Konsumgüter sind Kunstprodukte und Konsumenten demnach Kunstliebhaber, schreibt Wolfgang Ullrich
Foto: Justin Sullivan / Getty
Manche unserer Überzeugungen haben einen ziemlich langen Bart. Als ehrwürdige Bedenkenträger heben sie aus alter Gewohnheit den moralischen Zeigefinger auch dort, wo wir ihnen schon nicht mehr recht trauen können, zum Beispiel bei der Verdammung des bösen Konsums. Es gilt ja immer noch die Auffassung, dass Werbung lüge und Marketing falsche Wünsche anreize.
Wolfgang Ullrich will solchen wohlfeilen Denkmustern gehörig am Bart zupfen, genauer gesagt findet er, der Bart der alten Konsumkritik gehöre endlich ab. In ihrem elitären und zutiefst bürgerlichen Dünkel gegen Billigware und Massenproduktion habe sie nämlich nicht verstanden, wie Konsum heute funktioniert. Im fortgeschrittenen kulturellen Kapitalismus sei der Gegensatz vom
ensatz vom wahren Wert und lügenhaftem Werbeschein längst obsolet, und Ullrichs grundlegende These lautet daher: Konsumgüter sind Medien, sie transportieren Botschaften, und diese Botschaften zu entschlüsseln ist eine Kulturtechnik wie das Lesen. Je mehr wir lernen, mit den Produkten und den sie begleitenden Fantasien umzugehen, desto besser können wir mit ihren Formen spielen, eine Kennerschaft, gar Kunstfertigkeit im Genuss entwickeln. Wer hier die Nase rümpft und auf dem Unterschied zwischen einer hübschen Pfeffermühle und Goethes Wahlverwandtschaften beharrt, irrt und zeigt, dass er sich nicht auskennt. „Abwehr und Ressentiment sind Folge einer Überforderung: Ausdruck ungenügender Ausbildung im Umgang mit einem Zeichensystem“, meint Ullrich und ist sich sicher, dass man in Zukunft auf die Konsumkritiker genauso befremdet zurückschauen wird wie heute auf die ehemaligen Verächter des Romans.Wie schon in seinem Buch Habenwollen gefällt sich Ullrich (geb. 1967) in der provokanten Pose des Gleichschalters. Er behandelt Konsumgüter wie Kunstobjekte, Produktdesigner wie Künstler, Konsumenten wie Kunstliebhaber und unterläuft gekonnt die Distinktionen guten Geschmacks. Bewusst wählt er für seine liebevoll detaillierten Analysen der Warenwelt hässliche, banale Dinge, und es macht großen Spaß, von Duschgels zu lesen, die sich mit erleichtertem „Pfft“ öffnen, oder Mineralwässern, die sich zunehmend wie alkoholische Getränke stilisieren. In Ullrichs halb ironischen, halb ernsthaft phänomenologischen Beschreibungen wird klar, wie komplex diese Produkte designt sind. Wie jedes Detail sitzt, von der Form der Flasche, ihrer Farbe, der Griffigkeit des Materials, der Aufschrift bis zum Duft, den sie verströmt. „Multisensory enhancement“ heißt die Einbeziehung aller Sinne ins Produkterlebnis.Dubiose VerkaufsstrategienUnter der Hand lässt Ullrich die Produktbeschreibungen zu kleinen Gesellschaftsanalysen werden. Er zeigt, wie Dinge unsere Erlebniswelt prägen, wie sie uns erziehen. Interessant ist seine These, dass wir uns zu Konsumprodukten ähnlich verhalten wie zu Objekten traditionellen Aberglaubens. Die Warenwelt ist ja nicht entzaubert, und „worauf ehedem ein Hufeisen hoffen ließ, das verspricht zurzeit dem einen ein Joghurt, dem anderen ein Speiseeis, ein Shampoo oder eine Kaffeesorte.“ Ullrich sieht in solcher spirituellen Aufladung keinen Grund zur Besorgnis, im Gegenteil. Der Aberglaube sei polytheistisch veranlagt, glaube nicht wirklich ernsthaft an seine Objekte und sei darum harmloser als monotheistisch-rigide Glaubensordnungen.Während Ullrich im ersten Teil des Buches seine konsumemphatische Attitüde durchzieht, geht er im zweiten zu unvorhersehbaren Volten über. So argumentiert er, dass die Konsumkritik mit ihrem impliziten Versprechen, vom Elend zur Erlösung zu führen, dasselbe Narrativ benutze wie das Marketing, also dubiose Verkaufsstrategien anwende. Mit diesem Argument gegen den Lieblingsfeind kommt ein kritischer Ton ins Buch. Ullrich gibt zu bedenken, dass die Metaphern, mit denen die Marketingstrategen arbeiten, auch eine moralische Dimension haben und schaden können. Auf seiner Abschussliste stehen – natürlich – vor allem die LOHAS, jene Mittelschicht, die sich dem guten, dem umweltfreundlichen Konsum verschrieben hat. Das Arrangement mit der Natur produziere Arroganz und Ressentiments gegenüber ärmeren Schichten, die sich den nachhaltigen Konsum nicht leisten können, findet Ullrich. Überhaupt misstraut er dem wertegeleiteten Marketing. Wo Unternehmer mehr sein wollen als Kapitalisten, werde Konsum zur Ideologiemaschine.Alles Konsum ist schön zu lesen, es ist kenntnisreich und witzig, und es enthält ein Bilderrätsel. Jedem Kapitel ist ein Foto mit einem Bücherregal vorangestellt, in dem all jene Produkte und Literaturstücke herumliegen, um die es im folgenden Kapitel gehen wird. Produkte sind wie Bücher, war ja die These. Was aber bedeutet der ominöse Großbecher „Non Stop“ Cookies, der mal oben, mal unten, mal rechts mal links drapiert in allen diesen Regalen auftaucht, aber nie im Text? Dieses Produkt ist ein Enigma, der Joker, der Platzhalter für den Autor selbst.Denn so wenig wie sich das Kleingedruckte auf dem Becher entziffern lässt, so wenig lässt sich Ullrich in die Karten schauen. Letztlich bleibt er ein Postmoderner durch und durch, wozu eben auch gehört, dass man nicht weiß, ob er wirklich einer ist. Er plädiert für barocke Vielfalt, Kitsch, Ironie. Moral ist ihm suspekt. Seine Hoffnung gilt der Ausdifferenzierung, dem spielerisch kenntnisreichen Umgang mit Konsum, der nach und nach eine Verfeinerung der Sitten zur Folge haben werde. Im antibürgerlichen Affekt gefällt er sich darin, den Spieß immer wieder umzudrehen, den bösen, ideologischen Konsum als harmloses Spiel und den guten Konsum als eigentlich ideologisch zu markieren.Es stimmt schon, dass die alten Muster der Konsumkritik nicht mehr greifen, aber das heißt ja noch lange nicht, dass wir keine neuen, intelligenteren brauchen. Ullrich meidet das klare Statement, und daher sucht er auch keine Antwort auf Fragen, die man doch stellen muss, etwa wo wir die Myriaden von verbrauchten Erlebnis-Duschgelflaschen bitte entsorgen sollen und was uns die Konsumdelirien kosten: energetisch, intellektuell und menschlich. Dass man an der Übermacht der Produktexzesse auch verzweifeln kann, lässt Ullrich – schon aus Prinzip – nicht gelten.
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