Die Wasserträgerinnen von Sky

Medientagebuch Backlash der Kulturen: Das deutsche Bezahlfernsehen inszeniert neuerdings in seinen Gesprächsrunden Hostessen und sorgt damit für anachronistische Berlusconi-Momente

Ralf Rangnick hat in seinem Fußballlehrerleben schon einiges durchgemacht. Man denke nicht nur an zwielichtige Vorgesetzte wie Gerhard Mayer-Vorfelder oder seine öffentlich breitgetretene Erkrankung am „vegetativen Erschöpfungssyndrom“, die ihn karrieremäßig von einem Champions-League-Teilnehmer (Schalke 04) zu einer österreichischen Sponsorenlachnummer (FC Red Bull Salzburg) relegiert hat. Schon als junger Trainer des SSV Ulm wurde Rangnick mit Symptomen der zähen Rückständigkeit des deutschen Fußballdiskurses konfrontiert, als er im Aktuellen Sportstudio auf vollkommen unprätentiöse Weise das Funktionieren einer raumdeckenden Viererkette erläuterte und sich daraufhin jahrelang ironisch „Professor“ nennen lassen musste.

Letzte Woche saß dieser mediengestählte Profi beim Pay-TV-Sender Sky und nahm mit bedächtigen Wortbeiträgen an der Halbzeitanalyse der Begegnung Real Madrid gegen Borussia Dortmund teil, als er plötzlich durch eine bizarre Formatinnovation des Senders aus dem Konzept gebracht wurde. Niemand hatte den irritierten Rangnick offenbar davor gewarnt, dass Sky seine Fußballgesprächsrunden seit dieser Spielzeit regelmäßig durch einen Berlusconi-Moment würzt: notdürftig als Wassernachfülloperation getarnte Auftritte junger Damen, die der Sender als „Hostessen“ bezeichnet.

Fragen wir zur sicheren Begriffsbestimmung nochmal kurz bei Wikipedia nach: „Eine Hostess ist eine zur Betreuung von Gästen bei Reise- oder Fluggesellschaften bzw. Großveranstaltungen angestellte Frau, von der adäquate Umgangsformen und in der Regel Fremdsprachenkenntnisse verlangt werden. Gerade bei Automessen sind die Hostessen häufig nur knapp bekleidet, um die Aufmerksamkeit der Besucher auf die jeweiligen Stände zu lenken.“

Peinliche Chauvinismen

Es bedürfte nicht des schäbig hochgefahrenen Grinsens des auch rein fußballjournalistisch fragwürdigen Sky-Moderators Patrick Wasserziehr, um zu verstehen, dass es hier eher nicht um Fremdsprachenkompetenz geht. Man muss auch keinen Graduiertenkurs in Gender Studies besucht haben oder sonstwie überdurchschnittlich sensibilisiert sein, um zu erkennen, wie die Regie hier mit gaffend-nachschwenkenden Kamerabewegungen jeden Zuschauer in einen Automessebesucher zu verwandeln versucht.

Bezeichnend an den peinlichen Chauvinismen (oder glaubt der Sender ernsthaft, dass sich dadurch Abonnentenzahlen stabilisieren lassen?) ist, dass sie zu einem generell wahrnehmbaren Backlash-Klima passen. Nach Jahren nachholender Modernisierung, die nicht nur die Einführung international konkurrenzfähiger Taktikkonzepte und entschiedene Investitionen in die Nachwuchsförderung mit sich brachte, sondern eben auch ein tendenziell weniger deutschnational verbohrtes Reden über „Führungsspieler“ und „Tugenden“, müssen ausgewählte Nationalspieler nach Niederlagen jetzt doch wieder erklären, warum sie die schöne Nationalhymne nicht inbrünstig mitsingen.

Wenn die bedauernswert unpraktisch kostümierten Sky-Hostessen wackligen High-Heels-Schrittes die Studiobühne betreten und dann auf die ohnehin noch vollen Wassergläser von intelligenten Gästen wie Rangnick treffen, die in diesem Moment eher betreten als komplizenhaft das Gespräch einstellen, gibt es zumindest noch Hoffnung auf die Einzeltäterthese: Im günstigsten Fall sind es nur die verwirrt kalkulierten Anachronismen eines schlecht beratenen „Premiumsenders“, die hier zur Aufführung kommen.

Simon Rothöhler ist Mitherausgeber der Zeitschrift Cargo – Film/Medien/Kultur

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