Von der Bertelsmann-Stiftung weiß man, dass sie sich intensiv mit bildungs-, hochschul- und außenpolitischen Themen befasst. Dass die größte und reichste deutsche Unternehmensstiftung auch im Bereich der Kommunalpolitik ihre Fäden spinnt, sich "politikberatend" engagiert und großen Einfluss auf Entscheidungsprozesse ausübt, wird kaum wahrgenommen. So veranstaltet sie beispielsweise Kommunalkongresse, führt eine Vielzahl von kommunalpolitischen Projekten durch und richtete, um diese zu koordinieren, ein stiftungseigenes "Kompetenzzentrum Kommunen und Regionen" ein. Die Stiftung, 1977 von Bertelsmann-Chef Reinhard Mohn gegründet, sieht ihre Bestimmung darin, "Reformprozesse" anzustoßen und mit den "Prinzipien unternehmerischen Handelns" eine
Die Tonangeber
Laboratorium Die Bertelsmann-Stiftung macht sich stark für neoliberale Reformen in Städten und Regionen. Ihr großes personelles und mediales Netzwerk ist dabei von Nutzen
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ne "zukunftsfähige Gesellschaft" aufzubauen.So wenig Staat wie möglichStiftungsgründer Reinhard Mohn erklärt in seinem Buch Die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmers, die Wirtschaft sei dem Staat um vieles voraus. Mohn wünscht sich "so wenig Staat wie möglich". Allenfalls dort, wo das "freie Spiel der Kräfte" die Menschen überfordere, sei staatliches Handeln angebracht, jedoch, betont Mohn, eines nach dem Vorbild der von ihm hoch gepriesenen "Unternehmenskultur". Mohns Intentionen, die Gesellschaft nach unternehmerischen Vorgaben umzubauen, und sein ganzes Denken über Zukunftsfähigkeit münden in ein Credo, das sich vor allem zu Leistungsvergleichen, Wettbewerben und Rankings bekennt. Diese werden durch die wohlbekannten Schreckens-Szenarien der Staatsverschuldung, des demographischen Wandels und der wirtschaftlichen Globalisierungsfolgen schein-argumentativ unterfüttert und in den unterschiedlichen Medien des Bertelsmann-Konzerns verbreitet.Die Bertelsmann-Stiftung möchte Einfluss auf die Gestaltung der Politik nehmen. Dabei unterscheidet sie sich von anderen Unternehmensstiftungen dadurch, dass sie operativ vorgeht, also ihren eigenen Apparat betreibt. Laut Selbstdarstellung investiert die Stiftung "ihr Budget ausschließlich in Projekte, die sie selbst konzipiert, initiiert und auch in der Umsetzung begleitet." Dafür hatte sie im vergangenen Jahr 56,7 Millionen Euro zur Verfügung. Ihre neoliberale Grundhaltung von Privatisierung und Standortkonkurrenz auf kommunaler Ebene verbreitet sie zum Beispiel unter dem Motto "Die unternehmerfreundliche Stadt". Die Stiftung veranstaltet verschiedenste Arten von Zusammenkünften, Wettbewerben, Aktionen und Kampagnen, PR-Aktivitäten und unterhält Netzwerke. Diese tragen in erheblichem Maße dazu bei, dass auch im lokalen Bereich neoliberale Reformen eine breitere gesellschaftliche Zustimmung erfahren. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, vollzieht sich die schleichende "Bertelsmannisierung" der Regionen und Kommunen.Aufgabe des im Jahre 2004 eingerichteten kommunalpolitischen Kompetenzzentrums der Stiftung ist es, das "Know-how für die kommunale Ebene" zu bündeln, zahlreiche kommunalpolitischen Projekte zu unterstützen und den "Wissenstransfer" in die Kommunen sicherzustellen. Darüber hinaus überwacht das Zentrum die ausufernde Vielfalt von Projekten, die sich mit kommunalpolitischen Aufgaben beschäftigen. Das im Schwerpunkt "Kommunale Steuerung" propagierte Konzept "Good (Local) Governance" betont "Kriterien