Eventkritik Wettbewerbe sind die neue It-Abendgestaltung: Bei "Cut&Paste" zeichnen Grafikdesigner um die Preise der Sponsoren. Nun hat die weltweite Reihe in Berlin Station gemacht
Wenn es stimmt, dass sich die Interessantheit eines Clubs proportional zur Unwirtlichkeit seiner Lage verhält, dann ist der Tape Club im Niemandsland hinter dem Berliner Hauptbahnhof die richtige Adresse für einen internationalen Designer-Wettbewerb wie "Cut". Neben New York, London, Sydney, Tokyo und Boston, hat er jetzt auch Berlin, die "zeitgeist metropolis", wie es in der Veranstaltungsbeschreibung heißt, erreicht. Bei "Cut" geht es vor allem um Geschwindigkeit: 15 bis 20 Minuten haben die Grafiker Zeit, um Schilder und Postkarten zu entwerfen, die Teilnehmer des Motion-Wettbewerbs haben acht Stunden Zeit für einen kurzen Film, sie sitzen seit dem frühen Mittag an einem der Schreibtische an der Längsseite des Clubs. Der sieht mit all den Monitoren an diese
reibtische an der Längsseite des Clubs. Der sieht mit all den Monitoren an diesem Abend aus wie eine Grafiker-Büro-Simulation, was es, trotz DJs und einer Getränkewanne mit Tresen, einigermaßen schwer macht, nicht an die Arbeit zu denken, die Zuhause auf dem Schreibtisch liegt.Mehr zum Thema:Bildergalerie zum CutDie Schreibtische und Monitore links hinter der Wannen-Bar gehören einem italienischen Streetwear-Label. Hier gibt es wirklich Arbeit für jeden; wer einen Entwurf zur nächsten Kollektion beiträgt, kann teure Software und teure Hardware gewinnen. Die aktuelle Kollektion des Labels kann man sich auf zwei Fernsehbildschirmen neben den Schreibtischen anschauen: Ein Mädchen in einem silbergrauen Slip und einem silbergrauen Blouson mit neonfarbenen Nähten läuft zackig über einen Laufsteg, Jungen in faltig genähten Cargo-Hosen und übergestülpten Kapuzen geben sich bewusst als Halbstarke. Dazu tragen sie diese Plastikbrillen, mit denen man aussieht, als hätte man einen bunten Rolladen vorm Gesicht.Um zu verstehen, dass diese schrille Aufmachung ganz und gar nicht der Look der Zeitgeist-Metropole Berlin ist, reicht ein kurzer Blick über die Reihen derer, die langsam die Clubhalle füllen. Hier wird die Kunst des trendgerechten Verstreberns zelebriert: Zu hochgeschlossenen Blusen und Hemden werden dunkle Jacken getragen, und Accessoires, die auf geschmackvolle Art auffallen. Rote Wildlederstiefel mit schmalem Absatz und Lederfransen zum Beispiel, und unbedingt das richtige Brillenmodell. Schwarz ist passé, die digitale Bohème trägt jetzt Rot- und Brauntöne oder ein großes, durchsichtiges Gestell. Mit dieser Dezenz geht einher, dass – insbesondere auch bei den Männern – die Röhrenjeans endlich ausgedient hat. Wer eine Streberbrille auf der Nase trägt, will untenherum nicht unbedingt wie ein Masthähnchen aussehen.Es gehört zu den Nachteilen einer fensterlosen Fabrikhalle, dass die Temperaturen schnell steigen, wenn ein paar hundert Leute darin trinken und im Takt der Musik wippen, und so haben die ersten rote Gesichter, als die Moderatoren Miguel und Sasha, nach einer Einführung in die Sponsorensoftware „Mudbox“ (ein Programm, mit dem man digitale Knetmännchen bauen kann), die erste Runde des Wettbewerbs ankündigen.