Gurlitt kommt aus Kafkas und Canettis Welt

Glosse Cornelius Gurlitt liebt seine Bilder, wie Peter Kien seine Bücher. Anmerkungen zur Faszinationsgeschichte des Weltfremden
Ausgabe 47/2013
"Mann und Frau am Fenster" von Wilhelm Lachnit, eines der widerentdeckten Werke aus dem Haus Gurlitt
"Mann und Frau am Fenster" von Wilhelm Lachnit, eines der widerentdeckten Werke aus dem Haus Gurlitt

Foto: Lost Art Koordinierungstelle Magdeburg, via AFP/ Getty Images

Ein Rechtsfall, der die Kunstwelt erschüttert. Ein fast zufälliger Kunstfund, der die Erinnerung an Unrecht und Kunstfrevel der Nazis nicht nur aufrührt, sondern wieder einmal vor Augen führt, dass sich deren Verbrechen niemals bewältigen oder erledigen lassen. In einer wohltemperierten Asservatenkammer in Bayern liegen darum nun Bilder, von denen weder die Kunstgeschichte noch die Justiz so genau sagen kann, wem sie gehören, ob bei ihrem Erwerb nach dem Buchstaben des Gesetzes überhaupt Unrecht geschah und ob es verjährt ist. Bilder, deren Status und Stellenwert unklar ist, historisch, kunsthistorisch, juristisch. Und ökonomisch: In Zeiten, in denen ein Bacon-Triptychon 150 Millionen erlöst, steht die als Schätzwert genannte Fanastilliarde nicht einmal sinnlos im Raum.

Und dann ist da ja nicht nur die Kunst, sind da nicht nur die Gemälde und Bilder von Dix, Beckmann, Chagall. Es lassen sich zu diesen Bildern auch Geschichten erzählen, was die Medien besonders freut. Da ist zum einen die Geschichte des jüdischen Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, der für die Nazis mit „entarteter“ Kunst gedealt hat und dessen in Teilen ganz sicher nicht koscherer Sammeltätigkeit sich der Kunstschatz verdankt. Schon in dieser schillernden Figur, in der ein Opfer zum Täter und dann zum unbescholtenen Bürger wird, verknoten sich Kunst, Recht und Moral auf nicht eindeutig aufzulösende Weise. Und dann ist da der Sohn Cornelius Gurlitt, ein Weltfremdling und reiner Tor, der nicht versteht, wie er so plötzlich ins Zentrum dieses Schauspiels von der Wiederkehr des Verdrängten geriet.

Drei Tage hat ihn Özlem Gezer vom Spiegel mit seinem Einverständnis begleitet. Sie zeichnet in ihrer Reportage das Bild eines der Welt schon vor langem abhanden gekommenen Mannes, für den das Unheil mit der Einführung eines zweiten Fernsehprogrammes begann. Keine Person, die in unsere Realität passt, eher eine literarische Figur. Wie von Kafka zum Beispiel, auf dessen In der Strafkolonie Gurlitt im Gespräch mit Gezer selbst verweist. Oder mehr noch wie die Hauptfigur von Elias Canettis Roman Die Blendung, der Anfang der dreißiger Jahre entstand. Peter Kien heißt der Mann, ist Sinologe, und es interessiert ihn nichts auf der Welt als die 25.000 Bücher in seinem Vier-Zimmer-Apartment. „Kopf ohne Welt“ heißt der erste Teil des Romans, und als ein solcher Kopf ohne Welt er-scheint einem auch Cornelius Gurlitt: eine Figur, die ganz auf den Schatz in der Wohnung fixiert ist, die nichts anderes kennt und mit dem Verlust des Schatzes in tiefes Unglück gestürzt wird.

Man möchte Gurlitt das weitere Schicksal Peter Kiens nicht wünschen. Er gerät an Menschen, die seine Weltfremdheit rücksichtslos ausnützen. Man nimmt ihm nicht seine Bücher, dafür wird aber er selbst aus seiner Wohnung vertrieben. Darüber wird er vollends verrückt. Der Roman ist die Phantasmagorie dieses Wahns. Es ist darin von einem mittelalterlichen Holzschnitt die Rede, auf diesem „waren einige dreißig Juden verzeichnet, die lichterloh brannten und verstockt noch auf dem Scheiterhaufen ihre Gebete schrien“. Ähnlich endet auch Kien. Er kehrt in die Wohnung zurück. Niemand soll ihm die Bücher je wieder nehmen. Also zündet er sie an. „Als ihn die Flammen endlich erreichen, lacht er so laut, wie er in seinem ganzen Leben nie gelacht hat.“ Nur wer verrückt ist, lacht da noch mit.

Ekkehard Knörer ist Redakteur beim Merkur und schreibt regelmäßig für den Freitag

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Geschrieben von

Ekkehard Knörer

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