Estradas Gebete

KOMMENTAR Geiseldrama geht in die Verlängerung

Ohne Zweifel, die 25 Millionen Dollar aus Libyen hätten die Geiselnahme von Abu Sayyaf nachdrücklich als unternehmerisches Modell für ein südphilippinisches Notstandsgebiet empfohlen. Man hätte das aus Sicht der Rebellen als respektable Rendite für einen gelungenen Coup verbuchen dürfen. Nachahmung erwünscht. Kein Wunder, wenn die philippinische Regierung in Sachen Staatsautorität einen irreparablen Prestigeverlust fürchtete und deshalb Bedingungen stellte, die den Geiseln nun eine Verlängerung ihres Dschungelarrestes aufbürden.

Dass die Libyer nur allzu gern den Nimbus des Befreiers in Anspruch nehmen wollten, wäre für Manila wohl zu verkraften gewesen. Dass sie aber gleichzeitig als selbstlose Entwicklungshelfer der muslimischen Rebellen einen eisernen Fuß in die philippinische Tür zu stellen gedachten, schien vorrangig der Armeeführung entschieden zuviel. Warum aber haben Präsident Estrada und Unterhändler Aventajado die Hand des unerwünschten Maklers überhaupt angenommen, als sie sich ihnen entgegenstreckte. Man wusste schließlich, Oberst Ghaddafi war spätestens seit 1976 mit im Spiel. Seit erstmals ein Autonomie-Abkommen zwischen dem Guerilla-Verband MNLF und der Regierung in Manila ausgehandelt wurde, hat Libyen den religiös unterlegten Bruderbund mit den Rebellen gepflegt und kein Hehl daraus gemacht, dass es eine Unabhängigkeit der Moros auf den Südphilippinen für legitim hält. Manila konnte das kaum in Entzücken versetzen. Andererseits durfte man gewiss sein, die libysche Tuchfühlung mit der Guerilla sicherte der Regierung jederzeit einen letzten Verhandlungsdraht, sollten die Kontakte einst völlig versiegen.

Aber auch dies liefert noch keine überzeugende Erklärung für die jüngste Annahme einer libyschen Vermittlung. War sie als Köder willkommen, um Abu Sayyaf aus der Reserve zu locken? War sie gar als Katalysator einer gewaltsamen Lösung gedacht? Was sprach schließlich dagegen, im Fall einer beschleunigten Freilassung der Geiseln Jolo sofort einer Operation der Armee zu unterwerfen, um Abu Sayyaf so vernichtend zu schlagen wie im Juni die Unabhängigkeitsbewegung MILF? Wer genau hinhörte, als Präsident Estrada beim letzten Sonntagsgebet in Manila einen Militäreinsatz gegen Abu Sayyaf mit Hinweisen auf die Bibel rechtfertigte, der brauchte das Statement von Unterhändler Aventajado nach den vorerst gescheiterten Gesprächen auf Jolo nicht mehr abzuwarten. Die Armee ist mehr denn je auf eine militärische Revanche gegen Abu Sayyaf erpicht, weil sie sich um so ohnmächtiger fühlt, je länger die Geiselaffäre dauert. Schließlich kann sich die ganze Welt seit fast drei Monaten davon überzeugen, wie man sich durch Kompromisslosigkeit in eine Ohnmachtsfalle manövriert, aus der es immer nur den einen Ausweg gibt - Geiseln und Geiselnehmer ziehen zu lassen.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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