Elite Bei der Exzellenzinitiative sind die ostdeutschen Unis ziemlich leer ausgegangen. Das ist nicht schön. Noch mehr aber leiden sie an ihren eigenen Landesregierungen
Collage: Der Freitag, Material: Fotolia, Imago, dpa, Getty Images
Schon die Hand-Hebe-Kurve des Mannes verrät, dass ihn der Zweifel treibt. Erst zögernd, dann zurückzuckend, endlich doch wacker den Arm hebend meldet er im Senatssaal der Europa-Universität Viadrina Bedenken an. Die kleine Universität in Frankfurt an der Oder diskutiert über Sinn und Unsinn des Wettbewerbs um Elitezuschüsse des Bundes. „B/Orders in Motion“ heißt das Thema, mit dem die Uni 35 Millionen Euro an die polnische Grenze holen will. Frisches Geld, Bundesmittel, Eliteknete aus Berlin. Nichts kann die 6.000-Studenten-Uni besser gebrauchen als das.
„Das Signet ihres Projekts“, sagt der Mitarbeiter der Uni, als seine Hände endlich zur Ruhe gekommen sind, „das sieht ein bisschen aus wie ein fallendes Bücherr
#252;cherregal. Soll es Bücher symbolisieren?“ Der Leiter der Bewerbung, Professor Werner Schiffauer, zögert einen Moment. Schiffauer ist Ethnologe. Er hat sich in der Wissenschaft einen Namen damit gemacht, kulturelle Differenzen zu verstehen und zu interpretieren. Gut ein Jahr hat Schiffauer an dem Antrag geschrieben, den er nun vor einem Publikum von gut 50 Kritikern, Studenten und Mitarbeitern der Uni verteidigen soll. „Nein“, sagt er knapp, „das ist kein Bücherregal“.Die Bewerbung für den sogenannten Exzellenzcluster – zu deutsch: einem Haufen Wissen – sollte viele Forschungsmillionen in die kleine Hochschule leiten. Dutzende Doktorandenstellen wären entstanden, aus aller Welt hätten sie sich an die deutsch-polnische Grenze bewerben können. Dahin, wo Studenten wie Professoren sich in der Regel nur von Dienstag bis Donnerstags aufhalten. Die Uni hätte sich zur Elite rechnen können.Hätte, wäre, könnte. Seit dem vergangenen Wochenende sind alle Konjunktive zerstoben. Die Viadrina hat die Millionen aus dem Exzellenzwettbewerb nicht bekommen. Sie ist leer ausgegangen – wie fast alle ostdeutschen Unis. 33 Hochschulen aus dem Westen haben das Elitegeld eingeworben, aber nur drei aus dem Osten der Republik: Jena, Chemnitz und Dresden.Bei der vorigen Runde der Exzellenzinitiative floßen nur 2,3 Prozent der Elitemilliarden in den Osten. Das hat der beste Kenner der ostdeutschen Hochschulen ausgerechnet, Peer Pasternack vom Institut für Hochschulforschung in Halle/Wittenberg. Diesmal wird es ein bisschen mehr sein, weil die TU Dresden sich jetzt Eliteuniversität nennen darf. Die erste Uni im Osten mit diesem Titel. Dafür gibts einen Sonderbonus. Chemnitz und Jena haben „nur“ einen sogenannten Exzellenzcluster beziehungsweise ein Graduiertenkolleg eingeheimst, in dem viele Doktoranden an einem Projekt forschen.Zeter und MordioDie Berliner Humboldt-Uni, die ebenfalls zum Elitezirkel stieß, kann man nicht mehr als Osthochschule bezeichnen. Sie wurde nach der Wende gründlich gewestet. Wenn die damalige Präsidentin Marlis Dürkop die Ost-Mitarbeiter nicht schnell genug entließ, verklagte sie der Berliner Wissenschaftssenator – und schmiss die Leute eigenhändig raus.Aber jetzt geht das Zeter und Mordio los. Die DDR war einst eine stolze Forschernation. Rund um Leipzig gab es einen Wissenschaftskern, einen zweiten in Berlin. Im Norden die entwicklungspolitisch orientierte Uni Rostock und die alte Universität Greifswald mit einem medizinischen Schwerpunkt. Auch Halle und Jena sind stolze Hochschulen, die eine wegen ihrer Geschichte, die andere, weil sie ein Budget von 240 Millionen Euro hat. Und nun werden ganze drei Hochschulen ausgesucht. Sind die einstigen DDR-Unis so schlecht? Wird der Osten jetzt dumm?Als Schuldiger wird der