Wer am Ende wem ins Netz geht, ist noch nicht so ganz klar. Um so deutlicher ist dagegen, daß es bei den neuesten Fusionen im Telekommunikations- und Medienbereich zwar auch um technisch-wirtschaftliche Vorteile, doch vor allem um die Macht in den globalen Netzen geht. Arcor schluckt den Konkurrenten Otelo, der frühere Büromaschinenhersteller Olivetti will das mit der Telecom Italia tun, der Telefonriese AT übernimmt das IBM Global Network, der Telekom-Ausrüster Nortel mit Bay Networks einen Spezialisten für lokale Computernetze, AOL verleibt sich Netscape ein, der zum General Electric-Konzern gehörende Fernsehsender NBC interessiert sich für den Internet-Suchdienst Lycos, und last not least: Microsoft steigt mit AT ins TV-Kabelgeschäft ein. Bes
Bestätigt haben sich inzwischen auch Gerüchte, daß Microsoft und Bertelsmann mit der Deutschen Telekom über deren Kabelnetz verhandeln. Im Weg stehen einer Einigung die unterschiedlichen Preisvorstellungen.Was sich in einer abstrakten Sicht als Verschmelzung von Kapital mit noch mehr Kapital darstellt, folgt in der Sache jedoch unterschiedlichen Logiken. Wenn Arcor Otelo übernimmt und AT das IBM-Datennetz, dann setzt sich die Logik des technischen Fortschritts durch. Riesige Netze sind heute von einem Zentrum aus verwaltbar und die Übertragungskapazität der installierten Lichtleiter läßt sich jetzt schon verhundertfachen und bald vielleicht sogar vertausendfachen. Die Luft für alternative Netzbetreiber wird dünner. Das Fenster der Gelegenheit für den Netzwettbewerb beginnt sich zu schließen. Bedeutsam wird dann, wer in den Netzen nach der Selbstentmachtung des Staates die Macht in den Händen hält. Olivetti beispielsweise ist nicht mehr als ein ehrwürdiges Firmenschild, dessen sich, wie das Wall Street Journal berichtet, die Investment-Banken Lehman Brothers und Donaldson, Lufkin Jenrette bedienen, die in der Telecom Italia, einem finanziell gesunden Unternehmen mit unterbewerteter Aktie, ein verlockendes Schnäppchen ausgemacht haben.Während die Netzbetreiber mit Fusionen und Allianzen betriebswirtschaftliche Größenvorteile zu realisieren versuchen und die Ausrüster sich bemühen, auf diesem Wege ihr Kompetenzspektrum zu erweitern, befinden sich sachlich weniger gebundene Kapitalfraktionen in einem Wettlauf um die strategischen Punkte im Cyberspace. Wie Duodezfürsten sind die selbsternannten Wegbereiter der Cyberökonomie vor allem damit beschäftigt, Mautstellen zu errichten. Nichts anderes sind die sogenannten Internet-Portale, um die sich die Medienkonzerne jetzt reißen und damit den Börsenwert ihrer Besitzer - Firmen wie Netscape, Infoseek und Lycos - in astronomische Höhen schießen lassen. Dort werden die Surfer mit Werbung zugeschüttet und an die Plätze geleitet, wo ihnen am ehesten Cash zu entlocken ist.Die scheinbar kostenlosen Informationen, die für die Besuchsfrequenz - sozusagen die Einschaltquote - der Portale sorgen sollen, finanzieren am Ende die Verbraucher. Dabei geht es vor allem um Such- und Verzeichnisdienste - sozusagen die Auskunft beziehungsweise das Telefonbuch für den Cyberspace. Eine zentrale öffentliche Einrichtung könnte all das wesentlich effektiver leisten. Statt dessen muß man heute auf eigene Zeit- und Telefonkosten zuerst einmal Werbung herunterladen, bevor man (vielleicht) an die gesuchte Information kommt.Großmeister der Kunst, wehrlose Konsumenten zu melken, war bisher Microsoft-Chef Bill Gates: Wer einen PC kaufen und gar unter Windows seinen Internetanschluß einrichten möchte, dem werden zahllose, teilweise nur schwer vermeidbare Schritte nahegelegt, deren Gemeinsamkeit darin besteht, daß Microsoft dabei Geld oder