Wie sie kampfmüde mit ihren T-Shirts und Bärten vor dem requirierten Regierungsgebäude in der Stadt Mohassen stehen, unterscheiden sich Abu Khuders Männer kaum von jeder anderen Brigade in diesem Bürgerkrieg. Doch handelt es sich bei ihnen um keine gewöhnlichen Mitglieder der Freien Syrischen Armee. Diese Männer kämpfen für al-Qaida. Sie nennen sich selbst Ghuraba – „Die Fremden“ – nach einem berühmten Dschihad-Gedicht, das Osama bin Ladens Präsenz in den afghanischen Bergen feiert. Sie zählen zu einer von mehreren Dschihadisten-Gruppen, die im Osten Syriens Fuß gefasst haben. „Einige meiner Leute haben Angst, die schwarze Al-Qaida-Flagge zu tragen“, erzählt Abu Khuder. „Sie bef&
Freundschaftsbeweis für Abu Khuder
Bürgerkrieg Immer mehr Kader der Freien Syrischen Armee schließen sich den Dschihadisten an. Es könnte bald Verhältnisse geben wie im Irak nach dem US-Einmarsch 2003
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Foto: Bülent Kilic / AFP / Getty Images
222;Sie befürchten, dass dann die Amerikaner kommen und uns angreifen. Daher kämpfen wir im Verborgenen. Weshalb Baschar und dem Westen einen Vorwand liefern?“Die Bewohner von Mohassen wissen, mit wem sie es zu tun haben. Passanten machen mit den Männern Witze über Autobomben und Brandbeschleuniger.Abu Khuder erzählt, seine Männer hätten Kontakt zum Militärrat, der die Brigaden der Freien Syrischen Armee in der Region kommandiert. „Wir haben klare Order unserer Führung, die FSA zu unterstützen, wenn sie Hilfe braucht. Wir helfen besonders mit Autobomben. Unsere Stärke sind Bombenoperationen.“ Seine Männer hätten viel gelernt im Irak. Später – in seinem Stab in Mohassen – erzählt Abu Khuder mehr. Zurückgelehnt auf einem Stapel Kissen, lässt er seinen linken von der Kugel eines Heckenschützen verletzten Arm ausruhen, der mit Bandagen umwickelt ist. Im Halbkreis vor ihm knien vier Jungen im Teenageralter, die sich die Hälse verrenken und voller Ehrfurcht lauschen. Andere Dorfbewohner im Raum schauen beunruhigt.Abu Khuder war Offizier im Camel Corps, einer Einheit an der syrischen Grenze, bevor er sich gegen das Regime stellte. Er kämpfte zunächst mit Pistole und leichtem Jagdgewehr und erwarb sich den Ruf, einer der tapfersten und skrupellosesten Männer in der Provinz Deir Al-Zour zu sein. Zudem half er, eines der ersten FSA-Bataillone zu gründen, verlor aber schnell alle Illusionen wegen der schlechten Organisation der Rebellenarmee und ihres Unvermögens, das Regime ernsthaft zu treffen. Ausgesprochen ernüchternd war für ihn der Versuch, die Regierungsgarnison in Mohassen anzugreifen. Verschanzt hinter Betonwänden, Sandsäcken und Maschinengewehrtürmen in einer ehemaligen Textilfabrik waren die Verteidiger immun gegen den Überfall der Rebellen.Jemeniten sind die besten„Selbst mit 200 Männern, die an verschiedenen Seiten gleichzeitig vorstürmten“, erinnert sich Abu Khuder, „konnten wir keinen einzigen Regierungssoldaten verletzen und vergeudeten nur teure Munition.“ Dann habe eine Gruppe disziplinierter islamistischer Kämpfer aus einem nahe gelegenen Dorf Hilfe angeboten. Nach zwei Tagen überbrachten sie Abu Khuder eine Art Freundschaftsbeweis: einen mit zwei Tonnen Sprengstoff gefüllten und verkabelten Lastwagen. Zwei Männer fuhren den Truck nahe an das Tor des Stützpunkts und ließen ihn aus der Ferne detonieren. Die Explosion sei so gewaltig gewesen, dass Fenster und Gebäudeteile bis zu hundert Meter weit geschleudert und Bäume entwurzelt wurden. In der Mitte der Straße blieb ein riesiger Krater zurück.Am nächsten Tag zog die Armee ab. „Die Autobombe kostete uns 100.000 syrische Pfund. Und es waren weniger als zehn Leute, mit denen die Aktion ablief“, fügt Abu Khuder hinzu. „Wir vergeudeten nicht eine einzige Kugel. Al-Qaida hat eben Erfahrung mit solchen Aktionen und weiß, was zu tun ist.