Um zu rekapitulieren: Begonnen hatte unsere Debatte mit dem Artikel Worte sind manchmal wie Schiffe (Freitag 17/07) von Regina General, die sich mit der in Berlin gezeigten Ausstellung Das hat´s bei uns nicht gegeben - Antisemitismus in der DDR auseinander setzte. Mit teils kontroversen Texten reagierten darauf der Regisseur Karsten Laske, die Sozialwissenschaftler Harald Schmid und Thomas Ahbe sowie der Historiker Kurz Pätzold. Zuletzt schrieben die Schriftstellerin Daniela Dahn und der Filmhistoriker Heinz Kersten. Wir schließen in dieser Ausgabe unsere Reihe mit einer Recherche von Burga Kalinowski vorerst ab.
New York - Rotterdam - Berlin. Katzensteins sind erschöpft und am Ende einer langen Reise im Juni 1954. Berlin-Friedrichstraße ist mehr als ein Bahnhof. Ei
;e ist mehr als ein Bahnhof. Ein Ort der Ankunft. Die Stadt ist laut und lebhaft und voller junger Leute, die zum II. Deutschlandtreffen der Jugend gekommen sind. 1934, 20 Jahre zuvor, haben Alfred Katzenstein und Fräulein Ursula Pacyna unabhängig voneinander Deutschland verlassen: Sie sind Kommunisten und werden verfolgt. Sie sind Juden und werden gejagt. Sie fliehen, um zu kämpfen. In New York lernen sie sich kennen.Etwa 3.500 jüdische Reemigranten der frühen fünfziger Jahre sind ähnliche Wege gegangen. Durch Internierungslager, Krieg und fremde Länder, durch Ängste und Hoffnungen. Um die ganze Welt in eine neue Zeit."Jetzt sind wir zu Hause und gehen nie wieder weg" - die damals elfjährige Tochter Kate hat bis heute nicht vergessen, wie froh ihre Eltern waren, wie erleichtert, nun vor McCarthys Verfolgung sicher zu sein. Aus dem amerikanischen Exil war eine Bedrohung geworden. "In der DDR haben sich meine Eltern sicher gefühlt. Als Kommunisten und Juden." Zum Glück, sagt Kate Leiterer, seien sie nicht 1953 oder 1952 nach Berlin gekommen. Wer weiß, wie es den Katzensteins dann ergangen wäre - nach der Field-Affäre, nach dem Slansky-Prozess und seinen "Lehren", nach dem Befehl Nr. 2 der Sowjetischen Militäradministration (SMAD), der Westemigranten unter den Generalverdacht politischer Unzuverlässigkeit stellte. Die gefährliche Hysterie des Kalten Krieges.Kate Leiterer schüttelt den Kopf und kramt weiter in ihrem Kistchen nach einem besonderen Stück, das sie damals bei der Ankunft auf der Straße gefunden hat. Eine Erinnerung kommt zur anderen: Die Schmetterlingssammlung, angelegt noch in den USA, Abitur an der Liszt-Oberschule in Berlin-Pankow, Biologiestudium an der Humboldt-Universität, dann Biophysik in Moskau, Promotion mit summa cum laude. Heirat und Scheidung, drei Kinder, Arbeit als Physiologin in der Hirnforschung. Die Teile fügen sich zu einem Puzzle. Ein Muster der Zeit entsteht, des Alltags in der DDR mit Schatten darin und verschobenen Perspektiven. Wo gibt es schon das schnurgerade Leben?Geburtsort OxfordKate Leiterer überlegt. Nein, staatlichen Antisemitismus haben sie und ihre Familie in der DDR nicht erlebt. Kleinkariertheit und Querelen schon. Und ideologischen Übereifer. Der sei ihr jetzt wieder mit und in der Ausstellung Das hat es bei uns nicht gegeben - Antisemitismus in der DDR begegnet. Sie findet es schade, dass nicht vorurteilsfrei untersucht wurde, wie die aus Exil und Lager zurück gekehrten Juden in der DDR lebten, ob sie gleichberechtigte Bürger waren oder benachteiligt. Mussten sie um ihr Leben fürchten, wenn sie beispielsweise Levinson hießen oder Silberstein? Standen Polizisten vor der Synagoge in der Rykestraße, in Berlin am Prenzlauer Berg? Kamen mit der Morgenpost Morddrohungen ins Haus? Und letzte Frage: Könnte es sein, dass ihr diese Fragen als falsche Fragen vorgeworfen werden?Ihr Studienfreund Peter Beurton hat eigentlich kein Interesse, sich über das Thema Antisemitismus zu äußern. Es habe nichts mit seinem Leben in der DDR zu tun. Schließlich lässt er sich doch auf ein Treffen ein, um kategorisch festzustellen, dass es "Quatsch ist, mit einzelnen Beispielen retrospektiv Antisemitismus in der DDR zu kreieren. Wer das