Ägypten Nach dem Sturz von Mohammed Mursi schauen die Menschen gebannt und unsicher nach Kairo. Unser Reporter hat die Städte Luxor, Port Said und Alexandria besucht
In Luxor warten die Fremdenführer vergeblich auf Kundschaft. Touristen halten sich fern
Foto: Tuul/ Hemis/ Laif
Seit 30 Monaten schon hat Fremdenführer Mohammed Mahmoud die Ruinen des Medinet-Habu-Tempels am westlichen Ufer des Nils fast für sich allein. Die Touristen, die einst in Scharen hierher strömten, kommen nicht mehr. Selbst die Ägypter verzichten darauf, ihr reiches Erbe zu bestaunen. Kein Wunder, wenn auf der anderen Seite des Flusses die Hotels von Luxor zu weniger als fünf Prozent ausgebucht sind. Dass sich die Lage zum Guten wendet, erwartet niemand. Pferdekarren stehen untätig in der Gegend herum. Souvenir-Shops haben die Läden heruntergelassen, Restaurant-Schiffe liegen vertäut im Wasser. Der Einbruch, den der ägyptische Fremdenverkehr nach dem Sturz Mubaraks im Februar 2011 erlebt hat, ist in Luxor so offensichtlich wie nirgendwo sonst im
im Land. Gleiches gilt für die Angst, die politische Situation könnte völlig außer Kontrolle geraten.Die meisten Bewohner der Stadt – besonders, wenn ihr Lebensunterhalt vom Tourismus abhängt – haben die Absetzung Mohammed Mursis und die Verdrängung seiner Muslim-Brüder ebenso begrüßt wie den Aufstieg Mohammed el-Baradeis zum Vizepräsidenten. Schon Mursis Wahl im Juni 2012 war in der Stadt mit Skepsis quittiert worden, gab es doch danach Entscheidungen, die den ökonomischen Aderlass nur beschleunigen konnten. Vor zwei Monaten war mit Adel al-Chajat ein Mann zum Gouverneur von Luxor ernannt worden, der als Mitglied der islamistischen Gamaa Islamija für ein Massaker verantwortlich gemacht wird, bei dem in Luxor 1997 62 Menschen, größtenteils ausländische Touristen, ums Leben kamen. Die wenig sensible Nominierung löste einen Sturm der Entrüstung aus, wurde zurückgenommen und galt als Beweis für Mursis mangelndes Urteilsvermögen.Nirgends ein As-Sisi-PlakatEigentlich wussten die Muslimbrüder nie so recht, wie sie mit der 5.000 Jahre alten vorislamischen Geschichte des Landes umgehen sollten, deren Zeugnisse über die Wüsten Ägyptens verstreut liegen. Es war kaum damit zu rechnen, dass sich die Bruderschaft für die Tourismusindustrie sonderlich engagieren würde. Genauso kam es. Wird sich das jetzt etwa ändern? Während heißer Wüstenwind durch die Tempelstadt weht, meint Fremdenführer Mahmoud, er glaube, es werde noch viel Ärger geben. „Ägypten hat nur eine Zukunft, wenn es zur Aussöhnung kommt. Wenn nicht, werden wir hiervon noch mehr erleben.“ Er zeigt auf den leeren Platz vor einem leeren Tempel.Auf einer der über 5.000 Jahre alten Wandmalereien ist ein Pharao neben dem ausgekratzten Gesicht seines Rivalen zu sehen. Seinerzeit waren die osmanischen Seevölker in Ägypten eingefallen, um das reiche Land am Nil zu unterwerfen. Eine andere Freske zeigt ein Bündel von Zungen, die aus Mündern geschnitten wurden, um Menschen zum Schweigen zu bringen. Die Botschaft: Herrscher und Regime kommen und gehen. Es war in der ägyptischen Geschichte nie anders. Danach geschah für gewöhnlich immer das Gleiche: Das Erbe der Verlierer wurde ausgelöscht.Mursis kurze Regierungszeit ist in dieser Geschichte zwar nur eine winzige Episode, doch sie könnte an Bedeutung gewinnen, sollten seine Anhänger von dem ausgeschlossen bleiben, was folgt. „Eine Gruppe wie die Bruderschaft kann man unterdrücken, aber nicht zum Schweigen bringen wie ein Bündel von Zungen“, meint Harrass, ein anderer Fremdenführer ohne Arbeit. „Um ihre politische Rolle zu spielen, müssen sie nicht auf die Straße gehen. Das geht auch anders.