Der Linken fehlt der Mut zur Geschichte

Gedenken Der 17. Juni 1953 ist nicht vergessen, das zeigte die Kranzniederlegung im Wedding. Wieso macht die Linkspartei den 17. Juni eigentlich nicht zu ihrer Sache?
Ausgabe 25/2013
Der Linken fehlt der Mut zur Geschichte

Foto: Odd Andersen / Getty

Die Feierstunde zum 17. Juni 1953 im Deutschen Bundestag währte nur 30 Minuten. Entsprechend war das Plenum auch nur halb gefüllt. Der Bundestagspräsident Norbert Lammert hielt eine kluge Ansprache. Bundespräsident Joachim Gauck hielt eine gute Rede. Vor ihm saßen nebeneinander Kanzlerin, Bundesratsvizepräsident und Verfassungsgerichtspräsident wie drei Gutsbesitzer, die anzuhören bereit sind, was der Sprecher des Gesindes zu sagen hat.

Sicherheitshalber hatten zwei Säulen des Antikommunismus, Bild und Faz, in ihren Fernsehprogrammen nicht angekündigt, was da aus dem Reichstagsgebäude zu erwarten war. „Bundestagssitzung, live“ hatte es lakonisch geheißen. So schaute wahrscheinlich kaum einer hin. Und das war gut so.

Anders war es bei der Kranzniederlegung am 17. Juni im Wedding. Wieder Bundespräsident, Kanzlerin, hier auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit. Öffentlichkeit war angesagt. Es wurde zugeschaut. Was die massive Medienpräsenz des Gedenktages vermuten ließ, zeigte sich in der Wahrnehmung durch die Bevölkerung: Der 17. Juni ist nicht vergessen. Selten hat sich der Deutsche Bundestag so blamiert wie bei seiner vorgezogenen Feierstunde am Freitag, dem 14. Juni.

Der Zufall wollte es, dass an diesem Freitag die Linke ihren Programmparteitag in Dresden begann. Auch dort wurden gute Reden gehalten, sehr gute sogar: Bernd Riexinger, Katja Kipping, Sahra Wagenknecht, Gregor Gysi. Stürmischer Applaus der Delegierten dankten es ihnen.

Waren es nicht ihre Leute gewesen?

Indes, man mochte sich als Außenstehender fragen, warum bei solchen Tönen die Linkspartei den Aufstand der Arbeiter in der DDR 1953 nicht zu ihrer Sache gemacht hat. So, wie die meisten bürgerlichen Kräfte in den alten Bundesländern die 68er-Bewegung längst zu einem Teil ihrer gemeinsamen Geschichte gemacht haben, bei deren Betrachtung sie erkennen, was sie zur Veränderung des Landes angestrebt hatten.

Stattdessen saßen die Abgeordneten der Linken bei der Bundestagssitzung mit beleidigten Gesichtern da. Aber waren nicht die Arbeiter von Henningsdorf, die zu zehntausend nach Berlin marschierten, um dort für gerechte Arbeitsbedingungen und freie Wahlen zu demonstrieren, ihre Leute gewesen?

Wahrscheinlich denkt man in der Linkspartei immer noch zuerst an die Faktoren bei der Niederschlagung des Aufstands. Waren nicht die russischen Panzer dieselben gewesen, die Deutschland vom Faschismus befreit hatten? Waren nicht die Männer an der Spitze der DDR dieselben, die unter den Nationalsozialisten gelitten hatten? Das mag alles richtig sein. Aber das gehört in die Geschichtsbücher. In der aktuellen Politik wird es leicht zu realitätsverweigernder, lebensfeindlicher Doktrin.

Den Deutschen im Westen wurde das gerade auch von den 68ern drastisch beigebracht. Heftige Proteste gegen den Vietnamkrieg der USA waren nicht damit zu delegitimieren, dass die Amerikaner Westberlin mit der Luftbrücke gerettet hatten. Und gerade die engagiertesten Studenten waren mehr vom american way of life geprägt als irgendeine andere Gerneration in Europa vor ihnen. Ihre Musik, ihre Kleidung, auch ihre politischen Kampfformen: alles amerikanisch, Berkely, Chicago, Washington.

Deutschland ist weniger wiedervereinigt, als es glaubt. An dem Wochenende des 15./16. Juni starb auch Ottmar Walter, Stürmer in der Fußballmannschaft, die 1954 in Bern Weltmeister wurde. Das Ereignis wird gern mit dem Rütli-Schwur in der Schweiz verglichen: Gründungsakt für des Landes Selbstbewusstsein. Die Westberliner Zeitungen meldeten Ottmar Walters Tod auf Seite eins. Die im Osten der Stadt erscheinende Berliner Zeitung tat das nicht.

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