Entscheidend sind die Köpfe

Rechtsextremismus Nach dem NSU-Skandal will die SPD sogenannte Hasskriminalität härter bestrafen. Doch das Unterfangen ist kompliziert – und neue Gesetze nützen wenig
Motiv Hass: Beim Urteil gegen eine Neonazi-Gang in Dresden vor einigen Wochen schien die Sache klar
Motiv Hass: Beim Urteil gegen eine Neonazi-Gang in Dresden vor einigen Wochen schien die Sache klar

Foto: Sean Gallup / Getty Images

Ein Taxifahrer, der von einem Passanten zusammengeschlagen wird, 30 Rechtsextreme, die einen Jugendclub überfallen, ein Sprengsatz vor einer Pizzeria, Hakenkreuze an der Wand einer Moschee: Schon mehr als 50 solcher Fälle hat das Internetportal „Mut gegen rechte Gewalt“ seit Jahresbeginn dokumentiert. Angriffe auf Menschen dunkler Hautfarbe, auf linke Jugendliche, Obdachlose und Antifaschisten, Anschläge auf Imbisse, interkulturelle Wohnprojekte und Linke-Parteibüros – seit der Selbstenttarnung des Nationalsozialistischen Untergrunds ist auch die alltägliche rechte Gewalt ins Blickfeld der Parteien gerückt. Nun fordert die SPD öffentlichkeitswirksam höhere Strafen.

Die Bundestagsfraktion und der Bundesrat haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem sogenannte Hasskriminalität härter bestraft werden soll. Dazu fordern sie eine Änderung des Strafgesetzbuches. Gerichte sollen künftig „rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende“ Motive des Täters stärker berücksichtigen und entsprechend höhere Strafe verhängen. Das richtet sich gegen rechte Gewalt, ist allerdings unter Juristen durchaus umstritten. Denn auch nach geltendem Recht sieht das Strafgesetzbuch vor, dass die „Beweggründe und Ziele“ des Täters und die „Gesinnung, die aus der Tat spricht“ bei der Zumessung der Strafe berücksichtigt werden. Beruht die Tat auf Vorurteilen oder auf Hass gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen, kann das zu einer höheren Strafe führen. Unklar ist jedoch, wie oft die Gerichte solche Gründe tatsächlich einbeziehen. Jedenfalls finden sich nur sehr wenige Urteile, in denen dies ausdrücklich als Begründung für eine höhere Strafe genannt wird.

Unscharfe Begriffe

Ein Hauptgrund dürften die unscharfen Begriffe sein, mit denen die Debatte um Hasskriminalität geführt wird. Die Formulierung des SPD-Entwurfes hilft da wenig weiter. So ist die Rede von „fremdenfeindlichen“ Motiven – ein Ausdruck, der von Betroffenen scharf kritisiert wird, vor allem, wenn er als Synonym für Rassismus verstanden wird. So betont etwa die Media-Watch Organisation „der braune mob“, fremdenfeindlich sei eine Tat nur, „wenn sie gegenüber einem Fremden verübt wurde, etwa einem Touristen. Ein Politiker oder Lehrer, der seit 20 Jahren in der Gegend wohnt, ist kein Fremder.“

Der Begriff „Rassismus“ ist dagegen zwar wissenschaftlich klar definierbar, umfasst aber viele Opfergruppen rechter Gewalt nicht: Obdachlose, Homosexuelle, Menschen mit Behinderung. SPD und Bundesrat wollen das mit der Formulierung „sonstige Menschenverachtung“ auffangen. Doch das sei zu unbestimmt, kritisiert der Rechtsanwalt Peer Stolle. Schließlich könne damit fast jede Form von Gewalttaten gemeint sein. In seiner Stellungnahme für den Rechtsausschuss des Bundestages betont er, damit werde „das besondere Charakteristikum von Vorurteilskriminalität, die sich immer gegen Minderheiten richtet, die über keine oder nur geringe gesellschaftliche Durchsetzungskraft verfügen, ausgeblendet“.

Der Rechtsanwalt Oliver Tolmein, der sich für den Gesetzentwurf ausspricht, schlägt vor, die rechtlich anerkannten Diskriminierungsmerkmale zu verwenden, die sich auch in anderen Gesetzen finden. Berücksichtigt werden könnten dann rassistische Beweggründe und solche, die sich gegen die religiöse oder weltanschauliche Zugehörigkeit des Opfers richten, gegen seine Behinderung oder sexuelle Orientierung.

Vorurteile übersehen

Doch selbst wenn Gerichte juristisch klare Vorgaben hätten, würde das wenig ändern. Human Rights Watch schildert zahlreiche Fälle, in denen vorurteilsbedingte Motive bei den polizeilichen Ermittlungen übersehen wurden. Etwa weil Beamte „ihre Aufmerksamkeit beharrlich auf das Opfer konzentrierten, indem sie zum Beispiel besonders von ausländischen Opfern oder Opfern mit Migrationshintergrund forderten, Ausweispapiere vorzulegen“ und weder Zeugenaussagen aufnahmen noch weitere Untersuchungen einleiteten.

Und wenn ein Fall von der Polizei nicht als „Hasskriminalität“ registriert wird, ist es unwahrscheinlich, dass Staatsanwalt und Gerichte im weiteren Verfahren vorurteilsbedingte Beweggründe erkennen und darauf eingehen. Höhere Strafen anzudrohen, ist deshalb wenig erfolgversprechend. Entscheidend sind die Köpfe von Polizisten, Staatsanwälten und Richtern.

Annelie Kaufmann schreibt zu rechtspolitischen Themen und lebt in Hamburg

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