In den dreißiger Jahren ließ die Alkohol-Prohibition in den USA bekanntlich nicht nur Mafiageschäfte aufblühen, sondern sogar ein eigenes Filmgenre. Angesichts einer gegenwärtig recht rigide geführte Antiraucher-Kampagne versuchen die Tabakkonzerne im Lande des freien Waffenhandels verlorene einheimische Marktanteile offenbar durch eine Expansion auf dem Weltmarkt, vor allem im jetzt frei zugänglichen Ost- und Mitteleuropa wettzumachen. Beispielsweise in Polen, wo man die USA zumindest in der Antiraucher-Kampagne ganz gern "ein- und überholen" würde, weshalb man neue Wege der Werbung gehen muss. In Erinnerung an den historischen Zusammenhang von Prohibition und Kino ist man dabei offenbar auf die Idee des Filmfestival-Sponsorings gekommen: Zusam
sammen mit einer in Los Angeles beheimateten American Cinema Foundation veranstaltet ein namhafter US-amerikanischer Zigarettenkonzern unter dem assoziationsreichen Titel Freedom Film Showcase seit drei Jahren in Berlin ein Festival ost- und mitteleuropäischer Filme. Eigentlich könnte das ja durchaus eine hilfreiche Unterstützung von Filmkulturen sein, deren Infrastrukturen und Kreativität nicht zuletzt durch einen aggressiven Hollywood-Imperialismus in gefährliche Überlebenskrisen geraten sind. Doch da die eigene Produktwerbung natürlich das entscheidende Motiv ist, veranstaltet man dieses Showcase eben während der vom Hauch der "großen, weiten Welt" umwehten Berliner Filmfestspiele, wo sich das potentielle Publikum ganz andere Filme ansieht und das ost-mitteleuropäische Freedom Film Showcase-Programm zu einer kläglich besuchten Alibiveranstaltung verkommt. Für die nötige Öffentlichkeit ist allerdings mit einer effektvoll inszenierten Auftaktveranstaltung gesorgt, zu der auch ein Empfang im Roten Rathaus mit viel Prominenz gehört. Anlass ist die Verleihung eines mit 10.000 US-Dollar dotierten Andrzej Wajda/Philip Morris Freedom Prize. Angesichts der katastrophalen Geldnöte seiner Kollegen nimmt es Andrzej Wajda, der nichtrauchende Maitre des polnischen und europäischen Kinos, offenbar gelassen hin, dass sein guter Namen für einen US-Zigarettenkonzern werben muss. Und immerhin ging das bisherige Preisgeld ja auch tatsächlich an phantastisch eigensinnig-produktive Filmemacher, die ihre individuelle Kreativität gegenüber den Zwängen des "Freien Marktes" ebenso beharrlich verteidigen wie einst gegenüber den Zensurbürokraten des "realen Sozialismus", an innovative Widerstandskämpfer gegen die Globalisierung gleichmacherischer Medientrivialisierung. Schon damit haben sich die bisherigen Preisträger - der Namenspatron Andrzej Wajda, die in Odessa lebende Kira Muratova und der diesmal ausgezeichnete Jan Svankmajer ins Goldene Buch der internationalen Filmgeschichte eingetragen. Der zitierte Preis macht darauf eine breitere Öffentlichkeit aufmerksam, die meist kaum etwas ahnt von dem enormen kreativen Potential, ohne das unser gemeinsames "Europäisches Filmhaus" erheblich ärmlicher ausfällt. Dieser Preis hat also durchaus seine sinnvolle Funktion. Die letztjährige Laureatin Kira Muratova konnte ihr Preisgeld - zusammen mit dem ihr einige Monate davor von der Akademie der Künste zugesprochenen "Kunstpreis Berlin" - in die Produktion ihres Filmes Menschen zweiter Klasse (Vtorostepennye ljudi) stecken, dessen kreativ irritierende Provokationen im diesjährigen Berlinale-Panorama formal wie inhaltlich versteinerte Klischees zum Tanzen brachten.Derlei Partisanenarbeit leistet auch der diesjährige Preisträger Jan Svankmajer bereits seit Anfang der sechziger Jahre in Prag. Schon seine ersten doppelbödigen Animationen irritierten nicht nur einheimische Gralshüter sozrealistischer Dogmen, sondern bei deren Präsentation auf den - damals übrigens als "tendenziell rot" verdächtigten - Oberhausener Kurzfilmtagen auch bundesdeutsche Klischeevorstellungen, die meinten, dass aus staatssozialistischen Studios eigentlich nur linientreu angepasste Auftragsfilme kommen konnten: Nicht alle erkannten im ideoästhetischen Eigensinn Svankmajers die Signale der auch von Künstlern angestoßenen Entwicklung zum Prager Frühling, an der unter anderem die aufmüpfigen Vorstellungen der multimedialen Laterna magica (wo Svankmajers Weg zur Kunst begann) gewichtigen Anteil hatte. Das gilt auch für die damalige Wiederentdeckung des tschechischen Surrealismus, dessen antidogmatisch linke Subversionen schon von den KP-Funktionären der dreißiger Jahre und dann sicher erst recht nach 1948 als "trotzkistische" und "anarchistische" Unterwanderung kriminalisiert wurden. Das surrealistische Aufbrechen versteinerter Phantasie und Verhältnisse, der Traum einer Marx-Freud-Synthese und die Kunsttheorie und -praxis einer "poetistisch" frei flottierenden Imagination "gegen den Strom" (so der Titel einer als "antisowjetisch" befehdenden Manifestschrift von 1938) inspirierten in dieser Aufbruchszeit leidenschaftliche