Mir fehlen die Worte, ich kann gar nicht ausdrücken, was mich bewegt", sagt Brenda Mofja, angehende Rechtsanwältin aus Sambia und eine von insgesamt 949 "students" der Internationalen Frauenuniversität (ifu). Die ersten Tage der ifu seien einfach "toll" gewesen. Ähnlich euphorisch formuliert es ifu-Pressesprecherin Carola Bauschke, die die "Welcome"-Veranstaltungen für die Teilnehmerinnen begleitete: "Ich habe gar keine richtigen Begriffe dafür, wie sehr mich diese so unterschiedlichen, lebendigen, interessanten Frauen begeistern. Es herrscht eine wunderbar solidarische Stimmung, als wenn alle seit Jahren auf dieses Ereignis gewartet hätten." Eine Gruppe deutscher Studentinnen, berichtet sie, habe spontan Geld gesammelt, um eine südafrikanische Stude
Das Gesicht der Welt verändern
FRAUENUNIVERSITÄT Die Internationale Frauenuniversität (ifu) ist eröffnet - und fast zwei Drittel der Studentinnen stammen aus der sogenannten Dritten Welt und aus Osteuropa
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ine südafrikanische Studentin nach Hannover einladen zu können, für die man kein Stipendium habe organisieren können. Und Brenda Mofja erzählt, wie sie mit einer Freundin zusammen wärmere Kleidung in einem Second Hand Shop habe kaufen wollen. Die Besitzer, ein hannoversches Ehepaar, hätten ihnen angeboten, gratis alles mitzunehmen, was sie bräuchten.Die Frauenuniversität also hat als Wärmestrahler begonnen. Trotz des miesen Wetters, trotz der trüben Stadtkulisse von Hannover. Ob die begeisterte Stimmung über all die drei Monate bis zum 15. Oktober anhalten wird, weiß man natürlich noch nicht. Was so viel Freude auslöst, die einmalig multikulturelle Zusammensetzung der ifu, hat auch das Potenzial, Missverständnisse auszulösen und manche Debatte schwierig zu gestalten. Reizthemen sind Pornografieverbot und Genitalverstümmelung von Frauen. Genau hier liegt aber auch die Riesenchance der Frauenuniversität: solche Diskussionen überhaupt führen zu können.Die Frauen, die sich drei Monate lang der Lösung der Menschheitsprobleme aus weiblicher Sicht widmen wollen, kommen aus insgesamt 115 Ländern. Die Kritik an der herrschenden Wissenschaft als Wissenschaft des herrschenden weißen Mannes dürfte in der ifu breiten Raum einnehmen. Denn knapp die Hälfte aller Teilnehmerinnen, 58 Prozent, stammen aus der sogenannten Dritten Welt, vor allem aus Asien, aber auch aus Afrika und Lateinamerika. Wenn man die Staaten des ehemaligen Ostblocks dazu rechnet, sind es fast zwei Drittel - 61 Prozent, die den anstrengenden Alltag in Armutsländern zumindest aus der Anschauung kennen, wenn auch nur die wenigsten ihn selbst gelebt haben, geschweige leben müssen.Brenda Mofja ist eine von ihnen, und ihr Interesse an der ifu dürfte durchaus typisch sein. Wie viele andere "students", so hat auch sie sich in verschiedenen Nichtregierungsorganisationen engagiert, die sich für Menschenrechte einsetzen oder Frauen in Führungspositionen bringen wollen. "In Sambia sitzen auf allen Posten Männer", sagt die Juristin, "während die Frauen das tägliche Leben schmeißen müssen und die Ärmsten der Armen sind." Bei der ifu habe sie sich für den Bereich "Body" entschieden, weil sie "so sehr verstehen" wolle, wie die Probleme rund um den weiblichen Körper entstünden, Gewalt beispielsweise oder Diskriminierung.Body, City, Information, Migration, Water und Work - das sind die Hauptthemen der Frauenuniversität. Die ifu kennt keine traditionellen Wissenschaftszweige, sondern sechs interdisziplinäre Themenbereiche, die mit sozialen und ökologischen Menschheitsproblemen korrespondieren und von je einer deutschen und einer internationalen Dekanin betreut werden: "Just say Âwoman and you imply ÂbodyÂ", schreiben Barbara Duden aus Deutschland und Patricia McFadden aus Simbabwe, Dekaninnen des Bereiches "Body". Dekanin McFadden baut an der Universität von Harare ein afrikaweites feministisches Netzwerk auf und setzt ihre ganze Hoffnung darauf, dass das "global feminist movement" mit der ifu eine neue Basis erhält: "Wir kommen jenseits von Klassen und Rassen