“Luxors Islamisten halten sich seit dem Putsch vom 3. Juli zurück. Keiner ist bereit, ein Interview zu geben. Wer nach dem Grund fragt, erhält keine Antwort. Anders als in Kairo gibt es keine Meetings, auf denen Mursis Rückkehr gefordert wird. Demonstrationen gegen Armeechef Abd al-Fattah as-Sisi bleiben ebenfalls aus. Auch dessen Sympathisanten halten sich zurück. Nirgends ein Plakat mit dem Konterfei des Generals, die sonst überall zu sehen sind. „Touristen bewerten die Sicherheit Luxors, indem sie Kairo zum Maßstab nehmen. Doch Kairo ist eine politische Stadt, Luxor nicht. Aber wer als Gast nach Ägypten kommt, der glaubt, Kairo ist überall, und rechnet mit Unruhen oder einem Anschlag“, meint Harrass.Es gibt auffallend viele Militärpatrouillen in Luxor – Tag und Nacht. Vor dem Gebäude des neuen Militärgouverneurs schlafen Dutzende Soldaten im Schatten ihrer Lastwagen. „Wie Sie sehen, ist die Armee immer an der Seite des Volkes.“ Mehr will Harrass nicht sagen und wendet sich wieder seinen dahinsiechenden Geschäften zu.Schon immer verfolgtDie rote Ballon-Riese ist in sich zusammengefallen und der gelbe total kollabiert. Aber es gibt noch ein paar Dutzend andere aufblasbare Figuren, die an der Strandpromenade von Port Said wie betrunkene Flaneure hin und her schwanken, weil sie der Wind vom Suezkanal in Bewegung hält. Dahinter sind Laken gespannt, auf denen zu lesen ist: Kein Putsch, sondern Revolution! Wer hält sich daran? Im Moment ist in dieser Stadt am Kanal nur eines sichtbar: Die alte Garde – von den Muslim-Brüdern gern auch „tiefer Staat“ genannt – ist wieder da. Graue Marineschiffe liegen vor Anker, während Schleppkähne Autos über die enge Wasserstraße nach Port Fouad transportieren. Zeitungsjungen schreien Schlagzeilen aus sich raus, in denen immer von „Ruhe und Kontrolle“ angesichts des „islamistischen Terrors“ die Rede ist.Die bis zum 3. Juli in Port Said einflussreichen Islamisten haben sich in ihre Moscheen zurückgezogen. Niemand riskiert den Aufruf zu einer Demonstration, seit in Kairo so viele der eigenen Leute bei Aufmärschen ums Leben kamen. „Was dort gerade passiert, ist nur der Anfang“, sagt ein bärtiger Mann im Stadtzentrum. „Sie werden uns holen, egal, wo wir sind. Jeder Vorwand wird ihnen recht sein.“ Scheich Scharif Abdul Berri sitzt vor seiner Moschee und mahnt die 200 Männer, die vor ihm stehen, zur Ruhe. „Habt Geduld“, sagt er. „Muslime wurden schon früher verfolgt. Und Muslime werden jetzt verfolgt. Es wird nie anders sein. Gott gebietet uns, nicht darauf zu achten. Ihr müsst mit eurem Herzen dem rechten Pfad folgen.“Später, im Vorraum der Moschee, der dem Scheich als Büro dient, sagt er noch: „Wir sind einer politischen Krise ausgesetzt, in der keine Regeln mehr gelten. Die Armee fordert zu Ruhe und Demokratie auf, tut aber selbst nichts dafür. Wir haben uns auf diesen demokratischen Prozess eingelassen, obwohl wir Bedenken hatten. Wir sind zu den Wahlurnen gegangen und müssen nun darauf bestehen, dass die Armee nicht alles zunichte machen darf.“ Seiner Meinung nach sollte sich die Bruderschaft Neuwahlen gegenüber verweigern. „Wenn wir uns ihnen anschließen, verleihen wir Wahlen Legitimität. Aber Wahlen sind in diesem Land nichts wert. Jeder kann sehen, dass Ägypten sich noch immer unter der Kontrolle von Mubaraks Staat befindet. Der ist nie wirklich verschwunden.“Die zu neuem Leben erwachte alte Garde lässt sich in Port Said, das von dem 160 Kilometer langen Kanal lebt, schwerlich übersehen. Im Straßenbild sind die Zivilbeamten der verschiedenen Sicherheitskräfte wahrlich omnipräsent.