Fallende Groschen

ASPHALTPFLANZE Uli Becker hat mal wieder siebzehnsilbige Hauptstadt-Haikus geschrieben

Uli Becker hat die Gedichtform Haiku lieben gelernt. Der 1953 geborene Westfale, seit 1979 Wahlberliner, schrieb zwar schon immer kurze und lange Gedichte, aber seit dem Buch Frollein Butterfly. 69 (!) Haiku von 1983, in dem es natürlich um die Liebe ging, liebt er diese Form. Ein Stück daraus wird bald wieder sehr aktuell: "Sektkorken knallen / tief in die Augen ein Blick / Frohes neues Ja".

Dass Gedichte, auch kurze siebzehnsilbige, wie Fehler oder Liebe, "gemacht" werden, das schrieb Uli Becker auch 1993 in seinem Trick 17, kurzgefaßt, dem Nachwort seiner im Augsburger MaroVerlag erschienenen Fallenden Groschen. Darin findet man Asphalt-Haiku, dem Großstadtdschungel verhaftet, ganz anders als die japanische Tradition, die immer in der Natur rumhängt.

Im Dezember 2000 ist der "Trick 17" noch weit kürzer als in einem Nachwort gefasst: "Erste Zeile fünf, / die zweite sieben Silben -/ dritte wieder fünf!", und das Ganze steht auf der Umschlagrückseite seiner neuesten Haiku-Produktion. Dr. Dolittles Dolcefarniente heißt es und ist vor kurzem erschienen.

Es ist der Kontrapunkt zu den Asphalt-Haiku der Fallenden Groschen, denn, geschrieben in der ländlichen Abgeschiedenheit eines italienischen Fischerdorfes oder so ähnlich, sind hier eben nicht die Soziali- und Banalitäten im Hauptstadtdschungel Thema, sondern die Ruhe und Schönheit von Pflanz und Getier. Rückzug aufs Land? Idylle gefunden?

Pustekuchen: Auch diese "Siebzehnsilber", wie Becker die von ihm betriebene Gattung bezeichnet sehen möchte, verraten nicht den Kopf an den sonnigen Himmel und die warme Erde, denn: "Als Asphaltpflanze / macht man sich keinen Begriff, / was da kreucht und fleucht!", und so ist aller und alter Beckerscher Doppel- und Hintersinn entgegen diesem scheinbaren Ruckzug auf Land Idylle auch in den neuen Texten beibehalten. "Oha, ein Täubchen, / das träg auf dem Ölzweig hockt: / Der Frieden ist faul."

Die in westliche Sprachen adaptierte japanische Haiku-Tradition wende die Siebzehnsilber zu genuinen Denkbildern, zu short short stories, schreibt Uli Becker im Nachwort. Und damit ist "der Siebzehnsilber" vielleicht die kürzeste Form formvollendeter Literatur. Ein Beispiel noch: "Sperr ein letztes Mal / Augen, Mund und Nase auf - / mitnehmen geht nicht!".

Den Rest müssen Sie selber nachlesen. Und kaufen, denn dies ist eine Besprechung mit Aufforderungscharakter: Kaufen Sie dieses Buch in der Buchhandlung Ihres Vertrauens. Vorne, an der Kasse, der Stapel. Und schnell, sonst ist's weg. Ausverkauft. Einfach ausverkauft.

Uli Becker: Dr. Dolittles Dolcefarniente. In achtzig Haiku aus der Welt. Maro-Verlag, Augsburg, 2000, 91 S., 24,- DM

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