Der General

VEB Carl Zeiss Eine Zeitzeugin ÜBER den Patriarchen von Jena

Über die DDR-Wirtschaft wird seit der Wende viel theoretisiert, werden Hypothesen und Legenden gebildet. Zahllose Theoretiker meinen zu wissen, woran die Wirtschaft krankte, und dass in der Ökonomie die Ursache für den Niedergang der Gesellschaft zu finden sei: Abgestoßen von einseitigen medialen Darstellungen haben sich praxiserfahrene DDR-Wirtschaftskenner und Zeitzeugen bisher kaum zu Wort gemeldet. Eine fundierte Analyse der ökonomischen Strukturen und ihrer Entwicklung steht weitgehend noch aus. Nun legt die ehemalige persönliche Referentin von Wolfgang Biermann, dem Generaldirektor von Carl Zeiss Jena, einen Erfahrungsbericht ihres Wirkens in dem traditionsreichen und weit über die DDR-Grenzen hinaus bekannten Betrieb vor.

Zu Katja Schreiner, einst Parteisekretärin eines Direktionsbereiches mit etwa 500 Mitarbeitern, davon 150 Parteimitglieder, kamen seit dem Amtsantritt des Generaldirektors 1975 ständig Mitglieder des Führungspersonals, um sich über ihren despotischen Chef zu beschweren. Sie wollten von ihr als Vertreterin der Partei wissen, ob sich ein ZK-Mitglied wie Biermann derart rücksichtslos gegen sozialistische Leiter verhalten dürfe. Als wieder einmal ein "bienenfleißiger" Leiter nach einem Anschiss von Biermann die Welt nicht mehr verstand und fast zusammenbrach, schrieb die Parteisekratärin dem "großen Wüterich" einen empörten Brief, ganze acht Zeilen lang, dem sie eine herausgerissene Seite einer Breshnew-Rede vom letzten ZK-Plenum beifügte. Thema: "Umgang mit Leitungskadern".

Er lud sie zu einem persönlichen Gespräch ein und schien erleichtert, dass sich ihm einmal jemand widersetzt hatte. So wurde Katja Schreiner Mitarbeiterin in Biermanns Büro: zunächst Frauenbeauftragte, dann zwei Jahre Pressereferentin und seit 1980 bis zum Ende seiner Tätigkeit persönliche Referentin. Biermann blieb ein Krieger im Kampf um die Erfolge "seines" Betriebes. Er war ein Machtmensch. Und er gebrauchte diese Macht rücksichtslos, um seine Pläne durchzusetzen. Schonungslos ging er mit seinem Führungspersonal um, das vor dem Despoten erzitterte. Niemand wusste, wie er auf Probleme reagiert; er war unberechenbar. Die monatlichen Rechenschaftslegungen im Jenaer Volkshaus vor Hunderten von Zeissianern wurden zum öffentlichen Tribunal. Seine zotigen Ausbrüche waren Stadtgespräch in Jena. Er, der sich gern "General" nennen ließ, kümmerte sich jedoch auch um die Probleme der "kleinen" Leute, ging in die Produktionsstätten, sprach mit dem Mann, der Frau an der Maschine. Das gab ihm Rückhalt bei den "Massen". Und manch ein Arbeiter mag sich heimlich ins Fäustchen gelacht haben, wenn sein Chef vom "General" in die Mangel genommen wurde.

Der Bericht aus dem Leben einer persönlichen Referentin, das sich gar nicht so sehr von dem einer westlichen Referentin unterscheiden dürfte (hatte in den siebziger und achtiger Jahren ein westlicher Konzernchef eine Frau als Referentin?), transportiert das Lebensgefühl dieser Jahre. Katja Schreiner fragt: Wie sollte sich ein sozialistischer Leiter verhalten? Gerade an Biermann, der ein Gegenbeispiel zur schlaffen obrigkeitshörigen Unentschlossenheit anderer Führungskräfte war, lässt sich die Frage diskutieren: Wie sind unternehmerischer Erfolg und sozialer Führungsstil miteinander zu vereinbaren?

Zu DDR-Zeiten schien Biermann der Erfolg Recht zu geben. Nichtsdestotrotz stieß er an die objektiven Grenzen sozialistischen Wirtschaftens: die West-Konkurrenz Zeiss-Oberkochen, der Weltmarkt. Für die Mikroelektronik kam Zeiss einige Jahre zu spät. Diese Entwicklung hatte das zuständige Wirtschaftsministerium verschlafen. Biermann beanspruchte, "aus dem Mittelalter in die Neuzeit" überzugehen. Die Forscher und Entwickler von Zeiss waren schon immer erfindungsreiche, arbeitsame Köpfe: Sie hatten auch vorher schon, ohne Plan, an dieser Entwicklung gearbeitet. Die Tragik war nur, im Westen ging alles viel schneller. Dort gab es bereits eine breite elektronische Basis, während die Zeiss-Einkäufer mit dem Zug durch die halbe DDR fuhren, um spezielle Bauelemente aufzutreiben, die es eigentlich gar nicht gab. "Rucksackelektroniker" nannte sie denn auch der Volksmund im Betrieb.

Katja Schreiner, Das Zeiss-Kombinat. Ein fragmentarisches Zeitzeugnis 1975-1989, zu beziehen über das Jenaer Forum für Bildung und Wissenschaft e.V., Tel: 03641 - 44 94 32, Fax: 03641 - 42 65 53

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