wie Partizipation, Transparenz, Effektivität, Rechtsstaatlichkeit, Rechenschaftslegung, Konsensorientierung und soziale Integration". Es fordert für die lokale Ebene "mehr Demokratie und weniger Staat, ... Partnerschaft, Wirksamkeit und Transparenz im Dreieck zwischen öffentlichem, privatem und drittem Sektor". Wie selbstverständlich wird dabei Demokratie und staatliches Handeln als Gegensatz betrachtet. Die Stiftung tritt als Vermittlerin zwischen staatlichen Institutionen und privaten Unternehmen auf. Es liegt auf der Hand, dass hier über Partnerschaften mit Unternehmen nach und nach eine Privatisierung von staatlichen und kommunalen Aufgabenbereichen vollzogen wird. Damit einher geht ein klassisch unternehmerfreundlicher Vorschlag der Stiftung, Gewerbesteuern weitgehend abzuschaffen.Darüber hinaus betreibt die Stiftung themenfeldübergreifende Projekte. Bekannt sind die "Lokalen Bündnisse für Familie", die im Rahmen einer Kooperation mit dem Bundesfamilienministerium initiiert wurden. Hier geht es vor allem darum, eine familienfreundliche Unternehmenskultur zu fördern und Reformen auf kommunaler Ebene durchzusetzen. Als politikberatender Think Tank organisiert die Stiftung zum einen Meetings, die im Rahmen von Arbeitstreffen, Fachforen, Themendialogen und Wochenendseminaren der internen Kommunikation mit interessierten Fachleuten und stiftungseigenen Experten dienen, und zum anderen Tagungen, die sich vorwiegend nach außen wenden und die politische Beeinflussung der Öffentlichkeit zum Ziel haben. Zu letzteren zählen die Bertelsmann-Kommunalkongresse, zu denen vor allem Funktionsträger des lokalen Establishments eingeladen werden. Die Stiftung, die offiziell so viel auf bürgerschaftliches Engagement hält, verzichtet bei diesen Veranstaltungen geflissentlich auf Bürgerbeteiligung, sie stellt im Gegenteil sicher, dass die kommunalpolitischen Insider unter sich bleiben. Dabei lädt man als Vortragende gerne prominente Bundespolitiker ein. Hauptrednerin auf dem jüngsten Kongress "Kommunen schaffen Zukunft" im Februar 2006 in Berlin war Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen mit einer Ansprache zum Thema "Bund und Kommunen als Partner: Familien fördern, den demographischen Wandel gestalten".Unternehmer als VorbilderDie von der Stiftung mit großem medialem Aufwand gestarteten oder unterstützten Initiativen und Kampagnen erfüllen gesellschaftspolitisch eine Alibifunktion. Sie entlasten die jeweilige Bundesregierung vom sozial- und arbeitsmarktpolitischen Handlungsdruck und suggerieren das Phantom einer nationalen Schicksalsgemeinschaft, in der es auf jeden Einzelnen ankomme. Das Projekt "TeamArbeit für Deutschland", an dem sich die Stiftung beteiligte, wurde vom ehemaligen Wirtschaftsminister Clement gegründet. Es suggeriert unter anderem, es bedürfe nur einer zündenden Idee, dann könne man mit einer pfiffigen Ich-AG Arbeitslosigkeit im Alleingang überwinden. Privatinitiativen oder unternehmerische "Vorbilder" werden hoch gelobt, um vom arbeitsmarktpolitischen Versagen der Regierung abzulenken. Die mit Bertelsmann-Beteiligung lancierte Kampagne "Du bist Deutschland" erfüllte eine ähnliche Funktion.Auch die von der Stiftung initiierten Wettbewerbe setzen auf die Vorbildfunktion ausgewählter Persönlichkeiten. Der Erfolg bei diesen Wettbewerben hängt von der Entscheidung einer Jury ab, deren Nominierungskriterien undurchsichtig sind. Die Jury-Mitglieder treffen wiederum ihre Wahl auf der Basis von eingereichten Unterlagen, in denen