tut, hat von der Ideologie der SED nichts begriffen." Das knappe Statement führt zurück zu den Anfängen der DDR. Das könnte ein langer und holpriger Weg werden. Beurton kürzt ihn ab: Man müsse kein Freund sozialistischer Visionen sein, um das politische Vorhaben der DDR-Gründergeneration zu erkennen: Den Faschismus mit Stumpf und Stiel auszurotten und die Welt umzukrempeln. In zwei Worten: Antifaschismus und Sozialismus. Es war die Zeit der Losungen. "Junkerland in Bauernhand!"und "Nie wieder Krieg!" bis zu "Blaue Fahnen nach Berlin!" und "Lang lebe der Genosse Stalin!" - Es war die Zeit der großen Erwartungen und des großen Abwartens. Es war ein Anfang nach dem Ende. "Ein historischer Vorgang. Mit dem Marxismus-Leninismus würde man ein neues Menschenbild schaffen. Da war nicht so viel Platz für die Pflege jüdischer Traditionen. Juden waren Teil dieser Gesellschaft. Antisemitismus? Nein, die politischen Prioritäten waren ganz einfach andere."Peter Beurton erlebt es als Kind mit. Der Siebenjährige kommt 1950 mit seiner Familie aus England in die DDR. Er, seine Geschwister und sein Vater Len Beurton sind in einem fremden Land. Seine Mutter dagegen ist endlich zu Hause, geografisch und politisch. Ruth Werner - Ursula Beurton, geborene Kuczynski - will dabei sein, wenn die neue Gesellschaft entsteht. Erst 1977 wird der Sohn vom zweiten Leben seiner Eltern erfahren. In ihrem Buch Sonjas Rapport erzählt seine Mutter von ihrer Kundschaftertätigkeit. Peter Beurton liest, dass sein Geburtsort Oxford geheimer Treff der Mutter mit Klaus Fuchs war, dem "Atomspion", dessen Informationen sie nach Moskau funkte. Er weiß, dass sie aus einer jüdischen Familie stammt und sowieso sind viele der Freunde und Genossen Juden. Max Kahane gehörte dazu, Familie Ansbach, die Wolfs. "Das waren alles Antifaschisten. Der Begriff jüdisch ist nicht vorgekommen, obwohl bei uns viel diskutiert, politische Entwicklungen hinterfragt wurden, zum Beispiel Prag ´68. Es gibt Dinge, die sind kein Thema - ohne ein Tabu zu sein."Gründergeneration der DDRVera Ansbach würde ihm vermutlich zustimmen. Sie ist eine korrekte Frau. Fakten sind ihr lieber als blumige Reden. Sie hat sich die Ausstellung über Antisemitismus in der DDR zweimal angesehen, hat lange nachgedacht und schließlich ihre Meinung in das Gästebuch geschrieben. "Das Ziel der Ausstellung ist, den antifaschistischen Charakter der DDR zu leugnen." Die 87-Jährige ist zornig darüber, wie durch die Macher das Thema Antisemitismus politisch instrumentalisiert wird. "Das ist ahistorisch und demagogisch. Und sehr oberflächlich. Das haben zum Teil Leute gemacht, die es besser wissen sollten. Ich weiß, wie Antisemitismus aussieht. Ich musste 1936 vom Lyzeum runter, weil ich jüdischer Herkunft war. Meine Mutter, mein Bruder, alle Verwandten sind von den Faschisten ermordet worden."1939 emigriert das Mädchen Vera nach England. Sie ist 19 und allein im fremden Land. Sie arbeitet als Dienstmädchen, dann als Dreherin in einer Rüstungsfabrik, findet Freunde in der KPD und lernt ihren Mann kennen. In England, im solidarischen Zusammenschluss der Emigration, fragte keiner danach, ob und wer Jude sei. "Ganz andere Dinge waren für uns wichtig. Es spielte keine Rolle - warum denn? So war es auch, als wir zurückgingen nach Deutschland. Das hatten wir alle unter der Haut, die jüdischen und nichtjüdischen Emigranten." Diese Erfahrung bestimmt ihr künftiges Leben. Sie gehören zur Gründergeneration der DDR, arbeiten hart und sind anerkannt. Viele von ihnen machen Karriere, ohne Karrieristen zu sein.Vera Ansbach wird nach der Rückkehr aus dem Exil erst Junglehrerin, dann wechselt sie in die Wirtschaft. Später ist sie Vizedirektorin der Deutschen Handelsbank. "In meinem ganzen Leben in der DDR habe ich persönlich nie Antisemitismus erlebt", sagt sie. Sie hält das nicht für Zufall. "Antisemitismus war nicht erlaubt und nicht geduldet." Trotzdem gab es einzelne antisemitische Vorfälle, skandalös und erschreckend - "immer aber wurden