Elitewettbewerb selbst ausgemacht. Als Bundeskanzler Gerhard Schröder ihn einst ausrief, waren die Reaktionen euphorisch. Die jetzige Runde des Wettbewerbs ist die dritte. Knapp fünf Milliarden Euro werden zusätzlich in die Hochschulen geflossen sein, wenn er beendet ist. Doch die Euphorie ist längst weg. Von links bis rechts, alle sind sie unzufrieden. „Der eigentliche Fehler liegt in der gewollten Produktion von Ungleichheit“, schimpft Torsten Bultmann vom Bund demokratischer Wissenschaftler. „Wenn die reichen Unis zu Lasten des Rests gefördert werden, sinkt das Bildungsniveau allgemein.“ Und sogar die Frankfurter Allgemeine wettert, man solle das Elite-Getue endlich sein lassen, weil es nur Uniformität fördere, aber nicht Exzellenz. Aber ist es wirklich der Exzellenzwettbewerb, der den Osthochschulen schadet? Wie kann mehr Geld zu insgesamt weniger Mitteln führen? Hört man sich in den Hochschulen um, dann wird schnell deutlich, dass die Einrichtungen im Osten unter etwas anderem leiden: unter den eigenen Wissenschaftsministern. Die rechnen jeden Cent, den die Bundesregierung in die Hochschulen gibt, wieder aus deren Etats heraus.Beispiel Sachsen. Das Land sieht sich als die selbstbewussteste unter den ostdeutschen Provinzen. Das bezog sich immer auf die Sparsamkeit, aber auch auf die technologische Leistungsfähigkeit des Forschungsstandorts. Dabei hatten sich die sächsischen Hochschulen schon immer den Spardiktaten aus dem Finanzministerium unterzuordnen – das ist auch jetzt nicht anders. Sachsen hat Ende letzten Jahres einen Entwicklungsplan verabschiedet, der massive Kürzungen an den Hochschulen des Landes vorsieht. 1.000 Stellen sollen bis 2020 verschwinden. Das ist ein Minus von mehr als zehn Prozent des Personals. Es wird dazu führen, dass Sachsen auch einige Hochschulstandorte ganz schließen muss.Der Witz daran ist, dass Sachsens Regierung das gar nicht darf. Denn das Bundesland bekommt im Zuge des sogenannten Hochschulpaktes Geld vom Bund. Mit diesem Pakt sollen die stark steigenden Studentenzahlen berücksichtigt und die studierwilligen Abiturienten mit Studienplätzen versorgt werden. In diesem Jahr fließen satte 51 Millionen Euro in die sächsischen Kassen, im Jahr 2013 sogar 87 Millionen. Allerdings gibt es eine klare Bedingung für den Zuschuss aus dem Bundesforschungsministerium: Das Land muss dafür seine Studienplätze erhalten.Beispiel Brandenburg. In der Region rund um Berlin hat die Exzellenzinititative zu einem besonders heiklen Fall geführt. Auch Brandenburg will bei seinen Hochschulen kürzen, tut dies aber nicht ganz so frech wie Sachsen. Die Europa-Universität Viadrina wurde von den Einsparungen zunächst ganz verschont. Man wollte offenbar die Bewerbung von Werner Schiffauer und seinen Kollegen im Exzellenzwettbewerb nicht gefährden. Die anderen Hochschulen müssen bis 2015 über 100 Stellen von Wissenschaftlern abbauen, bis 2018 sollen insgesamt mehr als 300 Arbeitsplätze für Forscher nicht mehr da sein.Auch in Brandenburg gilt, dass eine solche Kürzung an den Hochschulen nicht erlaubt ist. Denn die Landesregierung in Potsdam hat sich in den Verhandlungen zum Hochschulpakt verpflichtet, seine Studienkapazitäten zu erhalten. So sollen für den Studentenansturm aus dem Westen genug Plätze zur Verfügung stehen. Die Studentenzahl im Osten selbst sinkt bis 2015 um 60.000 – der Wendegeburtsknick kommt gerade in den Unis an.Am Beispiel Brandenburg kann man zugleich erkennen, wie trickreich die Länder den Bund hinter die Fichte führen. Zunächst wurde eine sogenannte Hochschulstrukturkommission eingesetzt. Das machen die Bundesländer meistens, wenn sie ihre Hochschulen nachhaltig umbauen und zusammenstreichen wollen.Die Potsdamer Kommission arbeitete widersprüchlich. Einerseits warnte der Obergutachter Friedrich Buttler vor Kürzungen bei den Wissenschaftlern: „Eine derart massive Absenkung der Stellen würde unweigerlich die Schließung von Hochschulen zur Folge haben müssen.