sich die Bewerber möglichst vorteilhaft präsentieren.Bei Initiativen, Aktionen und Kampagnen handelte es sich ursprünglich um Aktionsformen politischer Gruppen und sozialer Bewegungen, deren Ziel es war, kollektiv auf gesellschaftliche, ökologische, ökonomische oder außenpolitische Missstände hinzuweisen, Änderungen zu fordern und sich für die Durchsetzung von politischen Alternativen einzusetzen. Sie waren Bestandteile einer basisdemokratischen Bottom-Up-Strategie. Die Bertelsmann-Stiftung hat diese Aktionsformen instrumentalisiert und zweckentfremdet. Sie sind zu Komponenten einer top-down-gesteuerten Strategie mutiert, die entscheidende Problemstellungen der Gegenwart und der zukünftigen Entwicklung im lokalen Kontext außer Acht lässt. Dass sich bei etlichen Initiativen, zum Beispiel Schulkooperationen, Unternehmen wie BASG, Vattenfall und die Deutsche Bank engagieren, versteht sich nach der Stiftungsidee von selbst.Politik und Wirtschaft Hand in HandWelche Themen und Inhalte in Kampagnen gegossen werden, entscheiden Stiftungsgremien, die entgegen dem stiftungseigenen demokratiepolitischen Anstrich selbst nicht demokratisch legitimiert sind. Sie ignorieren wichtige Probleme der Kommunen, wie zum Beispiel die Frage des Wahlrechts und der Interessenvertretung von Migranten, die Armut von Kindern und Jugendlichen, die Perspektivlosigkeit der Arbeitslosen, die Isolation und Vereinsamung alter Menschen, die Überlastung des Personals von Schulen und Sozialen Diensten. Stattdessen bedient die Stiftung mit Aktionen wie "Lokale Bündnisse für Familie" Bedürfnisse der Mittelschicht.Durch das Knüpfen von persönlichen und institutionellen Netzwerken in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Medien festigt die Bertelsmann-Stiftung ihren kommunalpolitischen Einfluss. Außer den ihr zur Verfügung stehenden Etatmitteln und dem Netzwerk nützlicher Beziehungen und politischer Kontakte verfügt die Stiftung über ein entscheidendes Erfolgsgeheimnis: ihre personellen und "atmosphärischen" Verbindungen zu den mit dem Konzern verbundenen Unternehmenszweigen: Gruner + Jahr (Zeitungen und Zeitschriften), RTL Group (Film und Fernsehen) und Random House (Buchverlage wie C. Bertelsmann, Siedler, Goldmann und Heyne). Es dürfte nicht allzu sehr verwundern, dass der größte Medienkonzern Europas seine Mittel nutzt, um über die Kampagnen und Projekte zu berichten und für sie zu werben. Die Mechanismen, abweichende oder kritische Positionen im eigenen Hause abzuwenden, wären ein eigenes Thema.Es entsteht die demokratieschädliche Einheitsmeinung der neoliberalen Glaubenslehre, dass die Löhne zu hoch, die Sozialleistungen zu üppig und das Investitionsklima allzu unternehmerfeindlich seien. Infolge ihrer Vernetzungen ist die Stiftung in der Lage, weit in die Medienlandschaft hinein reichende Kontakte herzustellen und für ihre Belange zu nutzen. Ihre Medienpräsenz macht sie umgekehrt auch begehrenswert für das Führungspersonal in Politik und Wirtschaft. Wer in der Mediengesellschaft öffentliche Aufmerksamkeit sucht, erlangt sie nicht zuletzt durch seine Kooperationsbereitschaft gegenüber dem Unternehmen Bertelsmann.Vom 14. bis 16. Juli 2006 findet an der Universität Hamburg ein Kongress zum Thema "Du bist Bertelsmann" - Wie ein globaler Drahtzieher Medien, Bildung und Politik steuert" statt. Veranstalter ist die "AG Demokratie und Information" von Attac Hamburg. Informationen: www.anti-bertelsmann.de; www.medienwatch.de
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