Der Glaube an ein Leben vor dem Tod

Alltagslektüre Mark Levengood ist so, wie man Johannes B. Kerner gerne hätte: klug, lustig und bescheiden. Mikael Krogerus wagt sich an den Bestseller des schwedischen Fernsehmoderators

Was habe ich gelesen?
Sucka mitt hjärta men brist dock ej ("Seufze mein Herz, aber brich mir nicht") von Mark Levengood

Seitenzahl: 156

Amazon-Verkaufsrang: Das Buch gibt es nur auf Schwedisch. Und Schweden hat kein Amazon. Nur zur Orientierung: Das Buch war ein Jahr lang auf der Bestsellerliste.

Warum habe ich es gelesen?
Ein Geschenk meiner umsichtigen Mutter. Ich dachte, ich müsse mal etwas lesen, das ihr gefällt. Es war Ostern.

Worum geht es?
Zehn kurze, essayartige Kolumnen von dem klügsten Menschen Finnlands, der erstaunlicherweise auch der lustigste Mensch Finnlands ist. Mark Levengood ist Fernseh- und Radiomoderator in Schweden (er stammt aus der schwedischsprachigen Minderheit Finnlands) und ist so ein bisschen wie Johannes B. Kerner. Wenn Johannes B. Kerner nicht dumm und penetrant wäre, sondern richtig klug und richtig lustig. Man muss sich die Unterschiede so vorstellen: Johannes B. Kerner bewirbt in seiner Freizeit Air Berlin und joggt gern um die Alster. Levengood konvertierte kürzlich zum Katholizismus und fordert, dass die Messe wieder auf Latein gelesen werde, damit man den ganzen Unsinn nicht mehr so genau versteht – allein für diese Forderung muss man ihn ja lieben. Er ist außerdem schwul.

Sein Mann ist der tragisch-komische Schriftsteller Jonas Gardell, der das brillante Buch En komikers uppväxt ("Ein Komiker wächst heran") geschrieben hat. Die beiden haben mehrere Kinder von mehreren Frauen und sind so wunderbar unkonventionell wie sie schreiben. Sie schreiben über ihre Familien, sich selbst, Gott, die Welt, körperlichen Verfall, Angst vor Einsamkeit, Sex und das alles in einer sehr einfachen und schönen Sprache. Das Gute an Schweden: Es gibt keine Popliteratur. Die populären Schreiber sind allesamt lustige, bescheidene Menschen, die Witze auf eigene Kosten machen und niemanden (schon gar nicht sich selbst) ernst nehmen. Außerdem fassen sie sich kurz. Maximal 200 Seiten. Sagte ich schon, dass sie bescheiden sind?

Was hängen bleibt:
Auf die Frage "Wofür sind Sie dankbar?" antworte ich seit der Lektüre dieses schmalen Bändchens: Dass ich die schwedische Sprache beherrsche.

Das beste Zitat:
„När min morfar dog, tyckte min moster att vi skulle skriva såhär i dödsannonsen: Varför? 'Nej', sade mamma, 'jag tycker vi skriver såhär: Varför inte?'
Och hon har väl rätt, någon gång skall man leva och någon gång skall man dö. Jag vet att många inte häller med mig, men jag tror på ett liv före döden.“

Allein für diesen Satz lohnt es sich Schwedisch zu lernen.

Was würde ich dann verstehen?

"Als mein Großvater starb, fand meine Tante, wir sollten folgendes in die Todesanzeige schreiben: 'Warum?'. 'Nein', sagte meine Mutter, 'ich finde, wir schreiben: 'Warum nicht?' Und sie hat wohl Recht, mal soll man leben und mal soll man sterben. Ich weiß, dass viele anderer Meinung sind, aber ich glaube an ein Leben vor dem Tod." (Von mir übersetzt, ich hatte die deutsche Übersetzung nicht zur Hand...)

Wer sollte es lesen?
Nur wenige zeitgenössische Schreiber wagen es, sich selbst bloß zu stellen. Levengood macht es. Und er macht es in einer uneitlen, rücksichtslosen Art. Und während er von dem Schlimmsten in ihm selbst schreibt, regt sich irgendwie das Gute in uns. Levengood zu lesen, macht Lust zu scheitern. Und ich glaube, das ist eine wichtige Lektion. Wir haben zu viel Angst, etwas falsch zu machen, daneben zu liegen, nicht geliebt zu werden. Levengood nimmt uns ein wenig von dieser Angst.

Was lese ich als nächstes?
„Othello“ von William Shakespeare

Die Alltagslektüre: In seiner Kolumne unterzieht Freitag-Autor Mikael Krogerus jede Woche ein Buch einem persönlichen Lese-Check. Zuletzt:

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