“ Nach der Bombe verließ Abu Khuder die FSA und leistete dem Al-Qaida-Netzwerk in Syrien – der Jabhat al-Nusra oder Solidaritätsfront – den Treueeid. Er ließ seinen Bart wachsen, nahm die religiöse Rhetorik eines Dschihadisten an und wurde Kommandeur einer Kampfeinheit.„Die Freie Syrische Armee besitzt keine militärische oder religiöse Ordnung. Alles läuft chaotisch“, meint er. „Al-Qaida hat ein Gesetz, das niemand – nicht einmal der Emir – brechen kann. Der FSA fehlt die Fähigkeit, eine Operation zu planen. All das findet man bei al-Qaida. In vielen arabischen Ländern wird deren hohe Professionalität anerkannt. Ohne Wenn und Aber. Im Augenblick schließen sich uns – Allah sei Dank – viele Einwanderer an und bringen ihre Erfahrung mit. Es sind Männer aus dem Jemen, aus Saudi-Arabien, aus dem Irak und Jordanien. Die Jemeniten sind die besten, wenn es um Religion und Disziplin geht. Und die Iraker sind die schlimmsten – selbst in Religionsdingen.“http://img442.imageshack.us/img442/2117/kartesyrieno.jpgDa mischt sich ein Mann aus der Stadt Mohassen ein, ein Aktivist Mitte 30. „Was willst du erreichen, Abu Khuder? Wirst du anfangen, Hände abzuschneiden und uns das Leben der Saudis aufzudrängen? Kämpfen wir deswegen für die Revolution?“„Das Ziel von al-Qaida ist ein islamischer Staat und nicht ein syrischer Staat“, lautet die Antwort. „Diejenigen, die al-Qaida fürchten, fürchten das Recht Allahs. Aber wer keine Sünden begeht, hat nichts zu befürchten.“ Solcherart religiöse und sektiererische Rhetorik hat beim Aufstand von Anfang an eine bedeutende Rolle gespielt. Teilweise liegt das daran, dass Waffen von außen finanziert und bis heute durch etablierte muslimische Netzwerke bereit gestellt werden. Es hat aber auch etwas damit zu tun, dass die Religion den Kämpfern in Aussicht stellt, als Märtyrer erlöst zu werden.Fast alle Rebellenbrigaden haben sunnitisch religiöse Namen, die den Heiligen Krieg (Dschihad) und das Märtyrertum verherrlichen, selbst wenn die Brigaden von weltlichen Kommandanten geführt werden und aus Männern bestehen, die kaum beten. „Religion ist die entscheidende Quelle der Motivation“, sagt ein Aktivist in Mohassen. „Nehmen Sie den religiösen Prediger Ara’our. Er ist hysterisch, und wir mögen ihn nicht. Aber er bietet den Kämpfern seelischen Beistand. Und den brauchen sie.“Ein FSA-Kommandant im östlichen Deir Al-Zour erklärt die Wirkung der Religion bei den Gefechten so: „Religion ist die beste Möglichkeit, Disziplin durchzusetzen. Selbst wenn ein Kämpfer nicht religiös ist, kann er sich im Kampf einem religiösen Befehl nicht widersetzen.“Al-Qaida existiert seit über einem Jahrzehnt in der staubtrockenen Region des syrischen Ostens, wo sich die Grenze zum Irak durch Wüsten und Stämme zieht. Während der Jahre der US-Besatzung im Nachbarland wurde Deir Al-Zour zum Tor, durch das Tausende von ausländischen Dschihadisten in den Irak und wieder zurück fluteten. Viele hochrangige Kader brachten sich vor Razzien der Amerikaner und der irakischen Regierung in der Wüste von Deir Al-Zour in Sicherheit.Osama, ein junger Dschihadist aus Abu Khuders Einheit mit einem jederzeit freundlichen Lächeln, erzählt, er sei 17 gewesen, als die Amerikaner 2003 in den Irak einfielen. Er lief von zu Hause weg und schloss sich Tausenden anderen Syrern an, die über eine löchrige Grenze strömten. Wie die meisten Freiwilligen trieb ihn zunächst eine Mischung aus Abenteuer und panarabischem Impuls, dann jedoch wurde die Religion zu Osamas einziger Motivation. Nach Syrien zurückgekehrt, war für ihn die dschihadistische Ideologie das Lebenselixier – eine gefährliche Überzeugung, für die Osamas Freunde unter Assad mit Gefängnis büßten.Ein saudischer KommandeurDie syrische Regierung hatte sich in jenen Jahren einem doppelten Spiel verschrieben – einerseits wurde Dschihadisten