“ Buttler sieht auch die Gefahr, „dass die Studienplatzkapazitäten mittelfristig nicht mehr in der erforderlichen Qualität aufrecht erhalten werden können.“ Andererseits schlugen seine Gutachter sehr weit reichende Strukturveränderungen vor. Dazu gehört die Zusammenlegung der Technischen Universität Cottbus mit einer kleinen Fachhochschule. Das bedeutet: Erst wird zusammengelegt – dann wird abgebaut.Beim Bund wächst die WutIm Bundesbildungsministerium sieht man das Vorgehen der Bundesländer mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung. „Es kann nicht sein, dass die Bundesländer Studienplätze abbauen, die gleichzeitig von uns Geld für Studienplätze bekommen“, sagte eine Sprecherin dem Freitag. Ministerin Annette Schavan hat bereits eine Mahnung in Richtung Sachsen ausgesprochen. Sie ließ die Landesregierung auffordern, sich an die Vereinbarungen zu halten. Und tatsächlich hat Ministerpräsident Stanislaw Tillich sofort versprochen, auf Kürzungen zu verzichten – bei der TU Dresden, die gerade Eliteuniversiät geworden ist.Gleichzeitig geben Schavans Beamte aber auch zu: Wir können nicht genau hineinschauen, was die einzelnen Länder mit unserern Bundesgeldern machen. Man habe die Länderminister gebeten, sagte die Sprecherin, „ihre Rechenschaftsberichte künftig transparenter zu halten“. Wer wissen will, wie ernst die Länder das nehmen, muss nur beim sächsischen Finanzminister anrufen. Der weigert sich schlicht, Auskunft über die Zukunft der Hochschulen zu geben. Sprecher Stefan Gößl sagt dazu nur, „dass es ein weit verbreiteter Irrtum ist, dass das Finanzministerium über sämtliche Zahlen verfügt.“Jeder in der Szene weiß: Worte vergehen, und Papier ist geduldig. Wenn erst einmal ein paar Monate verbei sind, kann es wieder ganz anders aussehen. Dann werden in Sachsen Hochschulenstandorte verschwinden.Für die Exzellenzinitiative im Osten der Republik ist das insgesamt keine gute Bilanz. Tatsächlich entstehen Ungleichheiten, die Kritiker wie Torsten Bultmann monieren. Aber wenn man genau hinsieht, dann kommen sie nicht durch zu viel Geld vom Bund zustande, sondern durch zu wenig Geld von den Ländern, besonders im Osten. Sie unterwerfen die Hochschulen einem Spardiktat – egal ob mit oder ohne Bundesgeld, sei es für Eliteunis oder für Studienplätze. Die Länder veruntreuen die Zuschüsse für Bildung und Wissenschaft praktisch: Sie lassen sich das Geld erst aus Berlin überweisen. Und wenn es da ist, pochen sie frech auf ihre Kulturhoheit – und stecken es in Haushalts- oder Straßenlöcher. Oder sie verschleiern einfach dessen Verwendung. Der Osten wird nicht durch die Exzellenzinitiative dumm gemacht. Sondern durch seine eigenen Wissenschafts- und Finanzminister.An der Frankfurter Viadrina beginnt das Heulen und Zähneknirschen. Selbst die Studenten, die mitten in die Bewerbungsphase das kritische Podium organisiert haben, sind jetzt enttäuscht und bitter, wie es einer sagt. „Immerhin ist viel Arbeit hineingeflossen.“ Dennoch gibt es auch eine positive Sichtweise. „Die drei Fakultäten haben begonnen, wieder an einem gemeinsamen Ziel für die Universität zu arbeiten, das war nicht umsonst“, sagt Studentensprecherin Anne Gräfe.Stimmt das? Werner Schiffauer bestätigt. Die Universität werde das Thema „B/Orders in Motion“ sicher in einem neuen Antrag verwenden. „Nur werden es dann nicht 15 Forschungsprojekte sein, sondern eben nur drei oder,“ sagt er. Und dann ohne das gefallene Bücherregal.
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