die Schuldigen zur Rechenschaft gezogen." Im Übrigen, glaubt Ansbach, wie auch immer die DDR mit den mentalen und geistigen Schmuddelresten der Nazis umgegangen wäre - die Ausstellungsmacher hätten es in jedem Fall angeprangert. "Weil es nicht wirklich um Juden in der DDR geht, sondern gegen die DDR. Das ist der politische Zeitgeist, Abteilung Delegitimierung."Drohbriefe in die Redaktion"Mein Vater ging ab und zu in die Synagoge hier in Erfurt. Ich war nie dort, weil es mich nicht interessiert hat. Ich bin Atheist." Henryk Goldberg sagt es so, als wäre damit alles gesagt, jedenfalls so gut wie alles. Es ist der Einstieg in seine Erinnerungen. Goldberg arbeitet heute als Journalist in Erfurt. Vor der Zeitenwende studierte er in Berlin Theaterwissenschaften, arbeitete als Dramaturg am Theater, später als Kulturredakteur. Seit 1991 ist er in Erfurt. Seine Wochenendkolumnen in der Thüringer Allgemeinen sind bekannt, beliebt und gefürchtet. Je nach dem. Manchmal bekommt er Drohbriefe in die Redaktion."Du Judensau, geh zurück nach Israel!" Der 58-Jährige zuckt die Schultern. Man könnte diese Leute ignorieren. Einerseits. Andererseits manifestiert sich da etwas, traut sich vor, wird öffentlich. Ist längst nicht nur Dumpfheit und Dummheit. Ist kalkulierte Provokation, die mittlerweile in der so genannten Mitte angekommen ist. Wie in Heiligenstadt. Dort verbot das Ordnungsamt das Spielen von Klezmermusik - eine demonstrierende NPD-Rotte könnte sich ja von der jüdischen Musik provoziert fühlen. Natürlich äußert sich der Journalist Goldberg dazu öffentlich. Das mache ihn manchmal erst zum Juden Goldberg, sagt er.Nein, in der DDR habe er das nicht erlebt. Eher das Gegenteil. Vorteile wie eine bessere Wohnung oder mehr Stipendium für studierende Antifa-Kinder. "Ich wusste, dass ich Jude bin, aber ich habe mich nicht so definiert. Es hat für meine Entwicklung einfach keine Rolle gespielt." Zwar taucht in einer frühen unscharfen Erinnerung eine Hortnerin auf, die von " Judenschule" spricht, aber das war in den Fünfzigern, da wurde in Erfurt gerade eine neue Synagoge gebaut. Aus der Damals-Zeit ist ihm das Gefühl geblieben. "Jude, das war etwas, das mir als Kind unangenehm war. Vielleicht, weil man so sein wollte wie alle anderen." Und es schon deshalb nicht war, weil "der Vater mit Vornamen Chashiel hieß und nicht Klaus."Eine andere Erinnerung steht daneben: Buchenwald. Das Konzentrationslager bei Weimar. "Wer in der Gegend aufgewachsen ist, war mindestens einmal in Buchenwald. Diese Besuche hatten auch etwas Routiniertes. Für mich war es anders. Das war emotionaler. Das betraf mich. Mein Vater ist hier gewesen." Chashiel Goldberg, polnischer Jude, übersteht Auschwitz, kommt nach Buchenwald in das Außenlager Dora. Er überlebt und bleibt als polnischer Staatsbürger in der DDR, erhält eine Rente als Opfer des Faschismus wie fast alle, die den gelben Stern getragen haben. Er hat ein Haus und 1957 wegen Boykotthetze und "sehr cleveren Geschäften", erinnert sich der Sohn, einen Prozess am Hals - sieben Jahre Haft in Bautzen. Irgendwann bekommt er Haus und OdF-Status zurück. Er ist weiß Gott kein Kommunist. Er bleibt nur in der DDR, weil drüben im Westen "zuviel Ehemalige sind". Er meinte alte Nazis und ihre Karrieren.Kommunisten und ihr Widerstand gegen das NS-Regime standen in der Gedenkhierarchie der DDR an erster Stelle. Das war politisch gewollt und historisch belegbar. Das lernten die Kinder im Unterricht. Aber ebenso erfuhren sie von Judenverfolgung und Judenmord, sahen Filme wie Nackt unter Wölfen oder lasen das Tagebuch der Anne Frank oder fuhren nach Buchenwald oder sprachen mit Zeitzeugen.Wer heute vom "verordneten Antifaschismus" spricht, sollte auch über die Wirkungen dieser Erfahrungen reden, sagt Henryk Goldberg. "Die DDR dachte ideologisch, nicht ethnisch. Antisemitismus war in der DDR nicht gesellschaftsfähig. Allerdings doch weniger, als ich noch 1990 geglaubt habe."
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