„Wir werden euch öfters mit den Sponsoren nerven, sonst gibt es keine Show“, entschuldigt Sasha, die mit ihrem goldenen Flechtstirnband und in einem langen gold-schwarzen Flatteroberteil wie eine sehr schöne Sci-Fi Römerin aussieht. Miguel trägt ein schwarzes T-Shirt, auf das ein silbernes Gesicht gedruckt ist. Die Augen sind zwei Disko-Kugeln, wenn er auf einem der Monitore erscheint, sieht er wie ein schwarzgelockter Bär mit silbernen Brüsten aus. „Wir haben nicht so viel Plan von ordentlich deutsch reden“, sagt Miguel noch, also wird man ihm später nachsehen, wenn er Sachen sagt wie: "Wir vergeben gleich den Publikumspreis für die besten Skills, die coolste Sau". Und wundert sich trotzdem, warum die Bühnenansprache im 21. Jahrhundert in der Zeitgeist-Metropole Berlin so fatal nach dem MTV der 90er klingt.Los geht es mit dem Thema „Gourmet“. Vier Jungs treten gegeneinander an, überhaupt fällt auf, dass fast nur Jungs auf der Bühne arbeiten, obwohl an den Designschulen inzwischen doch vor allem Frauen studieren. Philipp Brömme am linken Bühnenrand ist einer von den Brillenträgern – ein schönes, rotschimmerndes Modell – er kaut Kaugummi und lässt sich von den DJ-Beats, die von Minute zu Minute lauter werden, nicht aus dem Rhythmus bringen. Sermed Darah neben ihm trägt einen Hut und hat die meisten – oder die lautesten – Fans im Publikum. David Loehr arbeitet als einziger im Stehen, neben ihm beugt sich Oliver Stephan über seinen Monitor. Hinter ihnen sind vier große Bildschirme, auf denen das Publikum sieht, wie weit sie mit der Arbeit sind.Auf Sermed Darahs Bildschrim erscheint ein rot-brauner Knetklumpen, aus dem eine dicke Spinne wird, ganz rechts bei Oliver Stephan nimmt etwas Gestalt an, das wie eine Badewanne mit Dunstabzugshaube aussieht. Als die ersten fünf Minuten um sind, sieht es auf den vier Bildschirmen nicht besonders kulinarisch aus. Die Spinne verformt sich langsam erkennbar zu einem Tintenfisch mit Knoten im Bein, der Badewanne wachsen drei Augen. Das Publikum schaut fasziniert und nimmt die für den Rest des Abends typische Körperhaltung ein: Den Kopf leicht zur Seite geneigt (auch im Halbprofil sehen diese Brillen extrem gut aus), das Kinn interessiert nach oben gestreckt. So mancher wird diesen Abend morgen in den Halsmuskeln spüren.Fünf Minuten noch, Brömme lässt die Lippen flattern, Sasha sagt, dass sie jetzt die Sponsoren vorlesen muss, sie stolpert über ein paar Namen und fügt erklärend hinzu: „ein geiler Bildschirm mit Stift“. Immerhin weiß man jetzt, womit auf der Bühne gearbeitet wird. Die Badewanne bekommt noch eine Gabel in den Rücken gerammt, der Oktopus ein Schild, auf dem „Help they want to eat me“ steht, dann ist die Zeit um. Man schaut etwas ratlos auf diese Ergebnisse, und entscheidet achselzuckend, dass hier wie so oft der Weg das Ziel sein muss. Auch die Postkarten, die die Wettbewerber in 2D später in 15 Minuten zum Thema „Sin City Berlin“ entwerfen, will man nicht unbedingt geschickt bekommen, aber es ist gut anzuschauen, wie da auf dem einen Bildschirm ein schwarz-weiß-Foto des Publikums schwarze Augenbalken bekommt und auf einem anderen ein Bär in roten Lackstiefeln gezeichnet wird.Nach drei Stunden schwirrt der Kopf von den Beats, der warmen Luft, den vielen Software- und Hardwarenamen und den Namen ihrer Hersteller, und irgendwann kann man auch keine Brillen, keine Schals und keine guten Frisuren mehr sehen. Im Nebenraum, unter einem großen Baum aus grauen Holzlatten, läuft von Eric Clapton „Cocaine“, der perfekte Entschleunigungssong. Ich danke Eric Clapton dafür, dass er am Ende des Songs nicht sagt, mit welcher Gitarre er den Song eingespielt hat, dann wage ich mich zurück in die Halle, um doch noch zu erfahren, wer am Ende das „scheißeteure“ Zeug gewonnen hat. Mehr über Cut in New York sehen Sie im Videobericht von wired:
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