Cottbus ist eine Stadt mit etwa 120.000 Einwohnern und liegt in der Lausitz nahe der polnischen Grenze. Das macht an sich noch nicht so viel her. Solche Städte gibt es woanders auch.
Die heißen dann Kaiserslautern oder Mönchengladbach. Solche Städte haben einen alten Ortskern, in dem kaum jemand wohnt und der in den Siebzigern zur Fußgängerzone erklärt wurde. Dort residieren Geschäfte, deren Inhaber über die zu wenigen Parkplätze schimpfen und deren Verkäuferinnen am Stadtrand in Wohngebieten leben, die es in den sechziger Jahren noch gar nicht gab. Weder Cottbus noch Kaiserslautern oder Mönchengladbach kennt man, weil dort bemerkenswerte Einwohner leben, weil dort ein bisschen Industrie ist und schon gar nicht kennt man diese St
diese Städte, weil sie etwa schön wären. Cottbus hat einen Schlosskirchplatz, einen Klosterplatz und einen Oberkirchplatz, wo die Schlosskirche, die Klosterkirche und die Oberkirche St. Nikolai stehen.Aber Cottbus hat auch einen berühmten Fußballverein, genau wie ihn Mönchengladbach und Kaiserslautern haben. Anders als Mönchengladbach spielt der FC Energie Cottbus ab August 2000 in der Ersten Fußballbundesliga. Als 1997 der FC Energie schon mal sehr gut war, nämlich das Finale des DFB-Pokals erreichte, da sprach im ARD-Studio Waldemar Hartmann vom Bayerischen Rundfunk einen ganzen Abend lang von "Energie Chemnitz". Das hat die ganze Lausitz empört, ganz Brandenburg, eigentlich den gesamten Osten. Und jetzt, im Sommer 2000, hat es Energie Cottbus diesen arroganten Hartmanns gezeigt, jetzt kommt Bayern München nach Cottbus. Die Mannschaft um Ottmar Hitzfeld, Stefan Effenberg, Uli Hoeneß und dem leibhaftigen Franz Beckenbauer wird auf dem kleinen Flughafen Drewitz landen und wird sich von dort ins Stadion der Freundschaft begeben. Einmal im Jahr müssen sie das machen, und einmal im Jahr muss der große und arrogante FC Bayern ein guter Gastgeber für den kleinen Verein aus der Niederlausitz sein, wird sein großes Olympiastadion in München herrichten, damit die Spieler des FC Energie dort auflaufen werden.Die Stadt und der Verein hatten nur einen kurzen Sommer Zeit, sich auf Bayern München, Bayer Leverkusen, Borussia Dortmund, Hertha BSC Berlin und Schalke 04 vorzubereiten.Doch nicht mal beim Verein kehrte Hektik ein, und in der Stadt schon gar nicht.In der Fußgängerzone sitzt ein Punk mit Gitarre und Hund. Der Punk sieht aus, wie man in Berlin schon seit zehn Jahren keinen Punk mehr gesehen hat, und er singt Politlieder, die man in der übrigen, nicht nur der westlichen Republik schon seit zwanzig Jahren nicht mehr gehört hat. Gegen Bonzen, gegen die da oben, gegen die Spießer, gegen die Reichen, die es nehmen von uns, den einfachen Leuten. Für Selbstbestimmung, für Autonomie, für Punk - all diese Begriffe gibt es hier noch. Auf seiner Gitarrentasche liegen tatsächlich einige Münzen, sogar größeres Silbergeld wie Zwei- oder Fünfmarkstücke. Vielleicht erhält er es dafür, dass er brav Lieder singt, die man wenigstens versteht, keinen Punk.Auf eine Neubaufassade in der Parzellenstraße hat jemand gesprüht: "Euch allen fehlt nur der Punkrock". Die Parzellenstraße führt von der Altstadt zum Stadtring, wo auch das Stadion der Freundschaft liegt.Das ist erstligareif, findet der Cottbuser Oberbürgermeister Waldemar Kleinschmidt von der CDU, lediglich kleinere organisatorische