Opel gehört der Belegschaft, private Banken werden aufgelöst, die großen Industrienationen einigen sich auf weltweite Mindeststeuern und Vermögensabgaben – so steht es schwarz auf weiß in der Zeitung. Jedenfalls in einer ganz speziellen Ausgabe der Wochenzeitung Die Zeit, die am Samstagmorgen in vielen Städten kostenlos verteilt wurde.
Wen die fröhlichen Polit-Utopien nicht schon stutzig gemacht haben und wer eine acht Seiten dünne Ausgabe der sonst massiven Zeitung noch als Auswirkungen der allgegenwärtigen Krise für möglich hielt, stolpert spätestens über das Datum. Denn die acht bunten Seiten kommen direkt aus der Zukunft, die vermeintliche Zeit erscheint erst am 1. Mai 2010.
Zwei Monate Vorbereitung
„Am Ende des
nate Vorbereitung„Am Ende des Tunnels“ ist die Überschrift, die Texte künden von einer friedlicheren Welt, in der das Klima geschützt und die Finanzwirtschaft kontrolliert wird, in der Atom und Kohle als Energielieferanten ausgedient haben und Gentechnik verteufelt wird. Insgesamt 150.000 Exemplare der täuschend echt nachgemachten „Zeit“ haben die Attac-Aktivisten drucken lassen, finanziert durch Spenden, die im Vorfeld gesammelt wurden. In mehr als 90 Städten hat das Netzwerk die visionäre Propaganda verteilt, allein in Berlin sollen Aktivisten über 10.000 Plagiate ausgegeben haben.Die derzeitigen Berichte über die weltweite Wirtschaftskrise, über Hunger- und Klimakatastrophe würden viele Menschen hilflos zurücklassen, sagt Jutta Sundermann, die für Attac zur Blattmacherin wurde. „Wir haben deshalb die Zeit weitergedreht und die Nachrichten verfasst, die wir morgen lesen wollen - nicht über ein fernes Paradies, sondern über konkrete Verbesserungen, die denkbar und erstreitbar sind.“ Zwei Monate wurde an einer Zeitung gearbeitet, mit Nachrichten, zu schön, um wahr zu sein.Keine offensichtliche SatireDie Zeit haben sich die Globalisierungskritiker als Vorlage ausgesucht, weil sie im ganzen Bundesgebiet gleichermaßen gelesen wird und meinungsbildend wirkt. Zwar kämen auch in der echten Zeit ökologische Themen vor. „Aber ganz harmlos ist Die Zeit nicht, gerade Wirtschaftsthemen werden oft unkritisch behandelt, Kapitalinteressen stärker repräsentiert als die Interessen von Arbeitnehmern oder Erwerbslosen“, sagt Fabian Scheidler, Attac-Aktivist und Möchtegern-Zeit-Redakteur.In der optimistisch-visionären Zeit gibt es die kritischen Wirtschaftsthemen, zum Beispiel schreibt der Journalist und Autor Harald Schumann über die „Zeit der Abrechnung“, über die G-20-Staaten und ihre Maßnahmen für eine gerechtere Welt durch Vermögensabgabe und Mindeststeuern. Ein Text, wie er vom ernsten und staatstragenden Tonfall durchaus auch in der echten Zeit stehen könnte – offensichtliche Satire findet in den Artikeln nicht statt, es geht ernst zu. Offensichtlicher wird der Stunt in der abgedruckten Werbung.Auch online gibt es eine AusgabeDer Lebensittelkonzern Nestle entschuldigt sich darin angeblich für „Schaumschlägereien“ und rückt von Gentechnik ab, die Initiative Neue Soziale Marxwirtschaft macht sich für die Kontrolle der Finanzmärkte stark. „Natürlich wollen wir damit anecken. Sonst bewegt man politisch ja nichts. Das ganze ist aber auch klar als Satire erkennbar, daher befürchten wir rechtlich nicht allzu viel.“, sagt Fabian Scheidler.Nachgemacht haben die Aktivisten auch den Webauftritt der Hamburger Wochenzeitung, unter die-zeit.net gibt es die Artikel zu lesen und das komplette Plagiat zum PDF-Download. Außerdem soll die Attac-Zeit am Montag der taz beiliegen.Inspiriert wurden die Polit-Aktivisten von einer ähnlichen Aktion in den Vereinigten Staaten. Im November hatte eine täuschend echte Ausgabe der New York Times aus der Zukunft Tausenden Amerikanern erklärt, dass der Irak-Krieg endlich vorbei sei – und Ex-Präsident Bush angeklagt wegen Hochverrats, der in einem vermeintlichen Interview den Einmarsch von US-Truppen in den Irak als schweren Fehler bezeichnet. Urheber der friedlich-freundlichen Zukunftsvision waren unter anderem die Polit-Aktivisten-Truppe „The Yes Men“. 1,2 Millionen Exemplare haben sie nach eigenen Angaben vor allem in New York und Los Angeles unter die Leute gebracht.Zeit-Verlag will sich nicht wehrenAuf der Website von „Zeit Online“ werden die Leser unterdessen über den Doppelgänger informiert. Von der Aktion habe man bei der „Zeit“ nichts gewusst, Fälschungen könne man natürlich nicht gutheißen, sagt Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, lobt aber die hohe Qualität der Fälschung. „Am meisten staune ich aber über den großen Aufwand, den man sich hier geleistet hat“, heißt es weiter. Am Samstagabend will die ZDF-Nachrichtensendung „heute“ di Lorenzo zu dem Medienstunt befragen. Auf „Zeit Online“ wird den Lesern schließlich noch beinahe kleinlaut versichert, man hoffe, „dass die globale Finanzkrise zum Entstehen einer nachhaltig orientierten, umweltfreundlicheren Marktwirtschaft führe“.Die Hamburger Zeitungsboten von Attac statteten nach ihrer Verteilaktion in der Innenstadt der echten Zeit einen Besuch ab, um einen erklärenden Brief zu übergeben. Im Pressehaus am Speersort habe man der Rezeptions-Besetzung das Schreiben und ein Exemplare der Fälschung übergeben, so Sundermann. Eine weitere Zeitung habe die Dame am Eingang gleich selbst behalten. Der Verlag ließ unterdessen verlauten, das man rechtliche Schritte gegen die Kopisten ausschließe.