Geldwertes abgreift. Der Weg ins Freie ist gut zugebaut beziehungsweise versteckt und soll es auch bleiben. Wir dürfen jetzt schon raten, an welchen Orten im Cyberspace diejenigen landen werden, die sich von einer zukünftigen Microsoft-Bertelsmann-Kabelgesellschaft ans Internet anschließen lassen. Durch seine Beteiligungen stellt Gates jedenfalls sicher, daß die Web-TV-Kunden, die am Fernsehbildschirm surfen wollen, in seine Fänge geraten. So sollen die zwischen Kabel und Empfänger geschalteten Set-Top-Boxen, die außer dem Internet-Zugang auch den Konsum von gebührenpflichtigen Angeboten (pay per view) ermöglichen, mit Windows CE laufen, einer geschrumpften Version des bekannten Microsoft-Produkts. So ist es im AT festgelegt und nicht viel anders wird das beim Erfolg der Allianz mit Bertelsmann aussehen.Abgesehen vom Verkauf eigener Produkte, ist aber noch nicht so recht absehbar, was Microsoft mit seinen neuen Aktivitäten beabsichtigt. Bedeuten die fünf Milliarden Dollar, die Gates in AT's Kabelunternehmen pumpt und die vielleicht weiteren fünf Milliarden für das Gemeinschaftsprojekt mit Bertelsmann eine strategische Neuorientierung des Softwareriesen? Wenn ja: steht dahinter mehr die Angst, das Softwaregeschäft könnte vielleicht bald Schaden nehmen oder doch die Überzeugung, daß die Zukunft des Internet das Fernsehen beziehungsweise die Zukunft des Fernsehens das Internet sei? Jedenfalls nur als Option darauf, in den nächsten Jahren zwischen zwei und zehn Millionen CE-Lizenzen zu verkaufen, überzeugt der Deal nicht so recht. Oder weiß Gates einfach nicht mehr, was er mit den Milliarden anfangen soll, die bisher unaufhaltsam in seine Kassen fließen?Fernsehen und Internet, der Empfänger und der PC sollen eins werden, konvergieren, wie es im Jargon der Medienleute heißt, und die Aufrüstung der Kabelnetze soll diesen Vorgang beschleunigen. Die Hersteller von Konsumelektronik versprechen sich von einer neuen Gerätegeneration die Belebung ihres lahmenden Geschäfts und die Medienkonzerne die Beseitigung regulativer Hürden, vor allem jedoch des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, das sich in einer »konvergierten Umgebung« wie ein Fossil ausnähme. Wenn alles eins wird, dann dürften für alles auch nur noch die Gesetze des am schwächsten regulierten Bereichs gelten. So argumentiert auch das Grünbuch zur Medienkonvergenz, das EU-Kommisar Bangemann zum Jahreswechsel 1997/98 veröffentlichen ließ.Ob tatsächlich alles eins wird, ist jedoch höchst ungewiß. PC und Fernsehgerät stehen nicht nur in verschiedenen Zimmern, sondern werden auch ganz unterschiedlich genutzt. Ein Apparat, der dafür gemacht ist, Leuten, die lässig auf dem Sofa lümmeln, bewegte Bilder mit Tonuntermalung vorzuführen, kann andere, die aufrecht sitzend Texte und Graphiken studieren oder gar Manipulationen an ihnen vornehmen, ebenso wenig befriedigen wie der für diese Aufgaben ausgelegte Computerbildschirm die erste Gruppe. Das Entsprechende gilt auch für den Inhalt: Wer Fernsehen in WWW-Seiten abfüllen möchte, mißversteht nicht nur das Medium, sondern wird auch an den technischen Realitäten scheitern. Von einem Netz, das individuellen Videokonsum ermöglicht, sind wir noch weit entfernt - sofern sich das jemals realisieren wird. Und typische WWW-Seiten auf dem Fernsehbildschirm sind wohl eher zum Gähnen. Außer medialem Murks, ästhetischen und ergonomischen Zumutungen bringt der Run der Medienkonzerne in den Cyberspace vor allem eine gigantische Fehlallokation von Kapital: viele Milliarden für überbewertete Portal-Aktien und eine technisch unsinnige Infrastruktur.
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