Der Film beginnt mit einem ingenieurshaften Bild: eine Düse an einem Wasserkraftwerk im Nordwesten der USA. Rostig-braunes Metall und grauer Beton, ein technisches Ding in Großaufnahme. Erst tröpfelt nur wenig Wasser aus der Düse, dann fließt immer mehr, schließlich schießt es mit voller Wucht und maximalem Druck heraus. Es sprüht und prasselt, hart, fest und ohrenbetäubend. Die Düse am Staudamm, das ist auf der einen Seite ein nüchternes und profanes Bild, auf der anderen aber auch eine filmische Metapher, ein Emblem, das den gesamten Film in sich birgt und vorwegnimmt. Die Düse, aus der das Wasser schießt, das ist Druck und Gewalt, und man könnte weiter assoziieren: Wasserwerfer, Polizei, Protest. Und um genau solche F
e Fragen geht es in Night Moves, um systemische Gewalt und politischen Protest, und darum, welche Formen physischer Gewalt und psychischen Drucks dieser Protest wiederum zur Folge haben kann. Der Film, der mit dem Bild einer Düse beginnt, ist ein Film über Druck.Night Moves ist der vierte Film von Kelly Reichardt, der im Bundesstaat Oregon spielt, inmitten weiter Landschaften und dichter Wälder. Der grüne Pacific Northwest mit seiner noch nicht ganz zersiedelten Natur ist das Gegenstück zum suburban sprawl und dem McDonald’s-Einerlei, das in den Vereinigten Staaten zumeist wuchert. Hier leben Josh (Jesse Eisenberg), Dena (Dakota Fanning) und Harmon (Peter Sarsgaard) in mehr oder weniger alternativen Wohn- und Arbeitszusammenhängen, auf verrumpelten Grundstücken, zwischen grünem Kohl und gelbem Kürbis.Der stille BrüterDie drei kennen sich kaum, haben aber ein gemeinsames Ziel: Sie wollen ein Zeichen setzen gegen Umweltverschmutzung und Raubbau an der Natur, gegen Kapitalismus und Konsumismus. Fische müssen sterben, damit wir iPod hören können, klagt Josh an einer Stelle. Deswegen der Plan, den Staudamm in die Luft zu jagen – der Blick auf die Düse am Anfang ist ein Auskundschaften: Boom, endlich mal was tun, eine konkrete Aktion starten.Die erste Hälfte von Night Moves erzählt von den Vorbereitungen dieses Anschlags und funktioniert dabei wie ein Thriller, extrem spannend, gradlinig und minimalistisch: Wird es den dreien gelingen, genug Düngemittel für die Sprengstofferzeugung zu beschaffen? Und das sprengstoffbeladene Boot zu Wasser zu lassen? Und die nächtliche Polizeikontrolle zu passieren? Der Anschlag gelingt, aber etwas läuft schief, und als die jungen Ökoaktivisten davon erfahren, beginnen die Dinge aus dem Ruder zu laufen: drei Menschen unter Druck und wie sie damit umgehen. Dena psychosomatisiert (übler Hautausschlag), Josh dekompensiert (Paranoia), nur Harmon, dem sinistren Ex-Marine, gehts eigentlich ganz gut.Ab hier beginnt der Film, der so schön zackige Suspense vorgelegt hatte, ein wenig zu schwächeln. Es wird etwa nicht plausibel, warum ausgerechnet die draufgängerische Dena von den schlimmsten Gewissensbissen geplagt wird. Man hätte eher auf Josh getippt, den Jesse Eisenberg virtuos so spielt, wie er immer spielt – als Nerd und stillen Brüter, der mit gekrümmtem Rücken und hochgezogenen Schultern durch das Szenenbild läuft. Dieser Schuld-und-Sühne-Teil des Films, in dem die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Josh, Dena und Harmon ins Ungute kippen, kulminiert in einer seltsamen Sauna-Szene, die zwar nicht an die exzessive Brachialität des berühmten Dampfbadgemetzels in David Cronenbergs Tödliche Versprechen (2007) heranreicht, im Rahmen der gemessenen Kontrolliertheit, die Night Moves als Ganzes ausstrahlt, aber trotzdem wie ein Fremdkörper wirkt (vielleicht der Versuch, Druck abzulassen?): Ein bisschen irre und unfreiwillig komisch sind die grimassierenden Gesichter im orange leuchtenden Wasserdampf (und man sieht, Wasser ist von Anfang bis Ende das unheilvolle Element in diesem Film).Aber Night Moves kriegt die Kurve. Das Ende zeigt totale Verlassenheit, und ist dabei todtraurig und erschütternd. Gleichzeitig schaffen es Reichardt und ihr Co-Autor Jon Raymond, ihr potenziell schwerfälliges Thema (Moral, Schuld, Ökoterrorismus) auf eine Art und Weise zu handhaben, die ebenso ingenieurshaft bleibt wie das Anfangsbild der Düse, also nüchtern, zurückhaltend, sachlich. Night Moves ergreift nicht Partei und fällt auch kein Urteil über den Sabotageakt seiner Protagonisten.Unterschwellig aber schwingt eine Desillusionierung mit der linken Öko-Alternativ-Szene mit: Das nachhaltige Leben, das der Film zeigt, hat längst einen hohen Grad von Fixierung und Institutionalisierung erreicht, mit seinen eigenen Codes, Looks und Konsumgütern. Die Bio-Farm, auf der Josh arbeitet, ist trotz Gemeinschaftsküche patriarchalisch und kleinfamilienmäßig organisiert, und die Tipi-Wohnzelte haben alle ein Fundament aus festem Stein, fachmännisch gemauert – nicht gerade Ausdruck nomadischen Denkens, eher eines ziemlich festgefahrenen. Dagegen, scheint Night Moves zu sagen, hilft auch kein Dammbruch.Hier der Trailer zum Film:
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