„Die fühlen sich jetzt so wohl wie schon lange nicht mehr“, sagt Mohammed Atef an der Moschee. Seit dem Mubarak-Sturz im Februar 2011 war Port Said für Sicherheitsagenten ein gefährliches Pflaster. Am 1. Februar 2012 wurden bei Zusammenstößen rivalisierender Hooligans 74 Menschen getötet und fast 1.000 verletzt. Die meisten Toten waren Fans des Fußballvereins al-Ahly in Kairo, dessen Anhänger eine wichtige Rolle in der Protestbewegung gegen Mubarak spielten. Die blutige Nacht von Port Said galt als Rache für den Aufruhr in Kairo. Wenn jetzt die Geheimpolizei auf die Straßen der Stadt zurückkehrt, hat sich ein Kreis geschlossen.In einem Café im Marktviertel wird der Ton des Fernsehers aufgedreht, als der Armeesprecher auf dem Bildschirm erscheint, um eine Erklärung für den Tod von mehr als 50 Muslim-Brüdern bei den Zusammenstößen vom 8. Juli abzugeben. „Glaubt ihr, die haben wirklich die Republikanischen Garden angegriffen?“, fragt einer der Kellner. Im Lokal antwortet ihm niemand. Auf der Straßenseite gegenüber steht ein gepanzertes Fahrzeug. Soldaten blicken gelangweilt umher. Neben ihnen lehnt sich ein Mann in Zivilkleidung gegen den Kofferraum eines Pkw und blickt in Richtung Café.Panzer vor der BibliothekEine Kolonne von mit Panzern beladenen Sattelschleppern schiebt sich behäbig durch das marode Zentrum Alexandrias, wo ein Wirrwarr aus verwitterten, niedrigen Gebäuden, hoch aufragenden neuen Hotels und Überresten des antiken Ägyptens zum Mittelmeer zeigt. Der Tross hält schließlich vor der Zentralbibliothek, einer Rekonstruktion aus verflossenen Zeiten und damit eine Touristenattraktion der Stadt. Seit dem Sturz Mursis dient das Gebäude den wieder erstarkten Sicherheitskräften als Drehkreuz für ihre Operationen.Ein Mann mit einem Megafon hat sich vor der Bibliothek aufgebaut und ruft: „Die Armee, die Polizei und das Volk sind eine Hand. Erlaubt nicht, dass die Feinde der Revolution die Revolution übernehmen.“ Als seine heisere Stimme lauter und rauer wird, schwanken die Reaktionen der Zuhörer zwischen Trotz, Empörung und Zustimmung. „Du bist ein Amerikaner“, schreit eine Frau, ihre Stimme zittert vor Wut. Andere Frauen haben Mühe, sie wieder zu beruhigen. Vor ihren Augen gehen die Panzer, die von den Tiefladern rollen, an allen Zugängen des Viertels in Stellung. Gruppen von Geheimpolizisten sind zu sehen. Die Buhmänner der ersten Revolution sind nun die Bannerträger der zweiten. Diese neue Allianz zwischen der alten Garde Mubaraks und den säkularen Revolutionären, die noch vor einem Jahr erbitterte Gegner waren, ist spannungsgeladen. Sie wird nur durch den Willen zusammengehalten, Mursi und sein Lager für immer von der Macht zu verbannen. Daraus wird kein Bündnis der Zukunft.Khaled al-Qabi, der in Alexandria die Tamarod-Bewegung mit ins Leben gerufen hat, die seit April die Proteste zum Jahrestag von Mursis Amtsübernahme organisierte, stört das nicht. „Jetzt arbeiten erst einmal alle zusammen für ein gemeinsames Ziel. Mit der Zeit wird die alte Garde zur Rechenschaft gezogen. Wir werden das Innenministerium und den Staat überhaupt von allen korrupten Elementen säubern. Daran hat sich seit der Revolution gegen Mubarak nichts geändert. Wir wollen eine säkulare und zivile Demokratie.“ Die alte Stadt Alexandria hat das alles schon einmal und schon oft gesehen, das Kommen und Gehen der Mächtigen und derer, die sich für mächtig hielten.
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