Fast wie am Meer

Tempelhofer Feld Auf dem alten Flughafengelände beginnt die Freiheit Berlins
Ausgabe 03/2014

Manchmal bräuchte es eben Visionen. Auch oder gerade unter Politikern. Doch schaut man auf die aktuelle Debatte um die Entwicklung des ehemaligen Berliner Flughafengeländes Tempelhofer Feld, stellt man weniger überrascht als doch ziemlich ernüchtert fest: Die Vorstellungskraft der Politiker reicht hier nicht besonders weit.

Dabei lädt das über 380 Hektar große Areal, das derzeit wie ein Park genutzt wird, geradezu dazu ein. Weitblick ermöglicht das spärlich bepflanzte Rollfeld, ungetrübt durch Blumenrabatten oder künstliche Seen. Hier können Gedanken wandern, fast wie am Meer. Doch kann der Berliner Bausenator Michael Müller (SPD) seinen „Tempelhofer Freiheit“ genannten Masterplan verwirklichen, stünde hier bald einiges im Weg: Wohnquartiere für mehrere Tausend Menschen, Gewerbeeinheiten, ein Busbahnhof, ein großes Wasserauffangbecken und ein mondäner Neubau der Zentral- und Landesbibliothek.

Als Argumente für die Bebauung dienen vor allem die zunehmende Wohnungsknappheit und das Vorhaben, auch bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Von einem „internationalen Zentrum für Kultur-, Medien- und Kreativwirtschaft“ ist die Rede. Richard Florida lässt grüßen. Der US-Ökonom fand schon im Jahr 2002 heraus, dass nur jene Städte gut gedeihen, in denen sich Kreative wohl fühlen. In Tempelhof bliebe der Parkcharakter erhalten, versichert der Senat, nur rund 60 Hektar sollen bebaut werden; das Grün fungiere zugleich als „Kühlschrank für die Stadt“. Also alles richtig gemacht und sowohl Kreativität als auch Nachhaltigkeit als Schlüssel für Stadtentwicklung bedacht?

Die Stadt könnte ein Zeichen setzen

Um zukunftsfähig zu bleiben, bräuchte es eben mehr. Man muss Müllers und Floridas Köpfe, ihre Vorstellungswelt rund um Wettbewerbsvorteile und den Kampf um die Attraktivität von Standorten, gar nicht verlassen, um festzustellen, dass Patentrezepte nicht ausreichen. Auch die sind selten visionär. Hier geht es nicht nur um das Tempelhofer Feld. Die Stadt könnte ein Zeichen setzen, um sich ihrer Identität zu vergewissern. Sich auf das besinnen, was Berlin zu einem solchen Anziehungspunkt gemacht hat: kreativ besetzte Leerstellen und Brachen, die durch geschichtliche Umwälzungen entstanden und noch immer sichtbar sind. Wenn diese lokale Spezifik, ein fast globales Alleinstellungsmerkmal der deutschen Hauptstadt, übergangen und aufgegeben wird, kann eine erfolgreiche Stadtentwicklung nicht gelingen. So wirken die Senatspläne wie ein Ausverkauf, nicht wie eine Investition.

Vor dem Hintergrund der Tragweite der Entscheidung, was mit der Freifläche in Tempelhof geschehen soll, verwundert es, dass das Volksbegehren der Bürgerinitiative „100% Tempelhofer Feld“ nicht mehr Unterstützer fand. Die Einschreibefrist endete Montagnacht; laut amtlicher Schätzung sind rund 233.000 Unterschriften für den Erhalt des Status quo auf dem Gelände zusammengekommen, 60.000 mehr als notwendig. Allerdings rechnet die Landeswahlleiterin mit einer relativ hohen Zahl an ungültigen Stimmen, bis zum 27. Januar wird geprüft. Dann steht das Ergebnis fest.

Glückt das Volksbegehren, muss sich das Abgeordnetenhaus mit dem Gesetzentwurf der Initiative befassen. Lehnt dort eine Mehrheit das Gesetz ab, muss innerhalb von vier Monaten ein Volksentscheid herbeigeführt werden. Dann müsste die Initiative ein Viertel der Berliner überzeugen und noch klarer machen, dass hier nicht nur die Freiheit des Tempelhofer Feldes verteidigt wird, sondern das langfristige Wohl ihrer Stadt.

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Geschrieben von

Cara Wuchold

Kulturjournalistin

Cara Wuchold

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