Debatten der sich von dogmatischen Verkrustungen befreienden Intellektuellen und wurden auch zur Grundlage des Weges, den Jan Svankmajer damals als Puppenspieler und Animationsfilmer, später dann auch als bildender Künstler und theoretischer Essayist einschlug: Mit Marionetten, Spielzeugen, Steinen oder Knetfiguren erzählt er von E. T. A. Hoffmann, Edgar Allan Poe, Villiers de l'Isle-Adam und Lewis Carroll inspirierte schwarze Parabeln, die immer auch filmbildliche Psychoanalyse von privat und gesellschaftlich Verdrängtem sind, mit visueller Schocktherapie die Phantasie von Versteinerungen befreien und mit Imaginationskraft die Fesseln automatistischer Zwänge sprengen und zu selbstbestimmtem Denken und Fühlen ermutigen wollen.Als Okkupationspanzer die Prager Frühlings-Träume von einem demokratischen Sozialismus niedergewalzt hatten, blieb den Surrealisten und den übrigen nicht zur Anpassung bereiten Künstlern nur das widersprüchlich schillernde Jahr 1969: Svankmajer drehte damals Eine stille Woche zuhause, eine Realanimation über die traumatische Existenz eines in seinem eigenen Haus eingeschlossenen Menschen, dem die alltäglichen Gebrauchsgegenstände ihren Dienst verweigern. Andere Surrealisten nutzten die vorerst letzten Möglichkeiten zu einer publizistischen Aufarbeitung ihrer lange verfemten Positionen, in denen gerade jetzt wieder aktuell subversive Bezüge zur unerträglichen Gegenwart in einem okkupierten Land steckten. 1970 traten Jan Svankmajer und seine Frau, die surrealistische Malerin und Schriftstellerin Eva S?vankmajerová, der surrealistická skupina bei, die mit Debatten, Samizdat-Publikationen und die Geheimpolizei erfindungsreich überlistenden Ausstellungsaktionen die verordnete Friedhofsruhe der "Normalisierer" störten. "Natürlich" drohte damit unter anderem auch das Aus für Arbeiten im staatlichen Krátky Film-Studio. Bei der Preisverleihung wurde immer wieder von einem "Berufsverbot in den siebziger Jahren" gesprochen. Doch die Wirklichkeit war noch viel absurder: Svankmajer konnte auch in den Siebzigern noch einige kompromisslos subversive surrealistische Animationen drehen - darunter Schädelstätte, Das Schloss von Otranto oder Jabberwocky, wo die K zur gesellschaftlich keineswegs unverbindlichen Psychoanalyse autoritärer Disziplinierung und deren Folgen wird. Zynische Studioleiter ließen diese Filme zwar im Ausland Preise und Devisen einsammeln, belegten sie aber mit Vorführverboten im eigenen Land. Da Svankmajer in den Siebzigern lediglich fünf solcher Kurzfilme drehen durfte, hatte er viel Zeit und Gelegenheit, seine surrealen Fantasien für Collagen und taktile Objekte zu nutzen. Auf meinem Schreibtisch steht ein Bierseidel, den er mir bei einem damaligen Besuch in seinem mit surrealer Kunst vollgestellten Haus am Hang des Prager Hradschin schenkte. Man kann daraus nicht trinken, weil er mit spitzen Muscheln besetzt ist, die ein stumpf blickendes Kleinbürgergesicht imaginieren: Reale Gegenstände mit taktiler Verfremdung utilitärem Gebrauch zu entziehen - das ist gleichsam ein Grundmotiv des filmischen und bildnerischen Schaffens von Jan Svankmajer, für den die Dinge durchaus ihre Biographie haben. Sie sind zuweilen lebendiger als Menschen und Tastsinn und Imagination (so der Titel eines Svankmajer-Buches) ermöglichen es, die in sie eingeschriebene Zeit sichtbar, erfahrbar werden zu lassen.Als einer der ersten reagierte Svankmajer auf die "Wende" der "sanften Revolution" mit seinem Film Der Tod des Stalinismus in Böhmen. In nur zehn Minuten werden die absurd-tragischen Stationen der "realsozialistischen" Entwicklung in der C?SSR gezeigt, die mit der Entbindung einer Gottwald-Büste aus den Gedärmen eines aufgeschnittenen Gipskopfes von Stalin beginnt. Doch der Film endet nun keinesfalls mit einem optimistischen Happy end. Aus dem Müllhaufen der Geschichte erhebt sich der nunmehr mit den Nationalfarben angestrichene Gipskopf Stalins, aus dem ein neues, wenn auch noch nicht sichtbares Kind entbunden wird. Inzwischen gemachte Erfahrungen mit der realen postkommunistischen Entwicklung zeigen, dass in Svankmajers surrealen Alpträumen offenbar auch Prophetisches steckt.Der zur Berliner Preisverleihung gezeigte neueste Film Otesánek greift das bereits deutsche Romantiker und Expressionisten faszinierende Motiv der magisch ins Leben gekommenen Baumwurzel Alraune auf und entwickelt ein Feuerwerk filmbildlicher Schreckensphantasien. Dass er im Vergleich zu den Subversionen der "Vorwende"-Filme erheblich unverbindlicher "unterhaltsam" wirkt, mag mit der Dominanz des Schauspiels über die Animation und die nötig gewordene Rücksicht auf gängigere Kinokonventionen zusammenhängen. Bei einem persönlichen Gespräch kündigte Jan Svankmajer einen Film mit ideo-ästhetisch radikaleren Konsequenzen an. Das Preisgeld wäre so hervorragend investiert. n
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.