zusammen. Wir haben eine Vision von Gleichheit und Würde für alle. Wir können das Gesicht der Welt verändern!"Das von der Soziologin Patricia McFadden und der Historikerin Barbara Duden organisierte Veranstaltungsprogramm, das zum Teil an der Universität Bremen stattfindet, bietet alles - Theorie und Sinnlichkeit, Vorträge und Tanzworkshops. Die internationalen Dozentinnen kommen aus Indien, China, Slowenien, USA, Kanada, Südafrika, Sudan, Holland und Deutschland. Sie halten an den Vormittagen Vorträge, die Nachmittage sind Diskussionen und Arbeitsgruppen vorbehalten. Dabei wird kaum ein Thema ausgelassen: Gewalt- und Lusterfahrungen, reale Erniedrigung und symbolische Erhöhung des weiblichen Körpers, Bevölkerungspolitik und Genetics, subversive Cyber-Fantasien und Queer-Theories.Eines aber irritiert im ersten Moment: Wieso ist eine angehende Rechtsanwältin wie Brenda Mofja mit abgeschlossenem Studium eigentlich noch "student"? Den Initiatorinnen der ifu - allen voran die Ingenieurin und Bildungsforscherin Ayla Neusel von der Gesamthochschule Kassel - geht es in erster Linie um die Förderung von Nachwuchs-Wissenschaftlerinnen. Bewerben konnten sich in einem vom Deutschen Akademischen Austauschdienst weltweit ausgeschriebenen Verfahren alle Frauen, die über einen Studienabschluss und gute Englischkenntnisse verfügen - die Kurse der ifu werden auf Englisch abgehalten. Ein "elitäres Verfahren" sei das, schimpfte so manche deutsche Feministin. Doch die meisten ausländischen Interessentinnen konnten daran nichts Anstößiges entdecken. Mehr als 1.500 meldeten sich, 949 wurden aufgenommen und werden nun von 230 Dozentinnen betreut. "Wir waren von der Qualität der Bewerbungen beeindruckt", so Ayla Neusel, die als ifu-Präsidentin im Auswahlverfahren mitarbeitete.Brenda Mofja ist nun also eine dieser hochqualifizierten "students". Sie und viele andere hätten den Aufenthalt im teuren Germoney wohl nicht aus eigenen Mitteln bezahlen können. Aber rund 70 Prozent aller Teilnehmerinnen, die meisten davon aus der sogenannten Dritten Welt, bekommen finanzielle Unterstützung. "Zwölf Selbstzahlerinnen finanzieren eine Frau aus der sogenannten Dritten Welt", entgegnet Ayla Neusel Kritikerinnen, die ihr die Erhebung von "Studiengebühren" vorwerfen. "Das ist unser bescheidener Beitrag zur Umverteilung von Nord nach Süd". Eine große Anzahl von Stipendien vergab der Deutsche Akademische Austauschdienst, andere wurden von Stiftungen und Privatpersonen finanziert. Das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat die Förderung von Teilnehmerinnen aus "am wenigsten entwickelten Ländern" übernommen - zum Beispiel Äthiopien, Bangladesch oder Nepal.Und wenn wir schon beim leidigen Thema Geld sind: Ingesamt 18 Millionen Mark wird die Internationale Frauenuniversität kosten. Finanziert wird das gigantische Experiment aus vielen verschiedenen Töpfen, unter anderem vom Bundesbildungsministerium unter Edelgard Bulmahn (SPD), vom BMZ unter Heidi Wiezcorek-Zeul (SPD), von der Europäischen Kommission, von der Volkswagen-Stiftung, der Hans-Böckler-Stiftung und der Heinrich-Böll-Stiftung. Auch von der Expo, die der ifu den Status eines weltweiten Projektes verliehen hat, kommt eine halbe Million Mark. "Ansonsten aber haben wir nichts mit der Expo zu tun", werden die ifu-Frauen nicht müde zu betonen.Die Expo-Gelder dienen hauptsächlich dazu, den Projektbereich "City" abzusichern. Denn der stand plötzlich ohne Mittel da, als vor einem Jahr in Hessen die christliberale Koalition siegte. Es gehörte zu den ersten Amtshandlungen der neuen Wissenschaftsministerin Ruth Wagner (FPD), der ifu bereits zugesagte Landesmittel zu streichen. Die von liberaler Weltoffenheit nur so strotzende Begründung: Sie kämen ja keinen hessischen Studentinnen zugute.Was erwartet denn nun die anderen Studentinnen, die sich nicht wie Brenda Mofja für den Bereich "Body" gemeldet haben? Auf den Bereich "Information", der in der Universität Hamburg stattfindet, haben sich die meisten Interessentinnen gestürzt. Kein Wunder im Zeitalter des Internet, das der reichen