung“ der Zustände ist das letzte, was die Bewohner von Dschenin unter diesen Bedingungen anstreben.

Der deutsche Filmemacher Marcus Vetter hat sich für seine Dokumentation Cinema Jenin bereits zum zweiten Mal in das Westjordanland begeben, um einen Film über die Menschen in Dschenin zu drehen. 2008 zeigte er in Das Herz von Jenin Ismail Khatib, dessen elfjähriger Sohn durch die Kugel eines israelischen Soldaten getötet worden war. Der Vater hatte die Organe seines Sohnes israelischen Kindern gespendet.

Eine solche Versöhnungsgeste steht auch im Mittelpunkt von Cinema Jenin. Aber mehr noch als zuvor zeigt Vetters zweiter Film, welche politischen und kulturellen Vorbehalte, die aus dem Jahrzehnte währenden Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern erwachsen sind, einer Annäherung entgegenwirken.

Das Cinema Jenin ist ein leer stehender Kinopalast, der im Stadtzentrum an bessere Zeiten gemahnt. Als Vetter das Gebäude zum ersten Mal betritt, fassen er und Ismail den spontanen Entschluss, das alte Kino wieder instand zu setzen. Ihr Plan stößt jedoch auf Widerstände. Die Besitzer zeigen wenig Interesse an der Renovierung des Gebäudes, die Ankündigung, israelische Filme ins Programm zu nehmen, weckt das Misstrauen der Bevölkerung, und die Zahlungen der Autonomiebehörde bleiben aus.

Die Ruine als Symbol

„Normalisierung“ ist das Reizwort, das im Film immer wieder fällt. Dahinter steht die Befürchtung, dass der kulturelle Dialog mit dem Feind, den Status Quo, also die Besatzung der palästinensischen Gebiete, weiter zementieren werde. So wird die Kinoruine zum umkämpften Symbol: für die Menschen von Dschenin als Zeugnis der Unterdrückung, für Vetter und seine israelischen, palästinensischen und deutschen Mitarbeiter als Hoffnung für eine Aussöhnung.

Cinema Jenin gewährt einen Einblick in die komplexe Psychologie eines politischen Konfliktes. Kann man der Bevölkerung in Zeiten des Ausnahmezustands einen Unterhaltungsfilm wie Avatar zumuten? Und darf das Kino ein Ort des kulturellen Austauschs sein oder muss es sich zur Stimme des palästinensischen Widerstands erheben? Das Kino wird in Cinema Jenin selbst zum Labor konträrer Haltungen und Weltanschauungen. Vetter dokumentiert in internen Debatten, wie unmöglich es für einen Außenstehenden geworden ist, die psychologischen und gesellschaftlichen Beschädigungen nachzuempfinden.

Eine Szene im Film zeigt das eindringlich: Als Vetter einen ehemaligen Al-Aqsa-Kämpfer auf einem Podium zu seinen Erfahrungen befragt, muss der Regisseur die Gesprächsleitung sprachlos an einen palästinensischen Mitarbeiter abgeben. Ein ehrliches Eingeständnis der eigenen Hilflosigkeit, das zu bedenken gibt, wie anmaßend es für den Westen im Nahostkonflikt anmutet, die Geschicke der Palästinenser moderieren zu wollen.

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