„Wetten, dass?“ Der Spaß hört auf, und die Barbarei beginnt

Fernsehen Die Absetzung von "Wetten, dass?" bekommt verhältnismäßig zu viel Aufmerksamkeit. Mit gutem Grund: hier wird die Mehrheitsgesellschaft zu Grabe getragen
Ausgabe 15/2014

Diese Diskrepanz ist bemerkenswert: Hier das spürbar nachlassende Interesse des Publikums an einer Fernsehsendung, die, wenn sich nicht jemand bei seiner Nonsens-Wetten schwer verletzt, eigentlich niemandem wehtut; dort die affektgeladene Reaktion auf den Moderator, der die Sendung nicht retten konnte, und auf die Verkündigung der Einstellung, der die Bild gleich eine Geschichte von Geheimplänen zu ihrer Wiederauferstehung entgegensetzt. Das muss doch etwas zu bedeuten haben? Ja: Mit Wetten, dass..? wird nicht eine Show mit einer 30-jährigen Geschichte zu Grabe getragen, sondern die deutsche Fernsehfamilie, die sich nun höchstens noch zur Chronik ihres Zerfalls, zur Lindenstraße, treffen kann.

Wetten, dass..? war die Feier einer Mehrheit. Wer eingeschaltet hatte, war Teil einer großen, süßen Mitte; und die Aufgabe aller Beteiligten – Moderator, Assistenten, Gäste, Wett-Teilnehmer und Publikum – war es, alles fernzuhalten, was dieses Empfinden von Mehrheitlichkeit hätte beeinträchtigen können. Gelegentliche Auftritte von Störenfrieden konnten dem nicht schaden, solange es den Willen zur fundamentalen Mehrheitsfähigkeit gab. Erst der schwere Unfall von Samuel Koch erinnerte fatal an eine äußere Wirklichkeit, davon hat man sich nicht mehr erholt. Er erinnerte letztlich daran, dass es jene gemütliche Mehrheit nicht mehr gibt.

Eine solche Mehrheit, die sich durch ähnliche Lebenserfahrungen und Werte, Geschmack und Interessen bildet, kann es unter den Bedingungen des Finanzkapitalismus und der Prekarisierung nicht mehr geben. Auch ihre Simulation per Samstagabendunterhaltung funktioniert nicht mehr. Das Zentrum dieser Mainstream-Simulation ist leer.

Denn da, wo sich ein Publikum dem glücklichen Rausch, zur Mehrheit zu gehören, noch einmal nahe fühlen will, werden längst brutalere Opfer gefordert. Da muss das Prinzip jeder gegen jeden in aller Drastik ausgestellt werden. Und wer überleben will, dem darf es vor nichts grausen. Da braucht man einen Feind, so wie man ihn bei den Thilo Sarrazins dieser Welt und ihren völkstümlichen Epigonen serviert bekommt. Denn außerhalb der Kulte zu gewinnen oder zu verlieren, hat sich keine Kultur der Vielfalt entwickelt. Die Sehnsucht nach Mehrheit lässt sich durch eine mediale Simulation der eigenen Harmlosigkeit nicht mehr erfüllen. Wetten dass..? wurde von einer Mehrheit geliebt, weil Mehrheit-Sein der einzige Inhalt der Show war.

Warum also wird Markus Lanz so gehasst? Oder bemitleidet, was nur eine andere Form der Verurteilung ist? Weil an ihm diese Unmöglichkeit sichtbar wurde. Sein Interview mit Sahra Wagenknecht in seiner eigenen Lanz-Sendung war dazu ein Seitenstück: Ausgerechnet er, der zum großen Einiger der imaginären Mitte ausersehen war, verklemmte sich in einer bösartig korinthenkackerischen Neid-Attacke. In dem anschließenden Shitstorm ging es nicht um die Verteidigung der Linken, um die Verteidigung dieser Frau oder um die Verteidigung der politischen Kultur. Sondern es ging um den Widerspruch zwischen dieser Hasspredigerform auf der einen und der Kindergeburtstagsform auf der anderen Seite. Man kann nicht Thilo Sarrazin und Thomas Gottschalk gleichzeitig sein.

Darum berührt das Ende von Wetten dass..? so tief. Weil es auch das Ende einer Konsensgesellschaft bedeutet, das Ende einer sicheren Mitte. Das Ende der Harmlosigkeit in der Inszenierung von Mainstream. Der Spaß hört auf, es bleibt die Barbarei.

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