Verbesserungen könne der Verein erwarten. "In der kommenden Saison wird in dieser Richtung nichts passieren. Die Planungen benötigen einen längeren Vorlauf." Erst ab nächstem Jahr sind Investitionen geplant, die vom Land Brandenburg, der Stadt und von der EU finanziert werden.Der Verein braucht die Stadt nicht. Er ist schuldenfrei, hat über hundert Sponsoren und betreibt eine vorsichtige Einkaufspolitik. Die teuerste Neuverpflichtung kostet 900.000 Mark.In einer Fankneipe in der Nähe des Stadions, sie heißt Die Rote Karte, wird das gelobt. "Der Geyer hat ein gutes Auge", heißt es. "Und die Jungs müssen zu uns passen. Wir brauchen keinen Effenberg." So reden Aufsteiger immer. Oberbürgermeister Kleinschmidt gilt in der Roten Karte als kein Guter. "Der kommt doch nur zum Feiern", sagt einer, "aber für Energie tut der nichts." Solche Sätze sagt man in jeder Fankneipe über den jeweiligen Bürgermeister. OB Kleinschmidt schmückt sich lieber mit Universität und Bundesgartenschau. Er weiß scheinbar gar nicht, was der Fußball für seine Stadt bedeutet. Findet man in der Roten Karte.Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe will sich solche Vorwürfe nicht machen lassen. "Die Menschen in der Lausitz können jetzt das Kreuz gerade machen", dichtete er etwas wirr nach dem Aufstieg, "Energie ist ein Riesen-Mutmacher für alle."Der Fußball-Erfolg bedeutet für die Stadt und die Lausitz den Abschied von "Energie Chemnitz". Es ist endlich die Wahrnehmung als Ort, an dem Menschen wohnen, in dem man leben kann, weil dort auch guter Fußball gespielt wird. Ein Ort wie Kaiserslautern oder Mönchengladbach.Den Punk in der Innenstadt interessiert das nicht, zumindest nicht im Detail. Fußballer sind ihm Millionäre, alles ist ihm nur Kommerz, das große Geld. Die zum Fußball gehen, "das sind doch die Prolls", von denen kriege er ohnehin kein Geld. "Und das sind Faschos." Wer ihm was gibt, "das sind die Touris, aber ich hocke ja immer nur so lange, bis ich meine paar Mark zusammen habe. Ich brauch' keine zahlungskräftigen Kunden." Vom Fußball weiß der Punk nicht viel. Dass Energie aufgestiegen ist und dass da mal was mit einem Afrikaner war.Vor einem Jahr, im Juni 1999, hatte der Verteidiger Moudachirou Amadou zusammen mit seiner deutschen Freundin die Stadt und den Verein verlassen, weil er die ausländerfeindliche Atmosphäre nicht mehr ertrug. In Diskotheken ließ man ihn nicht rein, seine Freundin war als "Nutte" und "Negerschlampe" beschimpft worden. Der aus Benin stammende Amadou wollte lieber nach Karlsruhe.In Cottbus wohnen viele Ausländer, darunter viele Afrikaner. Und die Sorben haben hier ihr Zentrum. Weil die Straßenschilder zweisprachig sind, glauben viele Cottbuser, Ausländerfeindlichkeit gebe es nicht. Nur, dass die Sorben gar keine Ausländer sind, hat sich nicht allzu weit herumgesprochen. An der kleinen Universität studieren 300 Ausländer. Als durch Amadous Weggang das Thema Ausländerfeindlichkeit auch den Stadtrat aufschreckte, sagte eine Uni-Sprecherin der Berliner Zeitung, die Ausländer fühlten "sich auf unserem Campus wohl, nicht aber in der Stadt".Der Verein FC Energie hatte damals das Gerücht gestreut, Amadou habe ja nur deswegen nach Karlsruhe wechseln wollen, weil der dortige KSC Ambitionen gehabt hatte, in die erste Liga aufzusteigen, während Energie im Abstiegskampf steckte. Jetzt