Crime Watch No. 49

Kriminalromane Bevor Killerinnen den pseudofeministischen Vorwand für frustrierte Frauen aus dem Mittelstand abgaben, und deren Nicht-Prosa dann das Thema giggelnd ...

Bevor Killerinnen den pseudofeministischen Vorwand für frustrierte Frauen aus dem Mittelstand abgaben, und deren Nicht-Prosa dann das Thema giggelnd und kichernd zur literarischen Bedeutungslosigkeit und zum belletristischen Fidelwipp degradierte, war es das Skandalon von überraschenden und wichtigen Büchern, die daran auch sprachliche Radikalität und Innovation entwickelten. Helen Zahavis Schmutziges Wochenende aus dem Jahr 1991 gehörte dazu und Pieke Biermanns Violetta von 1990. Beide Bücher wurden in einschlägigen Kreisen mit Abscheu und Ignoranz aufgenommen. Das galt und gilt erst recht für Fatal von Jean-Patrick Manchette, denn dieser, horribile dictu, Kerl hatte schon 1977 eine Frau zur selbsternannten Mörderin von Männern gemacht, sie allerdings - im Gegensatz zu Zahavi und Biermann - scheitern lassen und dann, hart am Kitsch, verklärt.

Fatal ist die Geschichte von Aimée, die aus Zufall herausbekommen hat, dass man mit Töten unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen gut durchkommt, und die jetzt damit Geschäfte macht. Sie klinkt sich in die besseren Kreise französischer Kleinstädte ein. Weil sie hübsch und harmlos aussieht, gelingt ihre Integration problemlos. Dann beobachtet sie, findet folgerichtig unter dem Mantel bourgeoiser Harmonie und Geschlossenheit die Risse aus Hass, Gier und Leidenschaft und insinuiert Mordaufträge, die sie prompt, konsequent und gegen cash ausführt. Denn alle hassen alle. Das ist im düsteren Jahr 1977 für den "Linken" Jean-Patrick Manchette der Abgesang an gesellschaftliche Utopien. Sein Hass auf die Bourgeoise, die ätzende, knappe und knappste und karikierende Darstellung seiner Figuren und ihres meist abstoßenden Privatlebens (Heuchelei, Ehebruch, Gleichgültigkeit und seelische Brutalität) rückt Manchettes Position nahe heran an die von Chabrol. Mit dem feinen Unterschied, dass Chabrol die Opfer seiner Attacken so gut kennt, weil er selbst aus der Bourgeoise kommt - Manchette aber ein Aufsteiger war. In Nada hatte er 1972 comme il faut den französischen Staat (und die Amis gleich mit) als Monstrosität aus Raison, gewaltsamer Unterdrückung, Korruption und Amoral gezeichnet. In Fatal verlegt er all diese Abweichungen in die Individuen selbst, ohne aber eine Psychopathologie der Ökonomie zu entwerfen, wie er es in Nada durch seine Sprache getan hatte. (Deshalb ist es auch sehr sinnvoll, dass Nada ebenfalls in der Neuedition von Manchettes Werken im Distel Verlag geplant ist, denn in der alten Mattes Seitz-Übersetzung war dieser Bedeutungsstrang verloren gegangen.) Es ist daher von fast grausamer Ironie, dass Chabrol Nada zwar verfilmt hat, aber nicht im Sinn des Manchette von 1972, sondern im Sinn des Chabrol, dem Manchette Jahre später so nahe gekommen war.

Was mit den Parametern der politischen Ökonomie nicht mehr darstellbar war, wurde 1977 bildmächtig im Agieren der Geschlechter untereinander. "Ich sage ihnen nicht, dass ich ein Killer bin. Ich bin eine Frau, sie würden mich nicht für voll nehmen. Ich sage ihnen, dass ich einen Killer kenne", so erklärt Aimée ihre Geschäftsidee. Und ausgerechnet sie unterschätzt am Ende eine Frau.

Aber auf eine Pointe hin ist der Roman nicht konzipiert. Seine vielfältigen Implikationen sind das Ergebnis von sprachlichen Operationen (was man eigentlich nur bei "Kriminalliteratur" immer wieder betonen muss). Manchette erzählt schnell, lässt uns aus dem Innenleben seiner Personen nur erfahren, was die uns in Dialogen mitteilen oder was sich in Action darstellt. Obwohl der Roman extrem blutig ist, pinselt Manchette die Standardsituationen der Gewalt nicht aus: "Sie beugte sich über ihn und tötete ihn rasch", heißt es einmal. Und damit ist auch Aimées Beziehung zu dem Opfer und dessen Stellung in der Hierarchie des Romans und gleichzeitig in der erzählten Gesellschaft geregelt. Die sozialen Koordinaten der Figuren werden durch die Handlung bewertet. Dieses anti-epische Prinzip hat Manchette radikal bis zum Ende getrieben. Er verstummte als Romancier lange vor seinem Tod 1995. Im Nachlass fand sich nur noch ein Fragment.

Jean-Patrick Manchette: Fatal (Fatale, 1977). Roman. Dt. von Christina Mansfeld. Distel Literatur Verlag, Heilbronn 2001, 148 S., 18,- DM

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