Bodo, der Rote

Kein Anpassungsgenie Eine Abschiedsvorlesung am Otto-Suhr-Institut

Es gibt ein Lied von Franz-Josef Degenhardt, in dem der Typus des "linken" Aufsteigers aufs Korn genommen wird: ein opportunistisches Anpassungsgenie, das in aufbrandenden Aufständen immer nur ein modisches Ticket für eine karriereförderliche Publikation erblickt. Selbst wenn er sich sofort an die Bewegungen dranhängt, bleiben sie ihm äußerlich und fremd; im besten Falle mimt er den exponierten Koordinator der Aktiven und vertritt sie vor den fragenden Medienvertretern. Degenhardt verlieh in seinem Song dem Aufsteiger ob seiner zwielichtigen Strahlkraft den schönen Namen "Bodo, genannt der Rote".

Kurioserweise findet sich auch im realen Leben ein Aktivist mit eben diesem Namen, dessen Einstellung und Duktus aber unterschiedlicher nicht sein könnten: Bodo Zeuner, just emeritierter Professor am Berliner Otto-Suhr-Institut (OSI) für Politikwissenschaft, der am 11. Juli seine Abschiedsvorlesung über die Ökonomisierung der Wissenschaft hielt. Im Sommer 1971 gehörte er zu den drei Redakteuren des Spiegel, die gegen den autokratischen Führungsstil Augsteins rebellierten, mehr Mitbestimmung forderten und dann wie zur Bestätigung des Aufstandes kurzerhand entlassen wurden.

Zeuner, der ursprünglich in der Parteienforschung aktiv war, wurde 1978 Hochschullehrer im neu gegründeten Bereich für politische Weiterbildung am OSI. Er forschte über die Arbeiterbildung, einen Teil der Arbeiterkultur, der früher essentiell war und nun wieder aufstrebte: Die Gewerkschaften hatten gerade einen bezahlten Bildungsurlaub für Betriebsräte erkämpft und damit für Zeuner ein riesiges Forschungsfeld eröffnet. Dass sich die Stelle dauerhaft in der Tradition der Arbeiterbildung verortet hat, ist entscheidend sein Verdienst.

Zuletzt rückte ins Zentrum seiner Forschung die Frage, wie in Zeiten der Flexibilisierung und des Abschleifens der klassenbewussten Arbeitermilieus das unumgängliche Fundament der Arbeiterbewegung - die Solidarität - zu bewahren sei. Ein schwieriges Unterfangen, denn immer wieder verfallen auch wackere Gewerkschafter den politischen Ideen von Nationalismus und Abschottung. Eine jüngst von Zeuner mitveröffentlichte Studie bestätigt den erschreckenden Befund, dass ein Fünftel der Gewerkschafter ein rechtsextremes Weltbild mit sich herumträgt.

Bodo Zeuner ruft deshalb zur Besinnung auf, erinnert an den proletarischen Internationalismus und verlangt, dass die dünkelhafte Trennmauer zwischen Prekären und Facharbeitern niedergerissen werde. Und er fordert die Globalisierung der Gewerkschaftsarbeit. Doch seine Worte verhallten wie die eines einsamen Rufers im Walde. Das lag wohl daran, dass der von Zeuner bekämpfte "nationale Standortkorporatismus" stets eine strukturelle Geschäftsgrundlage der arrivierten Arbeiterbewegung und ihrer Akzeptanz im Kapitalismus war.

Was Zeuner zu einem der wertvollsten Professoren des OSI werden ließ, war vor allem seine Erkenntnis, dass Solidarität praktisch werden müsse. Er verstand die Universität als Bildungsinstitut der Gesellschaft - der Elfenbeinturm sollte Basisarbeit leisten. Er sah sich mit seinem Wissen nicht als Belehrungsinstanz für Studierende und Arbeiter, sondern als Partner, der offen war für den Dialog. Am besten stellte er dies in Studentenstreiks an der Universität unter Beweis: Während andere linke Dozenten gern auf ihre professorale Rolle pochen und den Streikenden die Marschroute vorgeben wollten, sperrte sich Zeuner gegen hierarchischen Gesten und versuchte, die Dozenten selbst zu bewegen.

Zeuners Anspruch und seine Utopie, wonach die Universität auch jenen nützen sollte, die nicht das Privileg haben, hier zu studieren, wirkt angesichts der Sermons von Clusterbildung, Exzellenzwettbewerb und Eliteförderung fast wie aus einer anderen Welt.

Dass Bodo Zeuner, der sich so grundsätzlich von seinem Degenhardtschen Namensvetter unterscheidet, der Weg auf einen Professorenstuhl gestattet wurde, war - wie er in seiner Abschiedsvorlesung betonte - nicht nur sein individuelles Verdienst, sondern ebenso der Solidarität der Kollegen und des Glücks geschuldet. Solch eine glänzende Bescheidenheit kommt inzwischen kaum noch einem Wissenschaftler über die Lippen, zu geläufig ist der Typus "Bodo, genannt der Rote" geworden.


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