aber, ein Jahr später, hat es den KSC erwischt, er spielt in der Regionalliga, und Energie ist Bundesligist. Dass sich Amadou beruflich verbessern wollte mit seinem Weggang, behauptet heute niemand mehr. Das Gegenteil aber auch nicht. Von Amadou spricht niemand mehr, nicht mal, wenn man nach ihm fragt. "Ach, stimmt, der war mal hier, aber so wichtig war der nicht", sagt einer, der ganz seriös ausschaut und scheinbar alles ordentlich gewichten kann.Eine Mannschaft in der überwiegend Ausländer spielen, hat Energie immer noch. In Trainer Eduard Geyers Wunschformation für den Ligastart sind zwei Deutsche und neun Ausländer, das Fachblatt Kicker spricht von einer "Multi-Kulti-Truppe". So etwas versteht man in der Fankneipe nicht. Die passen doch zu uns, wird einem signalisiert, und im Kicker fasst Geyer, der letzte Nationaltrainer der DDR, die Idee vom deutschen Ausländer in Worte: Nach drei Jahren Zweiter Liga "sprechen die Ausländer deutsch und haben sich an den deutschen Fußball gewöhnt."An deutschen Fußball müssen sich nun noch mehr Ausländer in der Stadt gewöhnen. In der Altstadt gibt es nicht viele, aber in der hässlichen Bahnhofsgegend, von der man recht schnell zum Stadion gelangt, da sind viele Afrikaner und Araber.Bayern München wird mit dem Flugzeug kommen, aber die Fans der Bundesligaclubs werden den Cottbuser Bahnhof kennenlernen. Eine Touristeninformation gibt es nicht, wenn man die Treppe zur Haupthalle hochgeht, wird ein Fußballfanshop angezeigt, der sich noch nicht finden lässt. Um sich in der fremden Stadt zurechtzufinden - es sei denn, die Polizei holt die Gästefans direkt aus dem Zugabteil ab, damit sie nichts anrichten - muss der Besucher erst einmal in die Bahnhofsbuchhandlung. Der Stadtplan kostet 6,50 DM, auf ihm steht nicht mehr "Stadion der Freundschaft", sondern "Stadion FC Energie Cottbus".Das ist fanfreundlich, und wenn schon nicht die Stadt, so weiß doch zumindest der Straßenkartenverlag, was er an dem Club hat. Und die Stadt wird den Teufel tun, sich über Besitzrechte am Stadion zu streiten.Immerhin, die Stadt sorgt in diesem Sommer, der der Vorbereitung auf Bayern München und Borussia Dortmund dient, dafür, dass der Rasen im Stadion der Freundschaft bundesligatauglich gemacht wird. Der Club verfügt als einziger Bundesligaverein über kein eigenes Trainingsgelände, aber die Stadt hat einen Teil der Bundesgartenschau an die Fußballer abgetreten.Die Bundesgartenschau war der Vorgänger von Energie als Touristenattraktion. Geht man vom hässlichen Bahnhof entlang der Plattenbauten über eine hässliche, erst in den siebziger Jahren angelegte Straße in Richtung der neuen Stadtteile zum Stadion, passiert man zunächst das Buga-Gelände. Zur Gartenschau, ganz nah vor dem Stadion, gehört eine Holzbrücke, Fabrikat "Rötterink-Holz", Baujahr 1995. Wie viele Fans die Brücke aushalten wird, ist nicht eingetragen, wenn sie sie nicht trägt, wird man davon hören. Als der FC Energie Cottbus im Mai in die Erste Liga aufstieg, begann eine dpa-Meldung so: "Eine riesige Open-Air-Fete wie noch nie in Cottbus - doch ohne jegliche Ausschreitungen."Das unterscheidet Cottbus dann doch von Mönchengladbach oder Kaiserslautern. Noch ist es nämlich eine Meldung wert, wenn Fans keine Jagd auf Ausländer machen und wenn alles friedlich bleibt.
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