Die letzten Austerianer

Niederlande Deutschland verliert einen treuen Anhänger seiner fanatischen Sparpolitik und ist auch bei den Debatten im IWF und in der EU-Kommission ziemlich einsam
Ausgabe 18/2013
Foto: AFP/ Getty Images
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Auf Distanz: Der niederländische Premier Mark Rutte mit Angela Merkel

Nach dem Frühjahrsgipfel von Internationalem Währungsfonds (IWF) und G-20-Finanzministern bröckelt die Front der Austeritätsfreunde in Europa weiter und schneller. Einer der treuesten Schleppenträger der deutschen Kanzlerin, der niederländische Premier Mark Rutte, droht von der Fahne der Rechtgläubigen zu gehen. Im Haager Kabinett wagen es ausgerechnet die Minister seiner rechtsliberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD), das Undenkbare auszusprechen: Es gibt Alternativen zum eisernen Sparen – es gibt Wichtigeres als die heiligen Maastricht-Kriterien.

Die niederländischen Sparmeister sind erkennbar am Ende. Die gesamteuropäische Wirtschaftsflaute drückt auch ihr Land immer mehr an den Rand einer Depression. Also bequemen sich die VVD und ihre sozialdemokratischen Koalitionäre von der Partei der Arbeit (PvdA) zum Kurswechsel. Nach Art des Landes wird der im Konsens mit den Sozialpartnern ausgehandelt. Dabei könnte schon bald die Sparbremse gegen einen neuen Sozialpakt eingetauscht werden, mit dem die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts reduziert und der Kündigungsschutz nicht weiter abgebaut wird, während die Flex-Werker auf mehr Rechte hoffen können. Außerdem dürfte man sich darauf einigen, dass es in den Niederlanden so wie bisher keine verkürzten Bezugszeiten für Arbeitslosengelder gibt. Obendrein wird ein drastisches Sparpaket des Staates von immerhin 4,3 Milliarden Euro ausgesetzt, wenigstens fürs erste.

Alles in allem keine wirkliche Kehrtwende, nur eine halbe, aber ein Innehalten auf jeden Fall, um sich im Wunsch nach Erholung wieder einer aktiveren Beschäftigungspolitik anzunähern. „Mondriaan“, wie die Niederländer ihren Sozialpakt getauft haben, lag dem deutschen Finanzminister Schäuble denn auch schwer im Magen, als er zur IWF-Session in Washington anrückte, um sich von den Amerikanern erneut anhören zu müssen, dass eine dauerhaft depressive Eurozone die Weltökonomie herunterziehe. Die größte, am besten integrierte Wirtschaftsregion dürfe nicht weiter schrumpfen.

Keine guten Nachrichten

Doch sie tut es – allein die Kreditvergabe im I. Quartal 2013 lässt keinen Zweifel. Nach einer EZB-Umfrage wurden von den Unternehmen EU-weit im Schnitt 24 Prozent weniger Neukredite aufgenommen als im IV. Quartal 2012. Bei den Mitteln für Investitionen ging der Bedarf sogar um 33 Prozent zurück. Ein klarer Indikator für eine weiterhin schwindsüchtige Konjunktur. Kein Wunder also, wenn sich der Wind gegen Deutschland dreht und beim IWF der Eindruck vorherrscht, dass die europäische wie die Weltkonjunktur schnödem nationalen Eigennutz geopfert werden.

Deutschland ist isolierter denn je, da auch die Nordländer wie Finnland und Schweden, vor allem aber Frankreich zu einem Ausscheren wie die Niederlande tendieren. Spar- und Nachfragepolitik müssten mindestens verschränkt werden, sagt selbst EU-Kommissionschef José Manuel Barroso, der inzwischen wie EU-Parlamentspräsident Martin Schulz in beredter Weise das Dogma verwirft, wonach man sich aus dieser Weltkrise einfach heraus sparen könne.

Ganz im Gegenteil, man erwartet in New York, Washington und Brüssel von der Bundesrepublik als dem Eurostaat mit der stetig expandierenden Handelsbilanz einen Schwenk in der Wirtschaftspolitik. Wer sich diesem Verlangen verweigert, wird auf die Arbeitsmarktdaten des I. Quartals 2013 verwiesen. In den USA mit ihrer Nullzins-Politik und den maßvollen Konjunkturhilfen der Obama-Regierung verharrt die Quote bei 7,5 Prozent – in der Eurozone stieg sie auf über zwölf.

Deutschland – so die Position fast aller EU-Kommissare wie von IWF-Direktorin Christine Lagarde – hat wegen seiner finanziellen Stärke bei der Bankenunion wie der Finanzmarktreform in Europa voranzugehen. Dass im Abschlusskommuniqué der IWF-Frühjahrstagung diesmal trotz lautstarken Drängens von Minister Schäuble keine Sparziele aufgenommen wurden, spricht Bände.

Keine guten Nachrichten also für die Wahlkämpferin Angela Merkel. Sie wird zusammen mit Britanniens Premier David Cameron bald das letzte Aufgebot der „Austerians“ bilden, wie die neoliberale Avantgarde auf Englisch genannt wird. Andererseits – gute Nachrichten für die Sozialdemokratie in der EU, sollte sie den Mut zu einem anderen Wirtschaftskurs aufbringen.

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