Freie Fahrt für blaue Bürger

Kolumne Warum das Alkoholverbot im Straßenverkehr manchmal gelockert gehört

Kerry liegt im äußersten Südwesten der irischen Republik. Den meisten Deutschen dürfte die Grafschaft bekannt sein wegen ihrer Butter, die allenthalben als „Kerrygold“ verkauft wird. Milchwirtschaft prägt hier die Landschaft, aber die Leute in Kerry trinken keineswegs nur Milch. Das haben sie mit den Menschen im restlichen Irland gemein, und so geschah es wahrscheinlich frohen Mutes, dass sie sich jetzt an die Regierung der Republik im fernen Dublin wandten, um einen auf den ersten Blick befremdlichen Vorschlag zu unterbreiten: Man möge höheren Orts auf die Ahndung und Bestrafung in Fällen von Trunkenheit am Steuer verzichten. Freie Fahrt für blaue Bürger.

Das hört sich schlechter an, als es ist. Man muß auf die Begründung achten. Kerry verliert an Bevölkerung. Die Milchwirtschaft ernährt ihre Leute nicht mehr so wie ehedem. Die Folge: Viele Dörfer ernähren kaum noch ihre Gastwirte. Diese müssen schließen, und was an Bevölkerung drum herum übrig geblieben ist, kann abends nur noch in die Kirche gehen. Wer saufen will, muss das zu Hause tun oder in einen der Orte fahren, wo es noch ein Wirtshaus gibt. Das wäre noch kein Problem. Das Problem taucht auf, wenn es um die Rückfahrt geht. Entweder, der Kunde hat Milch getrunken und fährt nach fünf oder sechs Pints mit angespanntem Bauch Richtung Heimat. Oder er hat, wie es schon die Väter taten, kräftig Guinness durch den Hals laufen lassen und setzt nun, nachdem ihm ein mitfühlender Wirt den Autoschlüssel ins Schloss geschoben hat, seinen Wagen in Bewegung, um zu den Seinen zurückzukehren.

Die Berechtigung des Vorschlags aus Kerry ergibt sich aus der Frage: Was ist besser? In Irland regnet es viel. Wenn der Dramatiker Ferenc Molnár schon von England richtig sagte, die Insel sei wunderschön, sie müsse nur überdacht werden, so gilt das erst recht für Irland. Und in Sonderheit für Kerry, denn hier stoßen die regenschweren Atlantikwolken zuerst auf diesen Teil Europas. Zu Hause ist das Fernsehen auch nicht besser als anderswo, die Familienmitglieder sind nicht immer unterhaltsam. Umgekehrt – was zur irischen Kneipe gehört, das gemeinschaftliche Singen und das gemeinschaftliche Raufen gegen Ende des Abends ist in der heimatlichen Hütte nur selten adäquat zu inszenieren. Wenn man auch sagen mag, dass eine Rauferei unter Umständen schmerzhaftere Folgen hat als das Singen im Familienkreis, so ist doch einzuwenden, dass letzteres ganz gewiss immer unerwünscht ist, wohingegen ersteres manchenorts derart beliebt ist, dass es sogar im Fernsehen übertragen wird, weshalb man es wiederum zu Hause nicht tun muss.

Alles in allem. Die Leute aus Kerry haben Recht. Saufen, Singen, Prügeln gehört ins Wirtshaus, nicht in Wohnungen, wo Frau und Kind auf den Vater warten. Wenn der sich anderswo austobt, weil er es braucht, soll er mit dem Auto hinfahren und wieder zurückfahren dürfen ohne Ansehen der Promille. Wer gezwungen ist, nur noch allein daheim zu trinken, wird depressiv und ist rasch suizidgefährdet. Den Preis für Alkoholica hochtreiben hilft nicht. In Irland ist der irische Whiskey schon teurer als in Deutschland. Vom Alkohol ganz abraten, ihn gar zu verbieten, ist unsinnig, wie die Prohibition in den USA gezeitigt hat. Das wissen sie in Kerry auch.

Doch Kerry könnte bald überall sein. Auch aus Teilen Deutschlands hört man Bedenkliches. Hiesige Politik also hat allen Grund, sich mit Inhalten zu beschäftigen.

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