Ein Geäst aus Stahl

Thriller Der Film „Drug War“ des Hongkong-Regisseurs Johnnie To ist auf DVD erschienen - ein Meisterwerk des Genres, das man gerne im Kino gesehen hätte
Ausgabe 08/2014
Ein Geäst aus Stahl

Bild: Trailer

Neblig-diesig liegt das chinesische Hinterland da, aus einem Haus steigt Rauch. Ein Wagen entfernt sich hektisch von der Szene, der Fahrer ist offensichtlich nicht ganz bei Sinnen. Er fährt in die Stadt, crasht mit Karacho einen Laden, überlebt und landet in Polizeigewahrsam.

Man kennt von Hongkong-Regisseur Johnnie To die Großstadt, oft melancholisch kalt inszeniert, als zentrale Kulisse. Neu ist das weite Land, die Leere der Provinz, die Menge an bewölktem Himmel, das von keinen Hochhäusern eingeschränkte Panorama. Und da der seit den neunziger Jahren für seine intelligenten, komplex konzipierten Actionthriller weltweit auf Festivals mit Recht gefeierte Filmemacher ohne Weiteres als gewitztes Schlitzohr angesehen werden darf, dürfte es kaum ein Zufall sein, dass sein erster fürs chinesische Festland gedrehter Cop-Thriller den Transit zwischen Land und Stadt auffällig häufig in den Blick nimmt.

Drug War kreist einmal mehr um das klassische Hongkong-Motiv der zwei Männer, die einander von unterschiedlichen Seiten des Gesetzes aus in einem kalten Ballett aus Fassaden und verdeckten Interessen umkreisen. Der Mann aus dem Auto ist ein Player mittleren Rangs im Drogengewerbe namens Timmy Choi (Louis Koo), den der mit so einer faszinierend steinernen wie wandlungsfähigen Visage gesegnete Ermittler Zhang Lei (Honglei Sun) eiskalt vor die Wahl stellt: Kooperation oder Todesstrafe. Aus der Frage, ob Choi so rasant einwilligt, weil er schlicht seine Haut retten will oder Weiteres im Schilde führt, bezieht der hochkonzentrierte Film ein Gutteil seiner Spannung. Seine Wucht entlädt Drug War erst spät, doch effektiv.

Johnnie Tos zuweilen stilisierte urbane Ästhetik weicht hier einem schmutzigen, unübersichtlichen Realismus, dessen Bildern es, im Gegensatz zu vielen anderen Thriller aus dem Dunstkreis Hongkongs, an Oberflächenfetischisierungen erheblich mangelt. Die ausgestellte Coolness ist kaum als cool im Sinne von Genre-Posen zu verstehen. Eher handelt es sich um abgebrühtesten Professionalismus bis in die kleinsten Gesten: Ob ein Handy in voller Fahrt von einem Wagen zum anderen durchs Fenster fliegt, einem Drogenboss (in einer ziemlich großartigen Szene) Komödie vorgespielt wird oder (noch so ein umwerfender Moment) Schiffe durch den Hafen dirigiert werden.

To hat seinen Meister eingeholt

Mit aufmerksamem Blick seziert To die Ermittlungen, folgt all ihren Bewegungen, ohne sein Interesse je ins Pathos der Emphase kippen zu lassen. Blickte To als Schüler lange zu Jean-Pierre Melville, dem Meister des kalten französischen Polizeithrillers, auf, ist er spätestens jetzt ein ebenbürtiger Nachfolger im aktualisierten Gewand.

Den undurchdringlichen Figuren entsprechend ist der Film auf bestimmte Weise undurchdringlich: To geht dicht heran, zahlreiche Querverstrebungen kreuzen das tiefengeschichtete Bild – wenn sich die Schiffe im Hafen in besagter Szene in Bewegung setzen, wirkt das für einen Moment wie ein Geäst aus Stahl, das sich durchs Wasser pflügt. Eine Meisterleistung filmischer Orientierung ist ndes der ruppige Showdown, der gerade nicht auf Übertölpelung des Zuschauers durch hochfrequenten Schnitt und Wackelkamera, sondern auf physische Relationen, lange gehaltene Einstellungen und wie Bolzenschläge klingende Pistolenschüsse setzt.

Kurz, hier ist ein Meisterregisseur auf der Höhe seiner Kunst am Werk. Bedauerlich an der DVD-Premiere ist allein, dass dem Film in Deutschland keine Auswertung im Kino beschieden war.

Drug War Johnnie To Koch Media, 106 Min.

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Geschrieben von

Thomas Groh

lebt in Berlin und schreibt über Filme.

Thomas Groh

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