Minderheit dieser Welt Informationsüberfluss und -druss bietet und die Mehrheit der Unelektrifizierten unerbittlich ausschließt. Unter der Leitung der Dekaninnen Christiane Floyd (Deutschland) und Cheris Kramarae (USA) geht es um die Fragen, ob es einen "weiblichen Stil der Internet-Kommunikation" gibt, und wie Medien aussehen könnten, die das "Weltbürgerinnenbewusstsein" entwickeln helfen. Die Studentinnen sollen das Modell eines "Informationskiosks" entwickeln, das in Schulen oder ländlichen Gemeinden jederfrau einen medialen Zugang zur Welt ermöglichen soll. Andere "students" werden an Visionen einer interaktiven Demokratie oder ganz praktisch an eigenen Homepages basteln.Auch in den Bereich "Wasser" sind zahlreiche internationale Teilnehmerinnen geströmt. Bei den deutschen allerdings fand er etwas weniger Interesse, denn hierzulande kommt das Wasser halt aus der Leitung. Unter der Leitung der Dekaninnen Sabine Kunst (Deutschland) und Josefina Mena-Abraham (Mexiko) geht es in der Fachhochschule Suderburg um Wasserversorgungs-Projekte in Vidarbha (Indien), in ländlichen Gebieten Südafrikas und Mexikos. "In Lateinamerika sind alle Wasserprobleme in weiblicher Verantwortung", meint Mena-Abraham. "Die Frauen sorgen dafür, dass gekocht und Wäsche gewaschen werden kann, dass die Kinder zu trinken haben."Das Thema "Arbeit" fand vor allem bei den osteuropäischen Wissenschaftlerinnen Anklang - in den Transformationsprozessen ihrer Gesellschaften haben sie vielfach ihre Erwerbsarbeit verloren. Die Dekaninnen Regina Becker-Schmidt (Deutschland) und Elena Meshcherkina (Russland) wollen sämtliche Formen von Arbeit untersuchen, also auch die nichtbezahlten wie Hausarbeit oder Subsistenzwirtschaft. Ihre zentralen Fragen: Sind Frauen die Verliererinnen oder Gewinnerinnen der Globalisierung? Wie wollen Frauen bevorzugt arbeiten? Welche Widerstandsstrategien, welche Alternativen zum Neoliberalismus gibt es? Außerdem werden die Teilnehmerinnen zwei Wochen lang Gäste der Technischen Universität Clausthal sein, um in dieser alten Bergwerksregion eine vergleichende Studie von Frauen in Männerberufen in Deutschland und Russland zu erstellen.Ähnlich doppeldeutig wie "Arbeit" ist auch die "City": Ort von Armut und Ausbeutung, aber auch von Emanzipation und Solidarität. Am Beispiel der Metropolen Berlin, Istanbul und Santiago de Chile stellen die Dekaninnen Ulla Terlinden (Deutschland) und Aysegül Baykan (Türkei) Fragen: Welche symbolischen Zeichen für Macht haben sich in Gebäuden und Plätzen verewigt? Werden weibliche Bedürfnisse und nachhaltige Planungen in diesen Städten berücksichtigt? Ein Großteil der Veranstaltungen rund um die "City" wird in der Gesamthochschule Kassel stattfinden.Mit dem Thema "Stadt" hat auch das Thema "Migration" zu tun. Die Dekaninnen des Bereiches "Migration", Astrid Albrecht Heide aus Deutschland und Mirjana Morokvasic-Müller aus Ex-Jugoslawien und Frankreich, haben Referentinnen gewinnen können, die allesamt selbst Migrantinnen sind oder in Initiativen wie "Women Living under Muslim Law" mitarbeiten. In den Vorträgen und Diskussionen geht es um den ansteigenden Frauenhandel und um Frauen im Krieg - als Opfer, als Widerstandskämpferinnen, als Aggressorinnen.Daneben gibt es öffentliche Podiumsdiskussionen unter dem Motto "Open Space", die jeweils freitags im "Kulturzentrum Pavillon" in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofes von Hannover stattfinden. Der erste "Open Space", der gleichzeitig als Eröffnungsfeier der ifu fungierte, war am 28. Juli dem Thema "rethinking university - Hochschulreformen im Zeitalter der Globalisierung" gewidmet. Infos über "Open Space" finden sich unter http://www.vifu.de.Und wer wissen will, wie es nach dem Ende dieser aufregenden hundert Tage weitergeht, sei ebenfalls auf diese Adresse verwiesen. Auf einem Server der Berliner Humboldt-Universität wird zumindest die virtuelle ifu, abgekürzt vifu, weiterbestehen. Damit Brenda Mofja und all die anderen sich auch weiterhin austauschen können - weltweit.
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