erlaubt, in den Irak zu gehen, um die Amerikaner zu schwächen, andererseits waren sie zu Hause strenger Aufsicht unterworfen. Als im März 2011 der Aufstand gegen Präsident Assad begann, schloss sich Osama den Straßenprotesten an und ging zur FSA. Bald schon war er allerdings enttäuscht. „Wenn die Leute aus der FSA kämpfen, sind sie großartig, aber danach sitzen sie meist herum und tun nichts, außer zu rauchen und über Skype zu chatten“, sagt er.Auch hatte er den Streit über das Geld der FSA-Kommandeure satt und ging zu einer Brigade, die ihren Sitz im Dorf Shahail, etwa 50 Kilometer westlich von Mohassen, hat. Dieser Ort ist heute de facto die Hauptstadt von al-Qaida in der Region Deir Al-Zour. Mehr als 20 junge Männer aus diesem Dorf sind im Irak gefallen. Um diese Märtyrer zu ehren, fahren Al-Qaida-Kämpfer in weißen Geländewagen durch Shahail und lassen ihre Fahnen flattern.“Osama kannte einige der Dschihadisten aus seiner Zeit im Irak. Eines Tages besuchte der Führer der Gruppe seine Einheit – ein Saudi, der sein Haar mit einem roten Schal bedeckte und eine kleine Kalaschnikow im Stile Osama bin Ladens trug. Während der Beerdigung eines lokalen Kommandeurs hielt er eine lange Rede, mit der er den Dschihad als einzigen Weg pries, das ungläubige Regime von Baschar al-Assad zu stürzen. Er war der Ansicht, dass die Syrer nicht nur Opfer des Regimes, sondern auch der Scheinheiligkeit des Westens seien, der sich weigere, ihnen zu helfen.„Die Dschihadisten gehorchen ihrem Führer und argumentieren nie“, erzählt Osama. „Wenn in der FSA zehn Leute zusammenkommen, zerfallen sie mindestens in drei Gruppen. Die Dschihadisten hingegen nutzen ihre Zeit für die wirklich nützlichen Sachen. Auch deshalb fühlte ich mich zu dieser Gruppe und ihrem saudischen Kommandeur hingezogen. Er verbringt seine Tage damit, uns etwas zu lehren. Fragt man ihn etwas, antwortet er mit Versen aus dem Koran. Wenn man den Koran lesen will, kann man das tun. Wenn man lernen will, wie man Bomben baut, wird er es einem beibringen. Vor dem Aufstand, als die Regierung stark war, dauerte es ein Jahr, bis man jemanden für die geheime Sache des Dschihad rekrutieren konnte. Heute geht das viel schneller.“Exekution ohne ProzessIm Ort Shahail selbst ist Saleem Abu Yassir zugleich Dorfältester und Kommandeur der lokalen FSA-Brigade. Er sitzt in einem Raum, der mit Stammeskämpfern und Maschinengewehren gefüllt ist. Anfangs seien die Beziehungen zu al-Qaida schwierig gewesen, meint er, da die Dschihadisten die Freie Syrische Armee nicht ausstehen können. In ihren Augen seien deren Kader ungläubige Säkularisten. Aber inzwischen hätten sich die Gotteskrieger geöffnet. „Sind sie gute Kämpfer?“ Saleem Abu Yassir wirft das als rhetorische Frage in den Raum. „Ja, dass sie sofort exekutieren, ist problematisch. Wenn sie einen Soldaten gefangen nehmen, halten sie ihm eine Pistole an den Kopf und drücken ab. Wir haben religiöse Gerichte. Die Leute müssen erst verurteilt werden, bevor wir sie exekutieren. Es sind die massenhaften Tötungen, die wir fürchten. Wir haben Angst, dass mit al-Qaida die Zeiten des Irak-Krieges zurückkehren. Wir haben ja gesehen, was das bringt.“Osama hatte erzählt, dass seine Gruppe sehr stark darauf achte, dass es keinen zweiten Irak gibt. „Die Dschihadisten geben zu, dass sie im Irak Fehler gemacht hätten und die in Syrien vermieden werden müssten.“ Andere wiederum, darunter ein junger Arzt, der sich für den Aufstand einsetzt, habe das nicht überzeugt. Das Anti-Assad-Lager müsse sich darüber im Klaren sein, dass al-Qaida unter ihnen ist, und aufpassen. „Sie haben mehr Geld als die Freie Syrische Armee, und wir müssen zugeben, dass sie hier sind. Sie stehlen uns unsere Revolution, und sie arbeiten auf den Tag hin, der danach kommt.“
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