Gegen Ende wurde es dann wieder eine sehr belgische Affäre. Ob Außenminister Luis Michel mit dem Besuch bei Abdoulaye Yerodia - seinem Ressortkollegen in der Demokratischen Republik Kongo - die bürokratischen Verschachtelungen der Brüsseler Amtskorridore in angemessener Weise beachtet habe - diese Frage war der lautstarken Debatte im Parlament letztlich wichtiger als die Begegnung Michels mit einem international zur Fahndung ausgeschriebenen mutmaßlichen Straftäter. Und dass ausgerechnet der rassistische Flämische Block im Namen der Menschenrechte von Kongolesen den Abgang des Ministers forderte, geriet nur zur besonderen Peinlichkeit.
Dabei hätte der Fall von Anfang an eine bessere Behandlung in Brüssel gebraucht, um dadurch möglicherweise
öglicherweise einer Weltpremiere zum Durchbruch zu verhelfen. Ging es doch darum, dass ein amtierender Minister wegen Verbrechens gegen sein Volk - oder eines Teils davon - festgenommen und vor Gericht gestellt würde. Nicht zuletzt wegen so schwerwiegender Vorwürfe wie der Aufforderung zum Völkermord. Und in diesem Fall sehen die UN-Regeln sogar einen der wenigen Gründe, die diplomatische Immunität für Mitglieder im Amt befindlicher Regierungen aufzuheben.Genau dies kann Abdoulaye Yerodia, dem Außenminister des Kongo, widerfahren, sobald er außer Landes unterwegs ist. Gegen Yerodia existiert ein internationaler Haftbefehl - ausgestellt von einem belgischen Untersuchungsrichter. Der wiederum wurde dank einer Klage von Bürgern des Kongo tätig, die im August 1998 in letzter Minute einem Pogrom entgehen konnten, das die Prätorianer-Garden der Regierung Kabila in Kinshasa seinerzeit gegen all jene in Gang gesetzt hatten, die »irgendwie ruandisch« aussahen oder für Angehörige der Tutsi-Ethnie gehalten wurden.Der Anlass dazu ergab sich aus dem Bruch innerhalb der Allianz aus Ruanda und dem einstigen Rebellenführer Kabila, die im Mai 1997 das Regime des früheren Zaire-Potentaten Mobutu gestürzt hatte. Anfang August 1998 begann zudem eine Rebellion in den Ost-Provinzen des Kongo gegen die neue Machtelite in Kinshasa, und es stand außer Zweifel, dass die ruandische Regierung in Kigali als Drahtzieher beteiligt war. In dieser brisanten Situation jedenfalls war jener Yerodia Kabinett-Chef des Kongo-Präsidenten und artikulierte sich als einer der übelsten Scharfmacher. In Radio- und Fernseh-Aufrufen verglich er die Tutsi mit »Insekten« und »Mikroben«, die sich überall eingenistet hätten und die es auszumerzen gelte. Schockierende Bilder der sich anschließenden Hetzjagd gingen damals um die Welt - junge Männer bekamen die »Todesmanschette« - einen brennenden Autoreifen - um den Hals geworfen, andere wurden in den Kongo-Strom getrieben und erschossen.Freilich war die Sachlage einigermaßen »komplex« - einige der nach Belgien geflüchteten, späteren Kläger sind seinerzeit von Kabilas Soldaten zwar gefangen genommen, aber eben dadurch auch vor der Gewaltorgie des Mobs geschützt worden, die ungezählte Opfer forderte. In Fülle dokumentiert sind jedenfalls die Hass-Tiraden Yerodias, die damals die Kongolesen aufgeputscht haben. Dieser Mann sitzt inzwischen als Außenminister am Kabinettstisch und hat Anfang des Monats auch sein belgisches Pendant empfangen dürfen, der keinerlei Skrupel besaß, seinem Gastgeber freundlich die Hand zu schütteln - wohl wissend, dass die Justiz des eigenen Landes den Betreffenden festnehmen und anklagen will und ein Außenminister die Amtspflicht hat, genau dieses Ansinnen bei einem Abstecher im Lande des Gesuchten auch geltend zu machen.Darauf hat Luis Michel verzichtet. Begründung danach: der Haftbefehl sei zum Zeitpunkt seiner Visite noch nicht gültig gewesen. Auch von Yerodias rassistischen Brandreden will er allenfalls hinterher erfahren haben, durch Ansicht einer Video-Aufzeichnung aus dem Jahr 1998, die das Fernsehen wiederholte, als Michel vom aufgeräumten Tête-à-Tête mit dem Kollegen in Kinshasa schon wieder zurück war. Sein heutiger Afrika-Berater war übrigens vor zwei Jahren noch Journalist und an jenem 5.August 1998 selbst in Kinshasa, als sich die grauenhaften Lynch-Szenen abspielten.So will sich denn auch die Brüsseler Generalstaatsanwaltschaft nicht so recht mit dem Minister anlegen. Obwohl der Haftbefehl gegen Yerodia bereits seit Ende April international und öffentlich ausgeschrieben war, fahndet sie derzeit lieber nach einem angeblichen »Leck«, durch das die Presse davon erfahren haben könnte. Schlimmer noch, dieselbe Generalstaatsanwaltschaft, die sich in dunklen Drohungen gegen die Medien wegen der angeblichen »Gefährdung von Fahndungsmaßnahmen« gegen einen kongolesischen Minister ergeht, hat monatelang die Entscheidung des - eigentlich doch wohl unabhängigen - Richters sabotiert, den Haftbefehl auch formell und im eigenen Lande »wirksam« zu machen. Noch Mitte Juni konnte Abdoulaye Yerodia in aller Ruhe zum Einkaufen in Brüssel promenieren.Ebenso unverfroren behauptet Luis Michel vor dem eigenen Parlament, er habe von »der ganzen Geschichte nichts gewusst«. Ein arger Affront gegenüber den Abgeordneten, hatte doch die Brüsseler Regierung noch im April und auf Grund eben dieses internationalen Haftbefehls gegen Yerodia eine große Trockenübung veranstaltet, um eine eventuelle Evakuierung von Belgiern und anderen Europäern bei sich verschärfenden Repressalien des Kongo-Regimes vorzubereiten.Nun wissen sich die Belgier lobenswerterweise - anderswo ist man weit davon entfernt - im Besitz gleich mehrerer Gesetze, mit denen UN-Regeln zur Verfolgung von Völkermord in die nationale Rechtsprechung aufgenommen worden sind. Gesetze, die mit der Klage der kongolesischen Bürgerkriegsflüchtlinge gegen Minister Yerodia und seine Pogromhetze - sprich: Anstiftung zum Genozid - Anwendung fanden. Dass es anderthalb Jahre dauerte von der Einreichung der Klage im November 1998 bis zum April 2000, ehe sich bei der belgischen Justiz etwas rührte, hat in der Tat sehr viel mit interner Sabotage des Vorgangs und Grabenkämpfen zwischen Verwaltungseinheiten zu tun, so dass Tatbestände wie Völkermord erst einmal eine Weile liegen bleiben.Das ganze Elend der (nicht nur belgischen) Realpolitik wird jedoch erst so recht deutlich, wenn der Außenminister Michel nun entrüstet reklamiert: »Man muss mit den Leuten dort da unten im Gespräch bleiben. Ich habe früher auch mit den Vertrauten von Augusto Pinochet geredet. Wir können doch anders überhaupt keine internationale Politik mehr betreiben!«